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    Axolotl Overkill
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Axolotl Overkill
    Von Christoph Petersen

    Wenn man sich die englischsprachigen Kritiken durchliest, die nach der Weltpremiere von „Axolotl Overkill“ auf dem Sundance Filmfest erschienen sind, dann merkt man den positiven und den negativen Texten gleichermaßen an, wie die Autoren den Film immer wieder in eine Schublade mit den sich oft sehr ähnlichen Coming-of-Age-Indie-Produktionen zu stecken versuchen, die auf dem Festival ja tatsächlich massenhaft gezeigt werden. Aber da gehört er einfach nicht rein – und das ist auch gut so! Helene Hegemann, die hier mit der Verfilmung ihres eigenen Romans „Axolotl Roadkill“ (2010) ihr Langfilmdebüt abliefert, passt sich zwar formal durchaus an gewisse Gegebenheiten des Genres an – stylische Inszenierung, angesagte, aber zugleich auch immer ein bisschen ironisch gebrochene Musik, trockener Humor. Aber dafür verweigert Hegemann ihrer 16-jährigen Protagonistin Mifti auch auf der großen Leinwand das eigentliche Coming-of-Age, das Erwachsenwerden. Denn egal ob „Roadkill“ oder „Overkill“, die Konstante bleibt das „Axolotl“, also jener mexikanische Schwanzlurch, der sein ganzes Leben lang im Larvenstadium verharrt.

    Justin Biebers Leben sei auch Kacke gewesen, bevor er sich zusammengerissen, sich die Haare geföhnt und Millionen verdient hat. Aber selbst nach solchen Vorbildangeboten ihrer älteren Schwester Anika (Laura Tonke) denkt die 16-jährige Berlinerin Mifti (Jasna Fritzi Bauer) überhaupt nicht daran, sich zusammenzureißen. Statt in der Schule treibt sie sich lieber auf den Partys der Hauptstadtschickeria herum, nimmt Drogen und kommt schließlich zu dem Schluss, dass sie jetzt vielleicht mal richtig vergewaltigt werden sollte (stattdessen bleibt es bei einem anonymen Fick mit dem Taxifahrer in einem Industriegebiet). Während Mifti der Affäre mit der deutlich älteren Kunsthändlerin Alice (Arly Jover) hinterhertrauert, lernt sie in der Schulkantine die gerade überall für ihre Rolle als Zwangsprostituierte im „Tatort“ gefeierte Schauspielerin Ophelia (Mavie Hörbiger) kennen, die von einem Richter zu Sozialstunden als Spaghettiköchin verdonnert wurde. Mit ihr besucht sie noch mehr Partys, nimmt noch mehr Drogen und geht mit einem Lama durch Berlin spazieren…

    Gleich in der ersten Szene liefert Alice auf dem Weg zu einem illegalen Kunstdeal einen Rant auf Berlin ab, der sich nicht nur gewaschen hat, sondern mit seiner betont prätentiösen Wortwahl und der losen Abfolge von Gedanken an den Bewusstseinsstrom des Romans erinnert. Aber abgesehen von dieser eröffnenden Hommage, die ausgedehnt auf Spielfilmlänge wohl einfach nur genervt hätte, versucht Hegemann angenehmerweise gar nicht erst, den Stil der Vorlage eins zu eins auf die Leinwand zu übertragen. Stattdessen entwickelt die „Torpedo“-Regisseurin eine ganz eigene Erzählform, bei der sie bestimmte dramaturgische Regeln zwar befolgt (der Plot ist deutlich zusammenhängender), andere dafür aber umso freudiger bricht – etwa wenn Mifti plötzlich mit einem Lama durch Berlin spaziert oder wenn sie sich im Schulleiterbüro mal wieder eine Predigt anhören muss, was so wunderbar pointiert-abrupt endet, dass wir die Szene hier auf keinen Fall spoilern wollen. Nur die Idee, auf der Zielgeraden noch einen Twist einzubauen (zwei Figuren sind miteinander verheiratet, von denen man es nicht geahnt hätte), wirkt arg gewollt und wenig stimmig.  

    Aber egal ob die Geschehnisse um sie herum nun kaum eine (im Roman) oder zumindest eine gewisse (im Film) Rolle spielen, im Zentrum steht natürlich immer Mifti. Jasna Fritzi Bauer („Scherbenpark“) ist zwar ein ganzes Jahrzehnt älter als ihre Figur, aber sie geht hier nicht nur anstandslos als 16-Jährige durch, sie interpretiert die jugendliche Protagonistin auch mit einer solch staubtrockenen Schlagfertigkeit, dass man hier (im Gegensatz zur in dieser Hinsicht ambivalenteren Vorlage) gar nicht anders kann, als Mifti für ihre rebellische Unangepasstheit zu feiern: Denn auch wenn sie selbst gerade völlig aussichtslos feststeckt (an einer Stelle sogar buchstäblich, weil man mit einem gepflegten „Fuck You“ zwar überall weiterkommt, nur nicht bei Navigationssystemen), versteht sie es mit ihrer Sprachmächtigkeit zumindest, die Floskeln der Gesellschaft gegen ihre angepasste Umwelt zu wenden. So kontert sie etwa ihre ältere Schwester, die verzweifelt anmerkt, dass sie Mifti doch nicht aus dem Bett prügeln könne, mit dem so zugleich als hohl entlarvten Allerwelts-Aufmunterungsspruch: „Doch, du kannst alles – du musst es nur wollen!“

    Fazit: Genauso gestochen provokant und intellektuell schlagfertig, aber zugleich auch leichter zugänglich und viel humorvoller – mit der Verfilmung hat Helene Hegemann ihren Roman noch übertroffen.

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