Ein solider Pixar-Film – also ziemlich gut!
Von Christoph PetersenWas wäre, wenn Spielzeuge ein Eigenleben entwickeln, sobald ihr Besitzer den Raum verlässt? Was wäre, wenn nicht Kinder vor Monstern, sondern Monster vor Kindern Angst haben? Was wäre, wenn Gefühle nicht als abstrakte Emotionen, sondern als im Kopf lebende Personen existieren? Die Animationsschmiede Pixar stellt sich schon seit ihrem ersten Spielfilm „Toy Story“ regelmäßig solche Was-wäre-wenn-Fragen – um sie anschließend mit einem Übermaß an Kreativität und Cleverness zu beantworten. So langsam ist die Formel fast ein wenig ausrechenbar – aber sie funktioniert eben nach wie vor auch einfach verdammt gut.
Das ist nun auch beim inzwischen 22. Pixar-Langfilm „Onward: Keine halben Sachen“ nicht anders. Regisseur Dan Scanlon, der mit „Die Monster Uni“ bisher nur eines der zugegebenermaßen schwächeren Werke des Studios verantwortet hat, stellt sich darin die Frage: Was wäre, wenn die magische Welt aus der Fantasyliteratur und Rollenspielen tatsächlich existiert – diese sich aber über die Zeit immer mehr an unser Universum angeglichen hat? Das Ergebnis ist eine ebenso berührende wie amüsante Abenteuer-Komödie, die sich irgendwo im Mittelfeld der bisherigen Produktionen der Disney-Tochter einsortiert. Wobei Pixar vermutlich das einzige Hollywoodstudio ist, bei der man diese Aussage durchaus als Lob verstehen sollte.
Im neuen Pixar-Film wird gezaubert.
Früher bestimmte Magie die Welt, aber dann wurden die Glühbirne, Autos und Handys erfunden – und weil es nun mal viel einfacher ist, einen Lichtschalter zu drücken, als einen Fackelzauber zu sprechen, ist die Kunst der Zauberei langsam ausgestorben. Die Elfen-Brüder Ian (Stimme: Tom Holland) und Barley (Chris Pratt) führen deshalb ein Leben, das dem von menschlichen Teenagern in unserer Welt erstaunlich ähnlich ist. Aber dann wird Ian 16 – und erhält als verspätetes Geburtstagsgeschenk von seinem schon vor vielen Jahren verstorbenen Vater einen Zauberstab.
Dazu gibt es noch eine Anleitung für einen Zauber, mit dem die Brüder ihren Vater in die Welt der Lebenden zurückholen können – zwar nur für 24 Stunden, aber das wäre genug Zeit, um sich noch einmal richtig voneinander zu verabschieden. Doch der beigelegte Phoenix-Stein ist nach der Hälfte des Rituals aufgebraucht – und vom Vater hat sich bisher nur der Unterkörper materialisiert. Ian und Barley bleibt nur wenig Zeit, um eine gefährliche Mission zu bestehen und einen weiteren Phoenix-Stein aufzutreiben. Dabei immer mit im Schlepptau: die blind umherstolpernden Beine ihres Vaters...
Los gehen solche Mission immer beim Mantikor (ein Fabelwesen mit menschlichem Gesicht, dem Körper eines Löwen und dem Schwanz eines Skorpions). Als erfahrener Spieler eines historischen Rollenspiels ist Barley sich da absolut sicher! Aber als die Brüder in der ach so gefährlichen Taverne ankommen, entpuppt sich diese als modernes Familienrestaurant, in dem gerade ein Kindergeburtstag gefeiert wird – mit einem Mantikor-Maskottchen zur Belustigung der kleinen Besucher. Wie sieht eine magische Welt aus, die ihre Magie verloren hat? „Onward“ ist immer dann am cleversten und lustigsten, wenn der Fokus auf dieser zentralen Frage liegt – etwa mit Feen, die nun zu Harley-fahrenden Rockerbräuten umschulen mussten, nachdem ihre Vorfahren irgendwann das Fliegen verlernt haben.
Ebenfalls gelungen sind die Slapstick-Einlagen mit dem halben Vater, dem seine Söhne nur einen behelfsmäßigen Oberkörper verpasst haben, der nun allerdings immerzu unkontrolliert hin und her wankt, wenn sich die Beine bewegen – trockener schwarzer Humor in der Tradition von „Immer Ärger mit Bernie“, in dem zwei Buchhalter ein Wochenende lang die Leiche ihres Bosses mit sich herumschleppen müssen. Dass auch sonst alles – von der Cornflakes-Marke bis zum Namen der Highschool – an das Fantasy-Setting angepasst wurde, versteht sich bei Pixar ohnehin von selbst. Wahrscheinlich müsste man „Onward“ mindestens drei Mal schauen, um zumindest einen Großteil der kleinen Gags und Anspielungen im Hintergrund zu entdecken.
Ian und sein halber Vater.
Was die Qualität der Animationen angeht, bleibt Pixar weiterhin über jeden Zweifel erhaben. Neben einer allgemeinen tricktechnischen Brillanz und einem unerreichten Detailreichtum sticht in „Onward“ vor allem das Nebeneinander von magischer und technologisierter Welt heraus. Wenn abenteuerliche Pfade auf vielbefahrene Highways treffen und sich Elfen an der Autobahnraststätte mit Chips-Vorräten eindecken, dann unterstreicht die geschickte Farbgebung noch, dass diese Dinge ja eigentlich gar nicht zusammenpassen sollten. Das eindeutige Highlight ist unterdessen ein Drache, der aus dem Schutt einer Highschool (mit dem Betondruck des Schulmaskottchens als Gesicht) entsteht. Das ist mal wirklich kreativ.
Im Kern bleibt „Onward“ trotz all der spaßigen Gags und visuellen Sperenzchen aber immer eine Coming-Of-Age-Story um zwei Brüder, die ihren Vater so sehr vermissen, dass sie dabei fast übersehen, was sie aneinander haben. Das ist nun nicht gerade originell, wird zugleich aber dermaßen geschickt erzählt, dass man am Ende trotzdem die eine oder andere Träne verdrücken muss (selbst wenn man sich nicht sicher ist, ob „Onward“ eine solche Reaktion - im Gegensatz zu anderen Pixar-Klassikern - überhaupt verdient hat). Die Autoren wissen, welche Knöpfe sie drücken müssen – aber nach 21 Filmen der Animationsschmiede weiß man eben inzwischen auch als Zuschauer, wann hier welche Knöpfe gedrückt werden sollen. Der emotionale Überraschungs- und Überwältigungseffekt bleibt daher im Gegensatz zu den allerbesten Werken des Studios aus.
Fazit: Die Pixar-Formel fühlt sich zwar nicht mehr ganz so frisch an wie noch vor ein paar Jahren, aber auch die sympathische Fantasy-Komödie „Onward: Keine halben Sachen“ ist wieder derart clever geschrieben und fantastisch animiert, dass man dem Film das eigentlich gar nicht weiter großartig ankreiden mag.
Wir haben „Onward: Keine halben Sachen“ im Rahmen der Berlinale gesehen, wo er in der Sektion Berlinale Special gezeigt wurde.