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    Super Dark Times
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Super Dark Times
    Von Andreas Staben

    Ein guter Anfang ist beim Geschichtenerzählen bekanntlich Gold wert und in diesem Punkt übertrifft Kevin Phillips alle einschlägigen Ratgeberbücher. Er eröffnet sein Langfilmregiedebüt „Super Dark Times“ mit einer rätselhaften, beunruhigenden, brutalen und zugleich poetischen Szene, die einen mit suggestiven Kamerabewegungen und Schnitten unmittelbar in den Film hineinzieht: Am Ende einer langen Blutspur wird ein verletzter Hirsch in einer Highschool-Cafeteria entdeckt. Dieser Auftakt hat nichts mit der folgenden Handlung im engeren Sinne zu tun, aber er etabliert unmittelbar eine unterschwellige Irritation, die bestens zu dem sich anschließend entfaltenden Coming-of-Age-Drama passt. Denn was als treffende Pubertätsstudie beginnt, kippt alsbald in eine Tragödie um und nimmt letztlich eine Wendung in den reinen Horror. Phillips und seine ebenfalls ihren Spielfilmeinstand feiernden Drehbuchautoren Ben Collins und Lukas Piotrowski wagen sich an ein breites erzählerisches Spektrum, das von Anklängen an „Stand By Me“ und „Stranger Things“ in die 90er versetzt über unheimliche Traumsequenzen à la David Lynch und ein auffälliges „Antichrist“-Zitat bis zu „Donnie Darko“ und schließlich zum Teenie-Slasher reicht. Abgesehen von ein paar holprigen Übergängen bringen sie all dies erstaunlich überzeugend unter einen Hut und geben eine überaus vielversprechende Visitenkarte ab.

    In einer namenlosen Stadt im Hudson Valley, Mitte der 1990er Jahre: Die Teenager Zach (Owen Campbell, „The Americans“) und Josh (Charlie Tahan, „I Am Legend“) sind beste Freunde und hängen nach der Schule häufig noch gemeinsam rum, spielen Videospiele, schauen verschlüsselte Pornos oder quatschen über Mädchen. Manchmal sind auch die übergewichtige Nervensäge Daryl (Max Talisman) und der vernünftige Charlie (Sawyer Barth) dabei. Eines Nachmittags zeigt Josh den anderen drei Jungs das Samuraischwert seines älteren Bruders, der zu den Marines gegangen ist. Sie nehmen die scharfe Waffe mit in den Wald und durchtrennen mit ihr Milchkartons, doch dann kommt es zu einem fatalen Zwischenfall. Die Freunde beseitigen die Spuren, verstecken das Schwert und vereinbaren Stillschweigen. Während Josh sich in seinem Zimmer verschanzt und mehrere Tage nicht zur Schule kommt, weiß Zach nicht, was er tun soll. Für zusätzliche Verwirrung sorgt ihre Klassenkameradin Allison (Elizabeth Cappuccino, „Marvel’s Jessica Jones“), für die beide Freunde eine Schwäche haben…

    Nach der verstörenden Eröffnung nehmen sich die Filmemacher um Regisseur Kevin Phillips erst mal die nötige Zeit, um die jugendlichen Protagonisten einzuführen. Wir lernen Zach und Josh als typische, in ihrer Mischung aus tastender Großspurigkeit und schlecht versteckter Unbeholfenheit absolut echt wirkende Teenager kennen, die von sexuellen Abenteuern fantasieren, sich bei Gesprächen über Comichelden aber viel wohler zu fühlen scheinen. Besonders schön ist der Leerlauf an den im Grunde ereignislosen Nachmittagen nach der Schule eingefangen, wenn die drohende Langeweile die Jungs zu stupidem Parkplatzgeplänkel, ekligen Essenswetten mit getrocknetem Tintenfisch oder zu gefährlichen Spielereien verleitet. Dabei steht das ständige Fluchen und Raufen in der Vierergruppe, bei dem sich der etwas grob angelegte Außenseiter Daryl unrühmlich hervortut, in vielsagendem Kontrast zur Schüchternheit Zachs in den Szenen mit seinem Schwarm Allison. Die beste von ihnen: Wenn das Mädchen nach dem tragischen Unfall, von dem es nichts ahnt, zu ihm nach Hause kommt und ihm seine Zuneigung zeigt, dann wird die herzklopfende Romantik dieses von ihm lang herbeigesehnten Moments von grausamem Ernst und lähmender Überforderung überlagert. Bis er seiner Traurigkeit an ihrer Schulter freien Lauf lässt und sie ihn wortlos in den Arm nimmt.

    Die flüchtige Zärtlichkeit zwischen Allison und Zach ist in diesem Film eine große Ausnahme. Und auch die mit viel Liebe zum Detail zum Leben erweckten 90er Jahre, in denen man als Jugendlicher noch einen Walkman hatte und mit dem Fahrrad durch Gegend fuhr, statt am Smartphone zu hängen, werden hier nicht etwa als eine nostalgisch verklärt, ganz im Gegenteil. Wärme und Hoffnung haben in „Super Dark Times“ (der ironische Titel passt zur unbeholfenen Ausdrucksweise der jugendlichen Figuren aber nicht zum Tonfall des durch und durch dramatisch ernsten Films selbst) kaum Platz. Sie blitzen nur als weibliche Attribute auf, wenn Allison oder Joshs alleinerziehende Mutter Karen (Amy Hargreaves, „Tote Mädchen lügen nicht“) auftreten, bleiben in dieser unwirtlichen, seltsam entvölkerten Vorstadtwelt jedoch chancenlos, was von den expressiven herbstlich-surrealen Naturbildern noch unterstrichen wird. In den jungen Männern regen sich entsprechend düstere Instinkte: Ihre Sorglosigkeit verwandelt sich in Schuld, schleichend erobern mit dem aufziehenden Winter Kälte und Paranoia ihre Herzen, während von den Vätern nichts zu sehen ist. Es ist ein düsterer Befund zu den Themen Gewalt und Männlichkeit, der hier unter der Oberfläche durchscheint – da ist dann auch die schockierende Wendung ins Horrorgenre, die einzig von den einfühlsamen Schauspielern geerdet wird, letztlich nur konsequent.

    Fazit: Die Schrecken des Erwachsenwerdens werden in „Super Dark Times“ als faszinierend-verstörende Mischung aus Teenager-Drama und Coming-of-Age- Horrorfilm auf die Leinwand gebracht: ein erstklassiges Regiedebüt!

    Wir haben „Super Dark Times“ in einer Pressevorführung für das Fantasy Filmfest 2017 gesehen, wo er in der Sektion Fresh Blood gezeigt wird.

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