Jordan Peele ist nach dem gefeierten Debüt „Get Out“ mit seinem neuen Film im Kino.
Die Wilsons (Winston Duke, Lupita Nyong’o, Shahadi Wright Joseph, Evan Alex) machen Kurzurlaub in ihrem Feriendomizil an der Küste Kaliforniens. Abends steht eine Familie vor dem Haus, die rote Overalls trägt und den Wilsons äußerlich sehr ähnlich ist. Das bedeutet nichts Gutes.
„Wir sind unser größter Feind“ ist auf dem Filmplakat zu lesen. Was wäre, wenn jeder Mensch einen Doppelgänger hätte, der das im Original verborgene auslebt? „Wir“ beginnt mit einer Rückblende. Teile davon sind in 116 Minuten Spielzeit immer wieder wichtig für die mit unerwartetem Finale versehene Handlung. Letztendlich wird die zuvor verfeinert angelegte Selbstbeschau infrage gestellt, ein neuer Gedankengang beim Publikum initiiert und manches offen gelassen.
Dass Jordan Peele seine wundersame Handschrift von „Get Out“ in das aktuelles Projekt übertragen konnte, spricht für Qualität und Charakter. Oft muss sich der Kinogänger in Geduld üben, bis der Horror-Spezialist den Grusel aufbaut; das ist spezifisch und angeblich für die Einführung der Figuren wichtig. Peele vermag es, von Beginn an Schauriges mit Wirkung zu verkaufen, ohne auf Charakterzeichnung zu verzichten. Wie beim Debüt setzt der Regisseur auf intensiv inszenierte fratzenhafte Mimik in atemberaubenden Nahaufnahmen. Da nicht derselbe Kameramann am Werke ist, hat Peele, der auch Autor und Produzent ist, offensichtlich entscheidenden Einfluss auf die Einstellungen genommen und so seinen Stil bestätigt.
Der Regisseur fischt in verschiedenen Genres und hat sich hier und da einiges abgeschaut: Die etwas zu kurz geratene Belagerung des House-Invasion-Parts sorgt dafür, dass nach dem Eindringen ein bisschen die Luft raus ist bzw. die Stimmung schlagartig wechselt, weil zunächst die Kommunikation mit den entarteten Duplikaten ansteht. Dann aber geht „Wir“ recht zügig in einen „Funny Games“-Ausflug über. Die Papa Wilson als körperlich kräftigstem Gegner zugefügte Beinverletzung wurde 1:1 aus dem 1997 entstandenen unvergesslichen Meisterwerk von Michael Haneke übernommen, lediglich das Prügelinstrument ist kein Golfschläger, welcher aber bei Peele sehr bald eine wegbereitende Rolle spielt. Unabhängig von der Wahl der Waffen benötigte Haneke für die Visualisierung seiner Geschichte keine grafisch angelegten Überzeichnungen. „Wir“ bedient sich schließlich bild- und ideenreich der Zombie-Sparte und fügt auch einen komödiantischen Anteil unter, der allerdings im hinteren Drittel des Films zu stark gewichtet ist. Wie bei „Get Out“ sind kleine Logikfehler und Zufälligkeiten zu verzeichnen, ohne welche die Story nicht weiterlaufen könnte. Unterm Strich funktioniert alles, was sich der Filmemacher vorgenommen hat.
„Wir“ ist ein atmosphärischer Thriller mit Einfallsreichtum, Anspruch und kleinen Fehlern in Aufbau und Timing.