Eine Kampfansage an 50 Jahre Slasher-Kino!
Von Christoph PetersenIn einer frühen Szene aus Sophia Takals College-Slasher „Black Christmas“ wird die Literaturliste der Vorlesung von Professor Gelson („Saw“-Arzt Cary Elwes) in Frage gestellt: „Natürlich werden fast ausschließlich Bücher von weißen Männern gelesen, das sind eben die Klassiker“, erklären die einen. „Es sind aber nicht unsere Klassiker“, erwidern die aktivistische Studentin Kris (Aleyse Shannon) und ihre Verbindungsschwestern.
Gang egal, auf welcher Seite (wenn überhaupt einer) des aktuell speziell an US-Eliteuniversitäten tobenden Ideologiekrieges man selbst steht, zumindest nachvollziehbar sollte der Standpunkt von Kris schon sein: Schließlich haben über Jahrhunderte hinweg nicht nur vornehmlich Männer Bücher geschrieben – es waren vor allem auch überwiegend weiße Männer, die darüber entschieden haben, welche Werke nun Eingang in den Klassiker-Kanon finden und welche nicht.
Aber für so ein Phänomen muss man gar nicht – wie eben in der Literatur – Jahrhunderte weit zurückgehen. Für das zu Beginn der 1970er begründete Genre des Slasher-Films (als ein möglicher Startpunkt wird immer wieder Mario Bavas „Im Blutrausch des Satans“ von 1971 genannt) gilt schließlich quasi genau dasselbe: Fast ausschließlich männliche Regisseure – und weit überwiegend männliche Zuschauer, die letztendlich dann auch entschieden haben, welche Filme die Zeit überdauern und welche im nächsten Moment schon wieder vergessen sind.
Zu den Mitbegründern des Genres zählt auch Bob Clarkes „Black Christmas“ von 1974, der damals in Deutschland noch unter dem Titel „Jessy - Die Treppe in den Tod“ in die Kinos gekommen ist. Ein handwerklich herausragender Slasher, der nicht von ungefähr Eingang in die Annalen des Horrorkinos gefunden hat. Im Gegensatz zum missratenen „Black Christmas“-Remake von 2006 nutzt Sophia Takal („Always Shine“) ihre Neuauflage nun aber nicht, um dem Original Tribut zu zollen, ganz im Gegenteil: Die gemeinsam mit April Wolfe auch selbst für das Drehbuch verantwortlich zeichnende Regisseurin hinterfragt und kritisiert den Klassiker, sein Vermächtnis und damit praktisch das gesamte Slasher-Genre.
Die zentrale Frage: Wer steckt diesmal hinter der Mörder-Maske?
Der Story des Remakes hat deshalb mit dem Original eigentlich auch nur noch die Prämisse gemein: Über Weihnachten fahren die meisten Studenten heim zu ihren Familien, nur einige wenige bleiben über die Feiertage auf dem Campus des altehrwürdigen Hawthorne College – darunter auch die Waise Riley Stone (Imogen Poots), die vor drei Jahren bei einer Feier im Heim einer Studentenverbindung unter Drogen gesetzt und vergewaltigt wurde, deren Anschuldigungen anschließend bei den Verantwortlichen der Einrichtung, deren Begründer ein offensiv-misogyner Sklavenhalter war, auf wenig Gehör stießen. Auf jeden Fall nutzt nun ein Serienkiller mit Maske und Robe die Chance, um einer nach der anderen den zurückgebliebenen Studentinnen den Garaus zu machen...
Los geht’s mit einer typischen Slasher-Szene: Es wird gestalkt – und dem festlichen Anlass angemessen eine blonde Studentin, die im Todeskampf noch unbeabsichtigt einen hübschen Schneeengel am Tatort hinterlässt, mit einem Eiszapfen niedergemetzelt. Ein gesichtsloser Killer? Check! Ein attraktives Opfer? Check! Ein ausgefallenes Mordwerkzeug? Check! So weit, so klassisch. Aber es ist zugleich auch das letzte Mal, dass sich Sophia Takal derart sklavisch an die Regeln des Genres hält. Im weiteren Verlauf verschiebt sich die Perspektive nämlich immer mehr – die Gewaltausbrüche sind schon bald nicht mehr der eigentliche Klimax (wie im Slasher-Kino üblich), sondern nur noch Mittel zum Zweck, um den Fokus auf die Folgen solcher (oft und in diesem Fall besonders misogynen) Gewalt zu legen.
