John Carpenter hat uns viele Klassiker beschert: Dark Star, „Halloween “, „The Fog“, „Christine“ und „Sie leben!“ zum Beispiel; andererseits hat er aber auch Filme gedreht, die in keiner Weise überzeugen können, wie Flucht aus L.A. oder „Ghosts Of Mars“. Carpenters Science-Fiction-Actionfilm „Die Klapperschlange“ hat es in die Herzen der Cineasten geschafft, sogar bis in die SZ-Cinemathek. In erster Linie können das Szenario und die Performance von Kurt Russell überzeugen. „Die Klapperschlange“ macht einfach richtig viel Spaß und wirkt auch mehr als 30 Jahre nach seinem Kinostart noch immer zeitgemäß, zumindest stilistisch.
„Call me Snake.“
Wir schreiben das Jahr 1997. Die Welt steht kurz vor einem Atomkrieg und die ehemalige Kulturmetropole New York ist zu einer riesigen, von hohen Mauern umgebenen Gefängnisinsel umfunktioniert worden – eine Art Australien zur Zeit britischer Schirmherrschaft. Im Gefängnis selbst gibt es keine Wärter, die Inhaftierten müssen sich selbst organisieren und von den monatlich abgeworfenen Lebensmittelrationen leben. Weil er ein Atomwaffendepot überfallen wollte (womöglich um einen Atomkrieg zu erschweren), soll der ehemalige Kriegsheld Snake Plissken (Kurt Russell) in diesen Moloch verfrachtet werden. Doch genau am Tag seiner Inhaftierung stürzt die „Air Force One“ – von einem „antiimperialistischen Selbstmordkommando“ unter Kontrolle gebracht – über New York City ab. Nur der Präsident (Donald Pleasence) kann sich mit Hilfe einer Kapsel retten; die übrige Besatzung kommt zu Tode, als die Terroristen die Maschine an einem Hochhaus zerschellen lassen… (Die Twin Towers stehen in „Die Klapperschlange“ zwar noch, aber als visionär kann diese Drehbuchidee wohl dennoch bezeichnet werden). Da ein Zugriff der Armee unmöglich ist, der Präsident befindet sich in der Gewalt des „Duke“ (Isaac Hayes) und würde beim kleinsten Mucks seitens der Sicherheitskräfte getötet werden, bietet der Einsatzleiter (Lee van Cleef) unserem Helden Snake Plissken einen Deal an: Er geht undercover in den Knast, holt den Staatsführer raus und bekommt dafür Straferlass. Um Plisskens Motivation zu steigern, bekommt er eine kleine Sprengkapsel implantiert, die nach Ablauf einer Frist von 24 Stunden seine Hauptschlagader zum Platzen bringt…
„Die Klapperschlange“ gehört filmhistorisch in den Kontext jener Filme, die um 1980 die kollektive Angst vor einem weltweiten Atomkrieg ausdrückten, wie Mad Max oder Stalker. Und Carpenter gelingt es hervorragend, über die Spieldauer des Films eine apokalyptische Endzeit-Atmosphäre zu generieren. Das funktioniert dank seinem beinahe apathisch agierenden Protagonisten und noch mehr durch den immensen Aufwand, mit dem ein trostloses New York etabliert wird (ein ähnlich trostloses, wenn auch nicht apokalyptisches New York zeigt Jim Jarmusch in seinem Debüt Permanent Vacation). Von Woody Allen oder gar dem traditionellen Broadway ist keine Spur mehr zu sehen, selbst die Freiheitsstatue ist längst umgefallen. Die Straßen sind voller Müll, fast der ganze Film spielt im Dunkeln und als Zuschauer hat man das Gefühl einer permanenten Bedrohung. Die ausgeklügelte Beleuchtung, die immer nur das Nötige zeigt und unzählige Schatten an die Wände wirft, spielt in der Gestaltung des Stadtbilds ebenfalls eine große Rolle. Und auch der dezent vorantreibende, düstere Soundtrack von John Carpenter und Alan Howarth trägt zur allgegenwärtigen Gesamtstimmung entscheidend bei.
Ein kleines Problem des Films liegt darin, dass Carpenter seine Geschichte recht seelen- und charakterlos abspult. Am Anfang freut man sich richtig auf das Innere der Gefängnisinsel, man will mehr erfahren über die Subkultur, die sich dort etabliert haben muss. Wie ist es wohl, mit unzähligen Schwerverbrechern in einer aus den Fugen geratenen Großstadt zu hausen? Carpenter scheint sich leider nicht die Bohne für diese Frage zu interessieren; nur ein paar müde Andeutungen haben es in den Film geschafft: Eine Bande überlebt gegen Monatsende nur dank Kannibalismus, die Kriminellen haben ein kleines Theater aufgebaut und der Broadway ist in der Hand wütender Gangs. Anstatt ein wenig in die „neue Gesellschaft“ New Yorks einzutauchen, treibt Carpenter seine Geschichte mit schnellen Schritten voran. In der allgemeinen Hatz gehen die exzellent besetzten Nebenfiguren beinahe komplett unter, einzig Ernest Borgnine als Taxifahrer „Cabbie“ gelingt es dank Charisma sich freizuschwimmen. Harry Dean Stanton (Paris, Texas) hingegen, das legendäre erste Opfer aus Alien, geht unter und darf in seiner Rolle als „Brain“ etwa ein Achtel seiner Fähigkeiten präsentieren.
Das ist aber nur eine Randnotiz, denn „Die Klapperschlange“ ist ein Film, den man sich immer wieder gerne ansieht. Das Setting ist dermaßen atmosphärisch, dass die Schwächen des Films problemlos verziehen werden können. Und auch Kurt Russell kann vollends überzeugen – ohne Übertreibung darf seine Verkörperung des Snake Plissken der Höhepunkt seiner Laufbahn bezeichnet werden. John Carpenter serviert dem Zuschauer die Endzeit als Schauwert, und zwar als einen, an dem man sich kaum satt sehen kann.