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    The Rider
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Rider
    Von Christoph Petersen

    Der authentische Stil der in China, Großbritannien und den USA aufgewachsenen Chloé Zhao ist bereits nach nur zwei Langfilmen absolut unverkennbar. Wie schon in ihrem gefeierten Debüt „Songs My Brothers Taught Me“ über zwei Sioux-Geschwister im Indianerreservat Pine Ridge in South Dakota hat sich die Filmemacherin nun auch für ihren ebenso einfühlsamen wie bildgewaltigen Neo-Western „The Rider“ wieder Laiendarsteller gesucht, die vor der Kamera mehr oder weniger ihre eigene Geschichte nachspielen. Gestoßen ist sie dabei noch während der Dreharbeiten zu „Songs My Brothers Taught Me“ auf den jungen Pferdeflüsterer und ehemaligen Rodeo-Champion Brady Jandreau - der ist nicht nur ein indianischer Cowboy, was natürlich zunächst einmal wie ein ziemlicher Widerspruch anmutet, sondern sollte seit einem schweren Sturz eigentlich gar nicht mehr selbst aufs Pferd steigen (vom Rodeoreiten mal ganz zu schweigen). „The Rider“ handelt davon, wie man(n) sich in einer von klassischen männlichen Werten dominierten Gesellschaft behaupten kann, selbst wenn man(n) selbst aufgrund der äußeren Umstände nicht länger an den traditionellen Männlichkeitsritualen teilnehmen kann.

    Nach einem beinahe tödlichen Reitunfall, bei dem er einen Tritt gegen den Kopf abbekommen hat, muss der angehende Rodeo-Star Brady Blackburn (Brady Jandreau) nicht nur mit einer Metallplatte in seinem Schädel klarkommen, er soll sich nach dem Willen seiner Ärzte fortan möglichst auch vom Rücken der Pferde fernhalten. Für Brady kommt die Diagnose zunächst einem Todesurteil gleich – immerhin definiert ihn nicht nur seine Umwelt, sondern auch er selbst sich vornehmlich über seine Leistung in der Arena. Ein Selbstmord kommt für ihn nur deshalb nicht in Frage, weil Brady seinen alleinerziehenden Vater Willy (Bradys realer Vater Tim Jandreau), seine an einer geistigen Behinderung leidende kleine Schwester Lilly (Bradys reale Schwester Lilly Jandreau) und seinen nach einem Rodeo-Unfall schwerstbehinderten guten Freund Lane Scott (der reale Bullenreiter Lane Scott sitzt seit einem Autounfall im Rollstuhl) nicht im Stich lassen will. Während er sich für seinen Job als Zureiter aufs Pferd quält und immer wieder mit dem Gedanken spielt, entgegen aller Ratschläge doch noch einmal in die Rodeo-Arena zurückzukehren, sucht Brady nach neuen Wegen, ohne den Applaus der Fans und die Bewunderung seiner Cowboy-Kumpels mit sich ins Reine zu kommen…

    Ich will unseren Jungs sagen, dass es okay ist, verletzlich zu sein, dass sie nicht sein müssen wie die toughen Gewinnertypen, die man sonst im Kino sieht. Ich möchte unseren Söhnen sagen, dass sie ruhig geplatzte Träume haben können, aber wahre Helden diejenigen sind, die trotzdem weiterträumen.

    - Chloé Zhao in einem Interview zu „The Rider“

    Wenn Brady einmal einem Pferd den Gnadenschuss setzt, nachdem es sich in einem Stacheldrahtzaun verheddert und dabei schwere Verletzungen zugezogen hat, liegt die Frage natürlich auf der Hand: Warum werden Tiere erlöst, wenn sie ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen können, während Menschen trotzdem weiterleben dürfen oder müssen? Das Metaphorische dieser Szene liegt schon sehr klar auf der Hand (und es wird anschließend überflüssigerweise auch noch mal von den Figuren ausgesprochen), aber es ist auch das einzige Mal, dass Zhao derart (über-)deutlich wird, ist ihre Erzählung ansonsten doch angenehm zurückhaltend. Statt auf die demonstrative Illustration von abstrakten Thesen setzt sie auf eine möglichst große Spezifizität und Konkretheit – ihre Laiendarsteller spielen ja praktisch sich selbst, das lässt sich schon an ihrer ganz und gar ungekünstelten Sprechweise erkennen. Mit ihrem zurückgenommen-beobachtenden Regiestil erreicht Zhao somit eine seltene Authentizität, trotz seines universellen Themas ist an „The Rider“ nichts austauschbar – dieser Film kann nur genau an diesem Ort und genau mit diesen Schauspielern überhaupt existieren.

    Chloé Zhao sieht sich selbst als feministische Filmemacherin, aber statt weibliche Figuren aus einer weiblichen Perspektive zu zeigen, interessiert sie sich mehr dafür, klassische Männerfiguren aus Frauensicht zu untersuchen. Und obwohl die Regisseurin die traditionellen Männlichkeitsvorstellungen der Cowboy-Community konsequent hinterfragt (etwa den Ausdruck „Cowboy up!“, eine Steigerungsform von „Man up!“ = „Stell dich nicht so an!“), hat „The Rider“ nie etwas Bitteres oder Zynisches an sich, wie man es von vielen Wildwest-Abgesängen ihrer männlichen Kollegen (von „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ bis „Erbarmungslos“) gewöhnt ist. Stattdessen erweist sich der trotz großer Bilder angenehm nüchtern inszenierte Neo-Western als ebenso zärtliches wie wahrhaftiges Porträt eines Rodeo-Reiters, der nicht länger aufs Pferd steigen darf.

    Fazit: Chloé Zhaos „The Rider“ ist ein bildstarker moderner Western, der die traditionellen Männlichkeitsideale des ländlich geprägten Teils der USA auf fast schon zärtliche Weise hinterfragt.

    Wir haben „The Rider“ bei den 70. Filmfestspielen in Cannes 2017 gesehen, wo er in der Reihe Quinzaine des réalisateurs gezeigt wurde.

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