Das Erfolgsteam ist wiedervereint: Acht Jahre nach ihrem größten Triumph, der warmherzig-nostalgischen DDR-USA-Roadmovie-Komödie „Friendship!“ (der erfolgreichste deutsche Kinostart des Jahres 2010), arbeiten Regisseur Markus Goller („Simpel“) und Drehbuchautor Oliver Ziegenbalg („Frau Müller muss weg“) erstmals wieder zusammen. In ihrem Mofa-Roadmovie „25 km/h“ servieren sie nun jede Menge Schwarzwälder Lokalkolorit, während sie mit ihren zwei gegensätzlichen Protagonisten auf eine episodenhafte Deutschlandreise gehen, die die Brüder Christian und Georg näher zueinander und zu sich selbst führt. Was jetzt nicht gerade nach der allerfrischesten Idee für eine Kinogeschichte klingt, entpuppt sich als hochsympathische Roadmovie-Komödie mit melancholischen Absackern. Immer wieder durchbricht Goller die gängigen Genreklischees und überrascht mit Szenen, die gegen den Strom schwimmen, selbst wenn die Moral von der Geschicht‘ („Es ist nie zu spät, etwas zu ändern“) dann am Ende tatsächlich etwas altbacken anmutet.
30 Jahre haben sich die Brüder Georg (Bjarne Mädel) und Christian Schneider (Lars Eidinger) nicht mehr gesehen. Erst die Beerdigung ihres Vaters führt den in Singapur arbeitenden Top-Manager Christian zurück in sein Heimatkaff Löchingen im Schwarzwald. Durch widrige Umstände kommt der verlorene Sohn auch noch zu spät zur Beisetzung, weshalb ihm sein stocksaurer Bruder gleich erst mal eine verpasst. Während Christian nach der Rauferei Frieden schließen will, sträubt sich Schreiner Georg noch. Er hat seinen Vater in der Endphase seiner Krebskrankheit gepflegt und die Unterstützung seines Bruders vermisst. Doch ein zünftiges Besäufnis regelt die Unstimmigkeiten, auch weil sich die beiden trotz aller Unterschiede genuin mögen. Im Rausch erinnert sich Christian an einen alten Plan der beiden: Als sie 15 waren, wollten sie mit dem Mofa eine Tour an die Ostsee machen, wozu es dann aber nie gekommen ist. Noch durch den Alkohol benebelt, brechen die Brüder spontan mit ihren zwei alten Mofas auf, um Verlorenes nachzuholen. Aber schon im Morgengrauen kommen erste Bedenken…
Mit 25 Stundenkilometern durch die Republik zu knattern, klingt nicht gerade sehr dynamisch. Aber Markus Goller holt das Maximum an Tempo aus den anachronistischen Zündapp-Gefährten raus, sodass die zahlreichen Mofaszenen so gar nicht schnarchnasig wirken. Das ist nicht der einzige inszenatorische Kniff, den Goller bei „25 km/h“ anwendet. Während die Grundidee wenig Neuland bietet und auch der ein oder andere gefühlige Allgemeinplatz steif bedient wird, nimmt sich der Regisseur immer mal wieder ein eigentlich bekanntes Szenario vor, um es mit kleinen Überraschungen zu brechen. Lars Eidinger („Alle anderen“) wird zum Beispiel als echter Klischee-Workaholic (ein Jahr kein Urlaub, permanent am Handy auf Englisch schreiend), der gerade aus Fernost eingeflogen ist, eingeführt. Aber gleich in seiner ersten Szene erdet ihn die tiefste schwarzwäldische Provinz, als er mit einer prinzipientreuen Taxifahrerin eine Viertelstunde vor einem gottverlassenen Bahnübergang steht und die Möglichkeiten der Schienenüberschreitung diskutiert werden – eine urkomische Eröffnungsszene.
Am besten lässt sich Gollers sympathische Finesse in der Episode mit „Fack Ju Göhte“-Star Jella Haase verdeutlichen: Georg und Christian lesen das Hippie-Mädchen Willie am Straßenrand auf und setzen die Fahrt gemeinsam fort, um ausgerechnet in Paderborn (!) bei einem Back-To-The-Roots-Festival Spaß zu haben. Doch anstatt sich der Film klischeehaft über das Hippie-Mädchen lustig macht, entwickeln sich auf dem Festival unerwartet ernsthafte Gespräche über das Leben, bei dem sich Willie als die Weiseste herausstellt. „25 km/h“ ist voll von solchen leisen Brüchen.
Die Geschichte beginnt mit der schwerst schwäbelnden „Toni Erdmann“-Offenbarung Sandra Hüller im Kleinbürgertum, das hier aber ebenfalls nicht platt veralbert oder gar bloßgestellt, sondern nur ironisch hinterfragt wird. Wenn Christian und Georg auf einem badischen Weinfest Bekanntschaft mit den Dorfschönheiten machen und der Junggeselle Georg schüchtern die verheiratete Ute (Franka Potente) aufreißt (inklusive einer herrlich-unerotischen Sexszene), ist das ehrlich gemeint und nur nebenbei gibt es ein paar Seitenhiebe auf das Spießbürgertum, wenn Potente und Alexandra Maria Lara als Utes Freundin Ingrid betrunken vom Leder ziehen und anklagen, was ihnen so alles stinkt. Bei so ziemlich jeder Episode, die die Brüder näher Richtung Küste bringt, gesellen sich übrigens weitere hochkarätige Gäste zum stargespickten Cast dazu.
„25 km/h“ ist auch ein feines Porträt zweier gegensätzlicher Charaktere, die auf ihrer abenteuerlichen Mofa-Reise ihren verpassten Chancen nachjagen. Die so grundverschiedenen Brüder mit Bjarne Mädel („Der Tatortreiniger“), den man in so einer Rolle erwartet, und Lars Eidinger, den man in so einer Rolle eher nicht erwartet, zu besetzen, funktioniert bestens. Obwohl sie noch nie zusammengespielt haben, stimmt einfach die Chemie zwischen den beiden. Eidinger geht als arroganter Manager ins Rennen, bei dem sich aber schon früh erahnen lässt, dass er gar kein so übler Typ ist. Immerhin versucht er, auf seinen bockigen Bruder zuzugehen.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Musik. Goller befeuert die wechselnde Stimmung seiner mit reichlich melancholischen Momenten angereicherten Feel-Good-Erzählung immer wieder mit unwiderstehlichen Songstücken. T-Rex, die „schwäbischen Depeche Mode“ von Camouflage (mit „The Great Commandment“ als auch „Love Is A Shield“) und The Cure (mit „Close To Me“ und „Boys Don’t Cry“) sind zum Beispiel dabei und dienen als unermüdlicher Taktgeber. Die Songs fügen sich nicht nur organisch ein, in vielen musikalischen Collagen übernehmen sie sogar für kurze Zeit die Führungsrolle, auch um die einzelnen Episoden elegant zu verbinden und keine krassen Brüche aufkommen zu lassen. Und am wichtigen: Die Musik verbreitet auch einfach verdammt gute Laune.
Fazit: Mit alten Mofas entschleunigt durchs Land: Trotz einer wenig originellen Prämisse und ständig lauernden Klischees macht Regisseur Markus Goller aus „25 km/h“ ein erfrischend-sympathisches Wohlfühl-Roadmovie, das tiefsinniger und überraschender ist, als man im ersten Moment vermuten würde.