Kevin Smith für Fortgeschrittene
Von Christoph PetersenDie Idee hinter einem Reboot ist ja eigentlich, die alten Fans einer Marke erneut an Bord zu holen, während man zugleich auch neuen Zuschauern einen (verspäteten) Einstieg ins Franchise ermöglicht. Klar erkennt man in J.J. Abrams‘ Reboot „Star Trek – Die Zukunft hat begonnen“ mehr Anspielungen und Querverweise, wenn man die Bauteile eines Warp-Antriebs im Schlaf aufsagen kann. Aber das Ansehen macht auch ohne jegliche „Raumschiff Enterprise“-Vorbildung (fast) genauso viel Spaß.
Im Fall von „Jay And Silent Bob Reboot“ sollte man sich vom Titel aber trotzdem nicht täuschen lassen. Der Zusatz „Reboot“ ist nämlich nur ein weiterer von unzähligen Insidergags, mit denen Kevin Smith den siebten Film seines persönlichen New-Jersey-Kinouniversums (das sogenannte View Askewniverse) bis obenhin vollgestopft hat. Wer nicht alle vorherigen Filme der 1994 mit dem Videotheken-Kultfilm „Clerks – Die Ladenhüter“ begonnenen Reihe aus dem Effeff kennt, wird sich hier schnell hoffnungslos verloren fühlen.
Jay und Silent Bob - das Kult-Duo des Neunziger-Indiekinos ist zurück!
Als Jay (Jason Mewes) und Silent Bob (Kevin Smith) wegen des Vertickens von Marihuana vor Gericht landen, kann der Anwalt Brandon St. Randy (Justin Long) die zwei Kleindealer zwar vor einer Verurteilung bewahren, indem er dem Richter Jerry N. Executioner (Craig Robinson) vorschwindelt, es hätte sich bei dem als Front für den Drogenverkauf dienenden Hähnchenimbiss Cock Smoker in Wahrheit nur um eine Pop-Up-Marketingaktion für einen Kino-Blockbuster gehandelt.
Zugleich luchst der Anwalt seinen unbedarften und zugedröhnten Mandanten aber auch die Rechte an ihren Namen ab, um einen Big-Budget-Reboot von „Bluntman v Chronic“ (eine Comicbuch-Reihe, die auf dem Leben der Kiffer-Kumpels basiert) zu realisieren. Jay and Silent Bob, die nun ihre eigenen Namen nicht mehr benutzen dürfen, machen sich auf den Weg einmal quer durch die USA bis nach Hollywood, um die Angelegenheit bei einer „Bluntman v Chronic“-Fanconvention persönlich zu klären...
Wenn weiter oben in dieser Kritik steht, dass man alle bisherigen New-Jersey-Filme von Kevin Smith (also „Clerks“, „Mallrats“, Chasing Amy“, Dogma“, „Jay und Silent Bob schlagen zurück“ und „Clerks II“) bestenfalls auswendig kennen sollte, dann ist das sogar noch eine Untertreibung. Zusätzlich sollte man nämlich auch noch mit dem kompletten weiteren Oeuvre des Regisseurs (inklusive seines Podcast „SModcast“) sowie seinen familiären wie beruflichen Beziehungen möglichst gut vertraut sein. Es ist ohne weiteres denkbar, dass „Jay And Silent Bob Reboot“ der selbstreferenziellste Film ist, der jemals gedreht wurde.
So vernascht Kevin Smith als Silent Bob seine Real-Life-Ehefrau Jennifer Schwalbach Smith auf der Toilette des Fast-Food-Restaurants aus „Clerks II“, während seine Real-Life-Tochter Harley Quinn Smith sich als Jays Tochter Milli darüber beschwert, dass Kevin Smith (der sich im Film in einer Doppelrolle auch noch selbst spielt) „seine Tochter in jeden Scheiß steckt, den er dreht“. Zudem gibt es Seitenhiebe auf Smiths eigenen Bruce-Willis-Flop „Cop Out“ – und Cameo-Auftritte von ehemaligen Darstellern seiner Filme im Minutentakt. Im Comiclanden von Jason Lee sind die Mallrats nicht länger Teenager, die in einer Mall abhängen, sondern tatsächlich Ratten in einem Kaufhaus – und eine ausgiebige Meta-Diskussion über den Unterschied zwischen Reboot und Remake gibt es noch gratis dazu.
