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    Don't worry, weglaufen geht nicht
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Don't worry, weglaufen geht nicht
    Von Carsten Baumgardt

    Der US-amerikanischen Cartoonisten John Callahan (1951 - 2010) erlebte in seinem Leben gleich zwei Momente, in denen sich für ihn alles schlagartig veränderte. Als er 1972 beim Partyhopping so schwer versackte, dass er schließlich in den Wagen seines ebenso Sturzbesoffenen Kompagnons stieg, erlitt er bei einem Unfall einen Wirbelbruch, der zu einer Querschnittlähmung führte und ihn für den Rest seines Lebens an den Rollstuhl fesselte - nur seinen Kopf und mit starken Einschränkungen seine Arme konnte er anschließend noch bewegen. Sein Schicksal wendete sich ein weiteres Mal, als der schwere Alkoholiker eines Tages auf der verzweifelten Suche nach etwas Hochprozentigem in seiner Wohnung eine Erleuchtung hatte und dem Trinken daraufhin abschwor. Auf genau diese zwei so unterschiedlichen Pole konzentriert sich nun auch Gus Van Sant in seinem Biopic-Drama „Don't Worry, weglaufen geht nicht“. In dieser Simplizität liegt zugleich aber auch der Schwachpunkt des Films, den Van Sant macht es sich damit schlicht zu einfach. „Don't Worry, weglaufen geht nicht“ ist eine unausgewogene Mischung aus einem bitteren Schwersttrinker-Drama und einem erbauenden Wohlfühlfilm.

    Der junge John Callahan (Joaquin Phoenix) weiß mit seinem Leben wenig anzufangen. Neben Saufen und Party läuft bei ihm nicht viel. Und das wird ihm auch auf tragische Weise zum Verhängnis. Eines Abends trifft John den lustigen Dexter (Jack Black) und geht mit ihm auf Sauftour durch Los Angeles. Sie wollen ans andere Ende der Stadt, weil es dort angeblich noch heißere Frauen zum Abschleppen gibt. Doch Dexter schläft am Steuer seines VWs ein und baut einen folgenschweren Autounfall, bei dem John so schwer verletzt wird, dass er querschnittsgelähmt bleibt, während Dexter nur ein paar Kratzer abbekommt. John hat große Probleme, seinen Alltag im Rollstuhl zu akzeptieren und säuft einfach weiter. Nach einer Erleuchtung besucht John zum ersten Mal ein Treffen der Anonymen Alkoholiker, wo er auf den reichen, charismatischen Donny (Jonah Hill) trifft, der als eine Art Guru auftritt und eine Gruppe von Alkoholikern (u.a Udo Kier, Beth Ditto und Kim Gordon) um sich versammelt hat, die er liebevoll „seine Ferkel“ nennt. Ohne den Alkohol entdeckt John sein Talent fürs Zeichnen von Cartoons und wird so schnell zu einer kleinen Berühmtheit: Seine politisch oft unkorrekten, schwarzhumorigen Zeichnungen erscheinen in Zeitungen und Magazinen bis hin zum Playboy

    Gus Van Sants „Don't Worry, weglaufen geht nicht“ ist nicht nur eine Verfilmung von John Callahans gleichnamiger Autobiografie, sondern zugleich auch eine Quasi-Adaption des berühmten 12-Schritte-Programms der Anonymen Alkoholiker. Damit das nicht allzu dröge wirkt, verschleiert Van Sant diesen formelhaften Ansatz, indem er für sein Drama eine kunstvoll-verschachtelte Erzählstruktur kreiert, die immer wieder mühelos zwischen mehreren Zeitebenen hin- und her bewegt (nur unterbrochen von Callahans Cartoons, die sich immer wieder wie von selbst auf die Leinwand zeichnen). Hier zeigen sich die außergewöhnlichen handwerklichen Fähigkeiten des zweifach oscarnominierten Regisseurs (für seine Karrierehighlights „Milk“ und „Good Will Hunting“). So erreicht die Erzählung einen gewissen Schwebezustand, bei dem es irgendwann auch keine große Rolle mehr zu spielen scheint, in welcher Periode von Callahans Leben wir uns gerade befinden – Van Sant nähert sich der außergewöhnlichen Lebensgeschichte fließend an, statt sie chronologisch abzuhaken. Nur die markanten Wendepunkte stellt Van Sant dann im Gegenzug überdeutlich heraus: Mehr als eine Stunde lang porträtiert er diesen John Callahan als Ritter von der traurigsten Gestalt. Er säuft trotz Querschnittlähmung unbeirrt weiter, tyrannisiert seine Umwelt rüde und versinkt regelrecht im Selbstmitleid. Dieser John Callhan ist ein total kaputter Typ, für den man nur Mitleid haben kann, denn für Mitgefühl reicht es nicht. Bis hierhin hat „Don't Worry, weglaufen geht nicht“ den Unterhaltungswert einer Therapiesitzung der Anonymen Alkoholiker.

