Ein bitterböser und saulustiger Klassenkampf
Von Christoph PetersenDie da oben, wir hier unten. Waren es in seiner Sci-Fi-Dystopie „Snowpiercer“ noch die verschiedenen Abteile eines futuristischen Zuges in einer postapokalyptischen Schneewelt, die die verschiedenen sozialen Klassen repräsentieren, trägt Bong Joon-ho seinen schon länger auf der Leinwand ausgetragenen Klassenkampf nun zurück in die südkoreanische Metropole Seoul. In „Parasite“ freuen sich die da oben, die in den wohlhabenden Vierteln auf den Hügeln leben, wenn es mal so richtig schüttet, weil der Regen den Dreck aus der Luft filtert. Unterdessen kämpfen die da unten, deren karge Behausungen überflutet werden, um ihr nacktes Überleben oder zumindest ihr letztes verbliebenes Hab und Gut. Joon-ho („Memories Of Murder“, „Mother“) findet viele eindringliche Bilder für die Perversitäten des Wohlstandes – und trotzdem ist „Parasite“ nicht etwa ein Sozialdrama, sondern eine schwarzhumorige, temporeiche, grandios gefilmte, erwartet extreme Tragikomödie, die trotz des zunehmenden Kippens ins Absurde einem unverhohlenen und unverhohlen unterhaltsamen Aufruf zur Revolution gleichkommt.
Die „Parasiten“ aus dem Titel sind Ki-taek (Kang-ho Song), seine Frau Chung-sook (Hyae Jin Chang) und ihre Teenager-Kinder Ki-woo (Woo-sik Choi) und Ki-jung (So-dam Park), die sich mit dem miserabel bezahlten Zusammenfalten von Pizzakartons über Wasser halten. Ansonsten leben sie von anderen, etwa indem sie in ihrer Kellerwohnung übelste Verrenkungen vollziehen, um umsonst an WLAN zu kommen. Oder sie lassen einfach das Fenster offen, als auf der Straße Ungeziefervernichtungsmittel gesprüht wird, damit auch die Kakerlaken in ihrer Behausung etwas davon abbekommen. Aber dann eröffnet sich für Ki-woo unerwartet die Chance, der Tochter des reichen Geschäftsmanns Mr. Park (Sun-kyun Lee) und seiner mit der Erziehung ihrer zwei Kinder offenbar überforderten Frau Yeon-kyo (Yeo-Jeong Cho) Englisch-Nachhilfeunterricht zu geben. Jetzt, wo er erst einmal einen Fuß in der Tür zu dem Luxusanwesen hat, sorgt Ki-woo im Stil eines erfahrenen Trickbetrügers dafür, dass nach und nach auch seine Familienmitglieder alle einen Job bei den Parks bekommen. Aber das ist nur der erste Schritt...
Ki-taek und seine Familie verdienen ihren Hungerlohn mit Pizzakartonfalten...
Die erste Stunde von „Parasite“, in dem sich die arme Familie im Stil eines Heist-Films nach und nach bei den reichen Parks einschleicht, ist ebenso clever wie komisch. Bei der Weltpremiere in Cannes gab es gleich mehrfach lauten Szenenapplaus, etwa wenn Ki-jung ihre verunsicherte neue Arbeitgeberin mit ihrem angegoogelten Kunsttherapie-Wissen in pure Panik versetzt. Sie muss einfach nur andeuten, dass einige der krakeligen Wachsmalstriche ihres offensichtlich unbegabten Sohnes für ein tiefsitzendes Traumata sprechen könnten.
„Parasite“ ist eine brillant geschriebene, ätzend-satirische Thriller-Komödie, die sich übrigens kein bisschen „kleiner“ oder „intimer“ anfühlt als Joon-hos vorherige Blockbuster „Snowpiercer“ und „Okja“, nur weil sie fast ausschließlich in einer Wohnung und einem Haus spielt. Ganz im Gegenteil: Gerade die Räume des modernen Designerhaus der Parks fängt Kameramann Kyung-pyo Hong („The Wailing“, „Burning“) in grandiosen Breitbild-Einstellungen ein und verleiht dem Film so trotz seiner räumlichen Limitierungen einen geradezu epischen Look.
Aber Bong Joon-ho wäre nicht Bong Joon-ho, wenn es bei dieser fantastischen, aber vergleichsweise geradlinigen Thriller-Komödie bleiben würde. Es hat vielmehr schon seinen Grund, dass Joon-ho die anwesenden Journalisten in Cannes (wie übrigens nur wenige Stunden zuvor auch schon Quentin Tarantino in Bezug auf „Once Upon A Time In... Hollywood“) noch einmal in einem persönlichen Brief gebeten hat, die späteren Ereignisse in „Parasite“ nicht zu spoilern. Und zum Fortgang des wendungsreichen Plots werden wir natürlich auch nichts verraten – aber wer die Filme von Joon-ho kennt, der kann sich natürlich ausmalen, dass es da irgendwann noch sehr brutal, sehr absurd und immer unterhaltsam zugehen wird. Das ist dann zwar nicht mehr ganz so fein komponiert wie in der konzentrierteren ersten Hälfte, manchmal ist es sogar arg brachial konstruiert, aber Joon-ho ist eben auch ein Regisseur mit einer Mission.
Ki-woo bekommt zu Beginn von seinem Freund nicht nur den Job als Englischlehrer, sondern auch einen klobigen, seinem Besitzer Wohlstand versprechenden Sammlerfelsen geschenkt. „Ein sehr metaphorisches Geschenk“, wie Ki-woo selbst anmerkt – und zugleich auch eine perfekte Vorwegnahme des Films, in dem Joon-ho sicherlich nicht subtil, aber ungemein effektiv mit kraftvollen Metaphern voller sozialer Sprengkraft arbeitet. Neben dem bereits erwähnten Regen, der bei den Reichen nur den Dreck, aber bei den Mittellosen ihr ganzes Leben wegspült, macht Mr. Park bei seinem neuen Fahrer auch diesen Gestank aus, den man nur von armen Menschen kennt und den man etwa in der U-Bahn ganz deutlich riechen kann.
... und zwängen sich noch in die kleinsten Ecken, um umsonst an WLAN zu kommen.
Joon-ho zeichnet die Mitglieder der Familie Park als höfliche, freundliche, sympathische, sich redlich bemühende Menschen. Yeon-kyo verteilt sogar ungefragt Gehalterhöhungen („wegen der Inflation“). Joon-ho macht es sich also nicht so einfach, die Reichen einfach als Karikatur-Bonzen zu diskreditieren. Aber es sind solche kleinen Momente wie die etwas zu laut ausgesprochene Bemerkung mit dem Geruch, die immer wieder verdeutlichen, was für Welten doch zwischen den beiden Familien liegen. Und Joon-ho macht ganz sicher keinen Hehl daraus, auf wessen Seite sein Publikum stehen soll, wenn es schließlich hart auf hart kommt.
Fazit: Bong Jong-ho hat wieder zugeschlagen und liefert eine gewohnt brillant inszenierte, ebenso saulustige wie bitterböse Tragikomödie mit einer gewaltigen sozialen Sprengkraft.
Wir haben „Parasite“ beim Filmfestival in Cannes gesehen, wo er im offiziellen Wettbewerb gezeigt wurde.