Kult-Filmemacher Kevin Smith und FILMSTARTS-Redakteur Christoph Petersen beim Interview in London.
Sogar Ben Affleck, der nach einem Streit zehn Jahre lang nicht mit seinem Ex-Kumpel Smith gesprochen hat, ist wieder mit dabei. Zu „Jay And Silent Bob Reboot“ trägt er einen „Batman v Superman“-Diss bei, der so viel besser zündet als der schmerzhaft umständlich vorbereitete „Dogma“-trifft-„Bourne Identität“-Kalauer von Matt Damon eine Stunde zuvor. Sowieso ist die Qualität der Gags extrem schwankend: Der Humor in „Jay And Silent Bob“ funktioniert in erster Linie über die schiere Masse sowie das konsequent hohe Tempo – und natürlich die Nostalgie, wenn etwa Original-Ladenhüter Brian O'Halloran gleich in der ersten Szene den „Clerks“-Shop Quick Stop Groceries aufzuschließen versucht.
Aber nicht nur der Humor schießt in alle Richtungen, auch die Auswahl der Popkultur-Anspielungen ist – positiv ausgedrückt – „überraschend“. Natürlich hat Kevin Smith sehr viel zu Comics und Superhelden zu sagen (Marvel-Filme lassen ihn doppelt so hart kommen wie Pornhub), aber daneben lebt er in „Jay And Silent Bob Reboot“ etwa auch seine persönlich Obsession für den „Law & Order“-Schöpfer Dick Wolf aus. Selbst die Kevin-James-Sitcom „Kevin Can Wait“, die ansonsten in der öffentlichen Wahrnehmung fast gar keine Rolle gespielt hat, muss für einen Joke herhalten. Das mag man beliebig finden (und liegt damit wahrscheinlich auch nicht falsch) ...
... aber am Ende ist es halt 100 Prozent Kevin Smith – so unverfälscht wie noch nie. Im FILMSTARTS-Interview hat Smith uns erzählt, dass ihn seine Produzenten früher für verrückt erklärt hätten, dass er seine Filme alle im selben Universum spielen lässt, obwohl das für die Geschichten eigentlich gar nicht nötig wäre. Das würde potenzielle Zuschauer nur abschrecken. Inzwischen jedoch würden die Geldgeber regelrecht darauf bestehen, denn Kinouniversen sind auch dank dem Marvel Cinematic Universe nun mal schwer angesagt: Selbst wenn die Reihen und ihre Konzepte wirklich gar nichts miteinander zu tun haben, scheint das Schlagwort „Universe“ einfach unwiderstehlich sexy für Investoren und Studiobosse zu sein.
In der (schönen) neuen Filmwelt muss man eben nicht mehr alle ansprechen. Es reicht im Gegenteil sogar eine verhältnismäßig kleine Gruppe, deren Nerv man dafür aber mit der Präzision einen Scharfschützengewehrs treffen muss – und „Jay And Silent Bob Reboot“ ist das perfekte Beispiel dafür. Nach dem US-Kinostart gab es eine Tour durch Nordamerika, bei der Kevin Smith den Film seinen Fans persönlich vorstellte. Die Veranstaltung füllte dabei Abend für Abend nicht nur herkömmliche Kinosäle, sondern auch kleine Stadien, wobei die Zuschauer vor allem auf die Insidergags absolut euphorisch reagierten. Im Interview haben wir Smith deshalb gefragt, ob er „Jay And Silent Bob Reboot“ denn zu Testzwecken auch mal jemandem gezeigt hätte, der keinen seiner früheren Filme kennt? Seine Antwort: Nein, das würde er seinem schlimmsten Feind nicht antun wollen!
Fazit: Ein Film für Kevin-Smith-Superfans – und zwar nur für Kevin-Smith-Superfans! Aber die kommen dafür auch voll auf ihre Kosten.