    Nachdem der Zustand des Protagonisten dann holterdiepolter, aber nicht unerwartet (schließlich eröffnet der Film mit einem öffentlichen Auftritt des Cartoonisten in einem vollbesetzten Saal) gekippt ist, verändert sich die Temperatur der Erzählung. Alles, was bisher noch so verbittert und verzweifelt rüberkam, bekommt nun plötzlich einen warmherzigen Touch. Dieser absolut krasse Tonwechsel macht den Film letztendlich unrund, weil er nun tatsächlich aus zwei ungleichen Teilen besteht - dem Arschlochteil und dem Trockenteil, wo die Welt ohne Alkohol mit einmal rosarot statt düster aussieht, wobei die Grautöne völlig auf der Strecke bleiben. Wenn sich etwa die ehemalige Rehabetreuerin Annu (Rooney Mara) in den früheren Kotzbrocken verliebt, dann geschieht das im Film wenig überzeugend mit einem einzelnen Schnitt - wobei das insgesamt schon fast wieder ins Bild passt, Annu bleibt nämlich sowieso eine einzige Leerstelle, die die ganze Zeit einfach nur supersüß und superlieb lächeln darf. Letztendlich läuft es darauf hinaus, dass „Don't Worry, weglaufen geht nicht“ sich auf der Zielgeraden doch noch als lebensbejahender Fell-Good-Film entpuppt, nachdem Van Sant sein Publikum für diese Erkenntnis zuvor aber erstmal eine gute Stunde durch tiefe Depressionen geschickt hat, ohne dass der Part dazwischen angemessen beleuchtet werden würde.

    Auch wenn Van Sant hier zu sehr mit dem Dampfhammer vorgeht, hat „Don't Worry, weglaufen geht nicht“ in allen Phasen des Films immer wieder großartige Momente, wenn John zum Beispiel wiederholt eine Gruppe von gelenkigen Akrobaten sieht, die ihn verführerisch zu sich winken, ist das eine hübsche Metapher für den Tod, der ihn zu sich ruft. Wie ein roter Faden ziehen sich zudem Johns kühne Rasereien mit seinem elektrischen Rollstuhl durch den Film und verbreiten eine anmutige Wildheit, die als poetischer Gegensatz zu Callahans körperlicher Immobilität wirkt. Und natürlich schmeißt sich das wandlungsfähige Schauspiel-Chamäleon Joaquin Phoenix („Walk The Line“, „A Beautiful Day“) mit Inbrunst rein in diese Rolle, die wie für ihn gemacht zu sein scheint. Daneben überzeugt ein kaum wiederzuerkennender Jonah Hill („The Wolf Of Wall Street“) als homosexueller AA-Guru, von dessen zurückhaltendem Charisma und Aura auch seine Jünger zehren.

    Fazit: Gus Van Sant macht es sich bei der Verfilmung der Autobiografie des Cartoon-Zeichners John Callahan ein wenig zu einfach, wenn er alle Grautöne links liegenlassend von dunkelschwarz zu rosarot springt, selbst wenn sein Biopic-Drama „Don't Worry, weglaufen geht nicht“ darüber hinaus ebenso gut gespielt wie handwerklich versiert inszeniert ist.

    Wir haben „Don't Worry, weglaufen geht nicht“ bei der Berlinale 2018 gesehen, wo der Film im Wettbewerb gezeigt wird.

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