Andreas Kleinert hat seine TV-Adaption von Henrik Ibsens Drama „Hedda Gabler“ in einem beschaulichen Städtchen am Rhein angesiedelt, denn dort ist das westdeutsche Bürgertum auch heute noch so bürgerlich wie eh und je. In der nur kurz „Hedda“ betitelten Neuverfilmung sind die Männerfiguren nicht länger Kulturwissenschaftler, sondern karrierebewusste Ärzte aus der Neurologie, denen Susanne Wolff als wilde, ungezähmte Heldin Paroli bietet. Sanft modernisiert hat Kleinert das klassische Stück, doch viel musste er nicht verändern, um die Lebenslügen der Bourgeoisie auch in der Gegenwart zu sezieren. Das größte Kunststück dabei ist, wie Kleinert sein beißendes Drama gleichermaßen betont theatralisch und filmisch wuchtig inszeniert.
Hedda (Susanne Wolff) und ihr Mann Jorgen Tesman (Godehard Giese) kehren von der Hochzeitsreise in eine unfertige Villa zurück, von der sie auf den Rhein, ja, eigentlich sogar die ganze Welt hinabblicken. Zum Einstand kommt Jorgens Chef in der Neurologie, der ebenso schleimige wie übergewichtige Dr. Brack (Bruno Cathomas), zu Besuch. Er hält Jorgens und damit auch Heddas Zukunft in Form einer anstehenden Beförderung in der Hand und fordert dafür kaum verhohlen sexuelle Gegenleistungen. Ebenfalls zu Gast sind Jorgens Ex-Geliebte Thea (Katharina Marie Schubert) und ihr neuer Freund Eilert (Wanja Mues), einst Heddas große Liebe. Eilert ist trockener Alkoholiker und steht vor der Publikation eines brillanten Buches, mit dem er Jorgen Konkurrenz machen und um seine Stellung bringen könnte. In einer Nacht des Exzesses eskalieren die Beziehungen und werden Lebenslügen bloßgelegt…
Ibsens ohnehin schon pointiertes Stück hat Andreas Kleinert noch zusätzlich verdichtet und lässt es nun praktisch komplett in der mondänen Villa der Tesmans spielen. Dass das Anwesen anfangs noch von Arbeitern aus Osteuropa in Stand gesetzt wird, ist ein kleiner Verweis auf die konträren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Sphären, die auch die Hausangestellte Pun (Jasmin Hahn) repräsentiert, wenn sie als dem Deutschen kaum mächtige Beobachterin der Szenerie stets am Rande steht und das zunehmend absurde Gebaren des Wohlstandsquintetts mit zunehmender Befremdnis zur Kenntnis nimmt. In seiner Deutlichkeit ist das Gegenüberstellen der Lebenswelten ebenso wenig subtil wie der Beruf der Männer: Neurologen, also Ärzte, die sich schon rein beruflich mit der Analyse von Schmerz auseinandersetzen.
Durch und durch theatralisch sind solche Einfälle, was hier aber nie kaschiert, sondern im Gegenteil sogar offensiv herausgestellt wird. Gerade deutsche Schauspieler können angesichts ihrer Ausbildung am Theater oft das deklamieren nicht lassen - aber was sonst oft mit der filmischen Erzählform kollidiert, wird von Kleinert in diesem Fall durch bewussten Einsatz filmischer Mittel kontrastiert. Immer wieder schneidet er zu leinwandgroßen Porträts der Figuren - mal allein, mal als Duo oder Trio stehen sie dann da mit nackter Brust, auf der ihr Name steht. Mit solchen und anderen punktuellen Irritationen betont Kleinert immer wieder die Künstlichkeit seiner Konstruktion, die nie die emotionale Versuchsanordnung vergessen lässt, die auch diese moderne „Hedda“-Version im Kern eben ist.
Fazit: Mit Unterstützung seiner herausragenden Schauspieler, allen voran Susanne Wolff als Titelheldin Hedda, gelingt Andreas Kleinert eine moderne, gleichermaßen filmische wie theatralische Neuverfilmung des klassischen Stücks von Henrik Ibsen.
Wir haben „Hedda“ als Abschlussfilm auf dem Filmfest Hamburg gesehen.