Zumindest in besseren Slashern, die wie „Halloween“ oder „Scream“ mit starken Protagonistinnen (gespielt von Jamie Lee Curtis beziehungsweise Neve Campbell) aufwarten, drückt man natürlich auch schon dem Final Girl irgendwie die Daumen – aber zugleich grölt man doch immer auch ein bisschen mit, zumindest innerlich, wenn der Killer wieder eines seiner Opfer erwischt. In „Black Christmas“ ist das eher nicht so. Von Campus-Vergewaltigungen (inklusive einem Anti-Rape-Christmas-Song in bewusst sexy Weihnachtsoutfits) über zum Schweigen gebrachte Opfer bis hin zur gerade in der Höheren Bildung noch immer oft vorherrschenden Misogynie (etwa in den Ritualen von Studentenverbindungen): Sophia Takal geht von Anfang an dahin, wo es wehtut (und wo es den einen oder anderen Zuschauer sicherlich direkt auf die Palme treiben wird). Zugleich bleibt die Spannung dabei mitunter auf der Strecke.
Zudem macht das Beim-Meucheln-Zuschauen definitiv gleich sehr viel weniger Laune – aber genau das ist ja auch beabsichtigt. „Black Christmas“ entwickelt eine wirklich ungemütliche, intensive Atmosphäre – aber das gar nicht in erster Linie wegen dem maskierten Killer, sondern weil man gemeinsam mit den Protagonistinnen durch eine allgemein ablehnende Umgebung wandelt. High-Schools, Colleges und Universitäten gehören seit jeher zu beliebten Orten des Slasher-Kinos – aber sie haben sich im Gegensatz zur Realität auf der Leinwand in den vergangenen 50 Jahren praktisch nicht verändert. In „Black Christmas“ ist das anders – und so lässt sich der Horror nicht so leicht wegschieben wie in einem durchschnittlichen Slasher-Spaß.
Ästhetischer Abgang: Das erste Opfer hinterlässt einen Schneeengel am Tatort!
Wir werden die Auflösung, wer denn nun der Killer ist, natürlich nicht spoilern. Aber sie ist auf eine Art zugleich widersprüchlich und konsequent, dass sie vermutlich einen noch größeren Teil des Publikums aus dem Film kegeln wird als der offen-politische Aktivismus der Filmemacherinnen. Zwar legen die mit dem Twist den Finger noch tiefer in die Wunde – zugleich drängen sie den gerade noch so bodenständigen „Black Christmas“ aber plötzlich auch in eine völlig neue, in diesem Maße sicher nicht vorhersehbare Richtung, was man dann ebenso gut faszinierend wie einfach nur trashig-doof finden kann.
„Black Christmas“ wird sein Publikum also aus allen möglichen Gründen spalten – und solch einen Mut zum Anecken bei einem Remake im Jahr 2019, wo Disney vor allem dank konformistischer Zeichentrick-Neuauflagen gerade erst die magische Zehn-Milliarden-Dollar-Marke an den weltweiten Kinokassen durchbrochen hat, das ist doch mal eine willkommene Abwechslung. Gut, dass es Viel-Produzent Jason Blum („Paranormal Activity“, „The Purge“, „Insidious“, „Get Out“, „Halloween“) gibt, der in jedem Moment derart viele heiße (Low-Budget-)Eisen gleichzeitig im Feuer hat, dass er sich solch ein Risiko leisten kann (und es dann auch eingeht). Sicher nicht der schlechteste Grund, um an diesen Weihnachten für etwas dankbar zu sein.
Fazit: „Black Christmas“ stößt den gemeinen Slasher-Fan (zu dem explizit auch der Autor dieser Kritik zählt) gleich in mehrfacher Hinsicht gewaltig vor den Kopf. Nun mag ich es persönlich sehr gerne, im Kino auch mal provoziert, hinterfragt und brüskiert zu werden. Aber „Black Christmas“ wird viele Zuschauer sicherlich auch enttäuscht oder gar wütend zurücklassen – letzteres immerhin eine Reaktion, die das Horrorkino früher mal regelmäßig, aber in letzter Zeit nur noch selten provozieren konnte.