Liam Neeson als Schnüffler alter Schule
Von Oliver KubeNach einer actionreicheren Szene sagt der Titelheld einmal: „Ich werde zu alt für das hier!“ Das klingt wie ein augenzwinkernder Meta-Kommentar zur Karriere des Hauptdarstellers, schließlich hat Liam Neeson im Juni 2023 bereits sein 71. Lebensjahr vollendet. Die lange Reihe an Action-Krachern, in denen der Nordire seit dem Überraschungserfolg von „96 Hours - Taken“ immer wieder eine nur leicht variierte Ein-Mann-Armee verkörpert, scheint sich ja langsam dem Ende zuzuneigen. Zumindest, wenn man den Ankündigungen des Stars selbst Glauben schenken darf.
Das sich vor dem Noir-Genre verneigende Crime-Drama „Marlowe“ könnte für ihn tatsächlich eine Art Übergang in etwas ruhigere Gefilde signalisieren. Neeson selbst scheint den Auftritt als Philip Marlowe in seinem immerhin 100. Film jedenfalls genossen zu haben. Selbst wenn „Interview mit einem Vampir“-Regisseur Neil Jordan uns den längst legendären Privatschnüffler hier nur in einem allenfalls soliden, nur selten wirklich packenden Thriller präsentiert.
Liam Neeson reiht sich nach u. a. Humphrey Bogart und Robert Mitchum in die Riege von Stars ein, die Philip Marlowe bereits in Filmen verkörpert haben.
1939, Los Angeles: Philip Marlowe (Liam Neeson) rennen die Klient*innen nicht gerade die Tür ein – und so greift der unehrenhaft aus dem Polizeidienst entlassene Privatdetektiv schon mittags zu dem einen oder anderen Whisky. Da schneit plötzlich Clare Cavendish (Diane Kruger) in sein Büro. Ihr Liebhaber Nico Peterson (François Arnaud) sei spurlos verschwunden. Marlowe soll den als Filmrequisiteur arbeitenden Mann finden – möglichst lebendig. Der recht üppige Vorschuss, den die Tochter eines früheren Leinwandstars (Jessica Lange) auf den Tisch legt, kommt gerade recht. Zudem könnte er einer dermaßen attraktiven Dame ohnehin nie einen Wunsch abschlagen. So macht sich Marlowe auf die Suche und gerät dabei mitten hinein in eine vertrackte Verschwörung, in die auch allerhand Leute verstrickt sind, die offenbar vor nichts zurückschrecken…
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Der 1939 in „The Big Sleep“ etablierte Philip Marlowe ist noch immer DER prototypische Privatdetektiv der Filmgeschichte. „Marlowe“ beruht nun wiederum auf dem erst 2014 veröffentlichten Roman „Die Blonde mit den schwarzen Augen“ von Benjamin Black alias John Banville*, der sich den Protagonisten von seinem längst verstorbenen Erfinder Raymond Chandler ausgeborgt hat. Liam Neeson spielt die ikonische Figur auf eine für ihn typische, abgeklärte Weise ohne größere Manierismen. Das passt einerseits zur Vorlage, ist aber auch etwas eintönig. Am meisten erfahren wir über den Einsamen Wolf in den Szenen mit seinem ehemaligen Partner aus den Reihen der Polizei – verkörpert von Ian Hart („Michael Collins“). Allzu viel Tiefgründiges oder gar Interessantes kommt allerdings auch dabei nicht herum.
Marlowe mag im Zentrum der Story stehen, hat – mal abgesehen von der eingangs erwähnten Actionszene – selbst aber wenig mehr zu tun, als das Publikum von einem Schauplatz zum nächsten zu führen und ihm dabei zu helfen, die Puzzlestücke des Mysteriums zusammenzufügen. Wobei erfahrene Krimi- und Thriller-Fans dem Protagonisten schon bald immer ein, zwei Schritte voraus sein dürften. So durchschaubar ist das alles aufgebaut. Und zwar bis zum finalen Twist. So will einfach keine echte Spannung aufkommen. Zumal das ohnehin schon gemächliche Tempo immer wieder durch erklärende Mono- und Dialoge noch weiter verschleppt wird.
Da helfen auch keine offensichtlich als Ablenkungsmanöver eingebauten Nebenfiguren wie der von „Lost“-Star Adewale Akinnuoye-Agbaje verkörperte Chauffeur eines Gangsterbosses (Alan Cumming). Der sorgt aufgrund seiner trockenen Coolness und der erstklassigen Performance des Darstellers als Marlowes Sidekick im letzten Drittel der Handlung zwar für gute Laune, ist aber nüchtern betrachtet eher überflüssig. Ähnliches gilt für Colm Meaneys („Star Trek: Deep Space Nine“) Part als ein weiterer Ex-Kollege der Titelfigur.
Durchgehend Spaß macht hingegen die Konsequenz, mit der Neil Jordan uns die Old-School-Welt des Films präsentiert. Positiv sind dabei vor allem die Ausstattung und die Atmosphäre zu erwähnen. Durch die schönen alten Bauten und Autos, speziell aber auch das fahle Licht und die passend dazu verblichen anmutende Farbpalette, kommt hier tatsächlich so etwas wie klassisches Hollywood-Feeling auf. Da hat Chef-Kameramann Xavi Giménez („Der Maschinist“) wirklich ganze Arbeit geleistet. Denn gedreht wurde das Projekt komplett in Barcelona und Dublin – also weit weg vom Schauplatz der Handlung im Süden Kaliforniens.
Eine klassische Femme fatale? Diane Kruger als mysteriöse Auftraggeberin Clare Cavendish.
In Bezug auf die Sprache halten sich Neil Jordan und sein Co-Autor William Monahan (Oscar für sein Drehbuch zu „Departed - Unter Feinden“) ebenfalls an ihre Mission, eine möglichst authentische Hommage an Raymond Chandlers Philipp Marlowe abzuliefern.: Derbe Schimpfwörter sind routinemäßig Teil des Vokabulars – ganz egal ob sexistisch („Bräute“) oder rassistisch („Bohnenfresser“) konnotiert. Dazu rauchen viele Figuren wie Schlote, Alkohol ist immer schnell zur Hand und kräftig gekokst wird obendrein. Die Frage, ob jemand sein Mittagessen lieber „fest oder flüssig“ zu sich nehme, sorgt in diesem Umfeld jedenfalls für keinerlei Verwunderung.
Und so gilt insgesamt für „Marlowe“: Wer sich bereits an der authentischen Retro-Machart samt entsprechender Sprache erfreuen kann, hat hier deutlich bessere Karten als all diejenigen, die sich einen spannenden neuen Kriminalfall für den Privatdetektiv erhoffen…
Fazit: Liam Neeson ist zwar glaubhaft, aber nicht besonders aufregend als stoischer Old-School-Schnüffler. Dazu kommt eine eher müde, gelegentlich umständlich konstruierte und dennoch leicht durchschaubare Crime-Story. Zumindest visuell wie atmosphärisch kann „Marlowe“ hingegen voll überzeugen.
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