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    Vigilante - Bis zum letzten Atemzug
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Vigilante - Bis zum letzten Atemzug

    Eine Rächerin behält ihre Klamotten an

    Von Lutz Granert

    Wenn Frauen in Filmen Selbstjustiz üben, dann tun sie das meist für ein männliches Zielpublikum. Etwa in Rape-&-Revenge-Thrillern, die sich häufig vor allem durch reißerische erotische Schauwerte auszeichnen, wenn sich leicht bekleidete (oder gleich nackte) Frauen an ihren männlichen Peinigern rächen. Zuletzt setzte die französische Regisseurin Coralie Fargeat in ihrem stylish inszenierten Rachethriller „Revenge“ dem gerade in diesem Genre so weit verbreiteten male gaze eine gelungen andersartige, wenn auch nicht minder sexualisierte Perspektive gegenüber, wenn der männliche Antagonist im Finale des Films splitterfasernackt versucht, seinem drohenden Schicksal zu entfliehen.

    Die australische Filmemacherin Sarah Daggar-Nickson beleuchtet in ihrem Debütfilm „A Vigilante – Bis zum letzten Atemzug“ nun mit viel Empathie für ihre Protagonistin den Rachefeldzug einer Frau aus einer konsequent weiblichen Perspektive – und das heißt nicht nur, dass alle Klamotten angezogen bleiben. Dabei ist ihr Zugang zum Thema fernab reißerischer Schauwerte sehr ernst und nüchtern – und damit erfrischend anders. In unterkühlten Bildern hält ihr Film lange Zeit eine ausgewogene Balance zwischen knallhartem Rachethriller und einfühlsamen Psychodrama, das vor allem durch die quälend-intensive Performance von Olivia Wilde („Tron: Legacy“) schauspielerisch nachhaltig beeindruckt.

    Olivia Wilde als Rächerin ohne Gnade in "A Vigilante".

    Wenn Frauen in Selbsthilfegruppen nicht mehr wissen, wie sie sich gegen ihre schlagenden Ehemänner zur Wehr setzen können, bitten sie die toughe Sadie (Olivia Wilde) um Hilfe. Als ausgebildete Krav-Maga-Kämpferin bringt sie die Täter mit schlagenden Argumenten zur Vernunft. Sadie verarbeitet so zugleich auch ihr eigenes Trauma: Vor einigen Jahren wurde sie von ihrem Ehemann (Morgan Spector) niedergestochen. Seitdem hat sie sich zum Ziel gesetzt, sich dafür an ihm zu rächen. Dabei ist sie ihm bereits näher auf der Spur, als sie zunächst denkt…

    Realismus statt Stilisierung

    Regisseurin und Drehbuchautorin Sarah Daggar-Nickson bemüht sich lange Zeit um größtmögliche Authentizität. Sie hat selbst in Selbsthilfegruppen von Opfern häuslicher Gewalt recherchiert und hat einige der Betroffenen sogar eingeladen, um nun im Film aufzutreten und dort von ihren realen Schicksalen zu berichten. In langen ruhigen Einstellungen und bei weitgehendem Verzicht auf Musikuntermalung begleitet sie die zierliche Sadie in ihrem Alltag. Der spielt sich vorwiegend zwischen der üblichen Hausarbeit, regelrecht manischen Trainingseinheiten sowie ihren kühl-kalkulierten Einsätzen als kompromisslose „Schlichterin“ ab. Die gräulich-entfärbten Bilder spiegeln dabei Sadies erstarrtes Innenleben: Nur noch angetrieben von einem tiefen Sinn nach Gerechtigkeit und Rachedurst spürt sie keinerlei Lebensfreude mehr. Vor allem der stark aufspielenden Olivia Wilde ist es zu verdanken, dass die ebenso wehrhafte wie zerbrechliche Sadie trotz ihrer eisigen Fassade stets menschlich bleibt. Besonders eine vierminütige, sehr berührende Szene, in der sie in einer Sitzung einer Selbsthilfegruppe tränenreich von ihrem eigenen Schicksal samt gewalttätigem Ehemann und totem Sohn erzählt, entfaltet eine regelrecht quälende Intensität.

    Die Opfer in "A Vigilante" beginnen sich zu wehren.

    Solche psychologisch feinfühligen Szenen wechseln sich ab mit Sadies episodisch erzählten Racheengel-Missionen, für die sie telefonisch mit dem Code „I‘m looking out the window – and the trucks won't stop coming“, der an ihr eigenes Martyrium gemahnt, von verzweifelten Frauen herbeigerufen wird. Ausgewachsene Actionszenen gibt es dabei kaum. Stattdessen setzt Daggar-Nickson in ihrem hin und wieder etwas wirr zwischen zwei Zeitebenen hin und her springenden Film auf punktuelle Gewaltentladungen und subtiles Grauen: Mit einer Perücke verkleidet setzt Sadie gleich zu Beginn einen tyrannischen Hausherren außer Gefecht und zwingt ihn, seine Familie zu verlassen – sein Vergehen bleibt jedoch nur wage angedeutet. Ungleich verstörender ist ihr Besuch bei einer Mutter, die eines ihrer beiden Kinder in einem abgeschlossenen Zimmer eingesperrt hat – mit tödlichen Folgen. Dabei wird deutlich: Sarah Daggar-Nickson versucht stereotype Täter-Opfer-Zuschreibungen in dysfunktionalen Familien zu vermeiden – und sich dem Thema so aus mehreren Perspektiven zu nähern.

    An Schluss verlässt Sarah Daggar-Nickson der Mut

    Leider begibt sich der bis dahin erfrischend andere Mix aus Psychodrama und Rachethriller im letzten Drittel zunehmend auf ausgetretene Genre-Pfade. Bei der (Wieder-)Begegnung von Sadie und ihrem verschwundenen Ex-Mann kommt es zu einem langen und ermüdenden Showdown, der mit einigen Brutalitäten im Stile eins klassischen Exploitation-Reißers gar nicht als Abschluss für den bis dahin so realistisch anmutenden Film taugt, sondern eher wie ein einziger großer Fremdkörper anmutet.

    Fazit: Sarah Daggar-Nickson setzt mit ihrem psychologisch komplexen Kinodebüt „A Vigilante – Bis zum letzten Atemzug“ ein Ausrufezeichen – zumindest bis zum unpassenden Finale. Und Hauptdarstellerin Olivia Wilde gelingt als innerlich gebrochene Frau auf einem Rachefeldzug eine wahrlich beeindruckende Vorstellung.

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