Als in der beliebtesten deutschen Krimireihe zuletzt das Motto der jährlichen ARD-Themenwoche verarbeitet wurde, war das Ergebnis eine der schwächsten „Tatort“-Folgen des Jahres: Der Bremer „Tatort: Echolot“ fiel im Oktober 2016 bei den Kritikern und beim Publikum sang- und klanglos durch. Die Filmemacher widmeten sich dem Thema „Zukunft der Arbeit“ in einer klischeebeladenen Cyber-Story rund um die Themen Digitalisierung und Virtual Reality, die weit hinter dem durchschnittlichen Niveau der Krimireihe zurückblieb. Auch 2017 veranstaltet die ARD wieder eine Themenwoche: Vom 11. bis 17. Juni stehen im Ersten viele Programmpunkte unter dem Motto „Woran glaubst du?“. Da darf der Sonntagskrimi natürlich nicht fehlen: Filmemacher Gregor Schnitzler („Resturlaub“) entführt die Zuschauer in seinem Dresdner „Tatort: Level X“ in die sozialen Netzwerke und die Welt gehypter junger Internet-Stars – ein moderner und durchaus vielversprechender Ansatz, doch die stylische Verpackung kann die Klischees und Drehbuchschwächen dieses missglückten Krimis bei weitem nicht verdecken.
Der 17-jährige Robin Kahle (Merlin Rose) ist ein erfolgreicher „Prankster“: Unter dem Namen Simson spielt er anderen Streiche, streamt seine Taten live ins Netz und begeistert damit Millionen von Fans. Einer der Pranks geht allerdings nach hinten los: Er wird von rabiaten Rockern durch die Dresdner Altstadt gejagt und kurz darauf vor deren Augen und vor tausenden Live-Zuschauern im Netz von einem Unbekannten erschossen. Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) setzt seine Hauptkommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Henni Sieland (Alwara Höfels) auf den Fall an – denen sind der Hype um die gut verdienenden Teenie-Idole und die Geschäftsstrukturen hinter den Kulissen allerdings fast genauso fremd wie ihm. Eine Spur führt zu Simsons Ex-Partner Dennis „Scoopy“ Tobor (Wilson Gonzalez Ochsenknecht) und Agenturchef Magnus Cord (Daniel Wagner), der Simson betreut und vermarktet hat. Auch der Arzt Dr. Frantzen (Ulrich Friedrich Brandhoff) gerät ins Visier der Ermittler: Er war von Simson beim Schwarzhandel mit Medikamenten erwischt worden. Und welche Rolle spielt die junge Emilia Kohn (Caroline Hartig), die Simson zum Leidwesen ihrer als Pfarrerin tätigen Mutter Eva (Karina Plachetka) glühend verehrt hat?
Neben der Verknüpfung mit der ARD-Themenwoche teilt die 1024. Ausgabe der Krimireihe noch eine weitere Gemeinsamkeit mit dem einleitend erwähnten „Tatort: Echolot“: Auch beim Dresdner „Tatort: Level X“ greifen die Filmemacher im Hinblick auf die hippe Internetagentur, in die es die Kommissarinnen mehrfach verschlägt, ganz tief in die Klischeekiste. Drehbuchautor Richard Kropf („You Are Wanted“) und Regisseur Gregor Schnitzler schicken mit dem bis ins Karikatureske, aber leider nicht ironisch überzeichneten Agenturchef Magnus Cord („Content is king, und er hat delivered!“) die nervtötendste Figur der jüngeren „Tatort“-Geschichte ins Rennen – einen schnöseligen Start-Up-Unternehmer, der pausenlos mit dämlichen Business-Anglizismen aus allen Rohren schießt. Seine kreativen jungen Mitarbeiter („Das sind alles Talents, wir sind ein Open Space!“) sind hingegen entweder dürre Teenager, blasse Nerds oder Vollbart zum Zopf tragende Hipster, die in den Couchmöbeln der futuristischen Büroräume rumlümmeln und ihre Smartphones und Laptops nur im Notfall aus der Hand legen. Auch Wilson Gonzalez Ochsenknecht („Die wilden Kerle“, „Der Nachtmahr“) bleibt in seiner Rolle als Prankster „Scoopy“ ein lebloses Abziehbild.
Am anderen Ende des Spektrums steht Internet-Allergiker Schnabel: Der Kommissariatsleiter sorgte mit seinen mal mehr, mal weniger amüsanten Sprüchen zwar schon im durchwachsenen ersten Dresdner „Tatort: Auf einen Schlag“ für Lacher („Ich hab dieses verdammte Internet im Verdacht!“), muss als dünne „Stromberg“-Kopie aber erneut fast ausschließlich dafür herhalten, in der Welt der Hashtags und Live-Pranks nur Bahnhof zu verstehen. Spätestens als der verheiratete Chef vom IT-Kollegen Ingo Mommsen (Leon Ullrich) beim Surfen auf einer Datingseite ertappt wird, übertreiben es die Filmemacher: Anders als die alleinerziehende Gorniak und ihre Kollegin Sieland, die mit der Trennung von ihrem Freund Ole Herzog (Franz Hartwig) zu kämpfen hat, scheint sich Schnabel als Figur bei seinem dritten Auftritt schon nicht mehr weiterzuentwickeln. Ohnehin finden sich in diesem „Tatort“ fast nur Stereotypen: Die postpubertierende Emilia, die das wahre Wesen ihres Internet-Schwarms zu spät erkennt, ihre Pfarrerin-Mutter, die keinen Zugang zu ihr findet, und nicht zuletzt der neidische Prankster-Kollege, der posthum noch einen Teil vom Online-Fame abhaben will – vielschichtige Figuren mit spannenden Mordmotiven sehen anders aus.
Der „Tatort: Level X“ ist zweifellos ein moderner Krimi, der den Zeitgeist trifft – seine Aktualität wird durch den aufsehenerregenden Falls eines Amerikaners aus Cleveland, der im April 2017 einen Mord beging und das selbst gefilmte Video der Tat auf Facebook zeigte, noch unterstrichen. Trotzdem tragen die Filmemacher viel zu dick auf und setzen einseitige Akzente. Das offenbart sich vor allem dann, wenn die Handlung mal wieder live ins Netz übertragen wird und dabei Avatare und Tweets ins Bild montiert werden: Stadtbusse und beliebte Touristenziele scheinen in Dresden neuerdings ausnahmslos von smartphonesüchtigen Teenagern bevölkert zu sein, denn andere Personen sind in diesen Szenen schlichtweg nicht im Bild. Die Stadt selbst ist für ortsunkundige Zuschauer übrigens mühelos zu identifizieren: Im „Elbflorenz“ wurde mit bemerkenswerter Häufigkeit vor berühmten Postkarten-Motiven gedreht – selbst das Fußballstadion von Dynamo Dresden musste offenbar noch irgendwie im Plot untergebracht werden. Über dieses uninspiriert eingeflochtene Lokalkolorit, die hölzernen Dialoge und die schwachen Figuren können die temporeiche Inszenierung und der spannende Showdown am Ende nicht hinwegtäuschen – und so ist der dritte Fall von Gorniak und Sieland zwar oft gut gemeint, aber selten gut gemacht.
Fazit: Der Dresdner „Tatort: Level X“ strotzt nur so vor Klischees und Stereotypen. Dies ist der bisher schwächste Fall mit Alwara Höfels und Karin Hanczewski.