Der goldene Handschuh
Warum schaue ich mir eigentlich so etwas an? Ich war doch vorgewarnt! Nun, weil dieser Film als Beitrag des Regisseurs Fatih Akin auf der diesjährigen Berlinale lief und somit ein Vorschuss an filmästhetischer Veredelung in Anspruch nehmen darf - dies mag auch unbegründet sein. Neugierig geworden bin ich auf diesen Film als der Versuch der Umsetzung einer in den einschlägigen Feuilletons hochgelobten literarischen Sozialreportage. Eine Lesung der Romanvorlage in Ausschnitten konnte ich im Rahmen der im Karlsruher ZKM im Jahr 2017 inszenierten Hörspieltage beiwohnen. Diese Lesung ermöglichte es den damals Zuhörenden, wenn auch nur als Schlaglicht, einen Einblick in ein wohl vermutetes, jedoch vom Mainstream in den Bereich des ,,no go" verwiesenen Submilieus partiell einzutauchen. Für die damals gutbesuchte Lesung galt, aus guten Gründen des Jugendschutzes, ein formales ,,Jugendverbot", wohl wissend um die beliebige technische Zugänglichkeit zu gewaltpornografischen Stoffen für alle Altersstufen über das Internet und die sozialen Netzwerke. Aber das ist ein alter Hut und taugt ebenfalls nicht für ein reflexartiges Heben des moralischen Zeigefingers, wie es sich, um es gleich vorwegzunehmen, auch nicht für eine Be- oder Verurteilung des neuen Films von Fatih Akin eignen mag. Nun, nach Verlassen des Kinos, habe ich mich gefragt, was alles in der Welt hat diesen Regisseur bewogen, sich ausgerechnet dieses Stoffes anzunehmen und eine filmische Bühne bereitzustellen, dessen Begebenheiten in die Mitte der 70-er Jahre rückdatierbar sind und seiner Zeit, über viele Wochen hinweg, als Aufmacher eines damals wie heute faschistoid-hetzerischen Revolverblattes in Gestalt der ,,BILD-Zeitung", herhalten musste? Fatih Akim mutet seinen Zuschauerinnen, so mein Resumee, zu, sich diese Frage wirklich selbst beantworten zu müssen. Sein Film ist mit seinen Gewaltdarstellungen für sein Publikum schlichtweg eine Zumutung und niemand gäbe sich eine Blöße, das Filmtheater schon lange vor dem Abspann verlassen zu haben. Akin hat die Rollen des Stückes kongenial besetzt und erzählt die ,,Geschichte" des Menschen Fritz Honka, bekannt als der frauenmörderische Psychopath aus dem Hamburger Trinkermilieu der 70-er Jahre. Szenisch oszilliert der Film durchgehend zwischen der Stammkneipe von Honka, dem ,,Goldenen Handschuh", seinem angestammten Soziotop, in welchem er auch seine Frauenbekanntschaften machte, um diese dann (Szene-Wechsel) mit sich auf ein weiteres Glas mit nach Hause zu schleppen, nur um diese dann im Vollsuff, nach gescheitertem Sexualkontakt, schlichtweg totzuschlagen, mit der Säge zu zerstückeln und die in Lumpen verschnürten Leichenteile dann in einem Verschlag zu deponieren oder in einem ramponierten Hinterhof abzulegen. Dabei geht Honka stringent und sehr pragmatisch vor. Er tut, was getan werden muss, allein schon aus Gründen der Raumökonomie in seinem Wohnkabuff welcher die Bezeichnung Wohnung nicht für sich reklamieren kann. Diese sich wiederholenden Akte der Ermordung, Ausweidung und Zerstückelung von meist alten, sich prostituierenden, alkoholkranken Frauen als Zufallsbekanntschaften, werden von Akim schonungslos in Szene gesetzt. Die Sequenzen operieren durchweg entlang der dargestellten Impulsivität und Handlungsdynamik der Beteiligten an der Grenze zur Übersteigerung im Absurden. Das Gezeigte hat in seiner abstossenden Brutalität ja real stattgefunden und zwar in einem sozialen Abseits, welches sich als Abseitiges exemplarisch mitten in der bundesrepublikanischen Realität als vermeintlich kulturferner Nukleus erhalten hat und weiter wuchern konnte. Wenn Salvatore Adamo’s Schlager-Hit ,,Es geht eine Träne auf Reisen“ als fortgesetzte musikalische Untermalung des mörderischen Treibens von Honka in die Ohren träufelt, dann fühlt man sich als Zuschauer unversehens mit einiger Beklemmung in die geschmacklos modernistische und Oswalt Kolle spießer- geile Lebenswirklichkeit der BRD der frühen 70-er Jahre zurückkatapultiert. Es gilt sich auch zu vergegenwärtigen, dass die damalige Generation 50+ mit, hoher Wahrscheinlichkeit, aktiv am ebenfalls mörderischen Kriegsgeschehen 30 Jahre zuvor in irgendeiner Form beteiligt war. So auch die im Schwof gemachten Kneipenbekanntschaften von Honka, welche von Akim in all ihrer dauerbetrunkenen Tristesse und seelischen Zerrüttung eindrucksvoll in Szene gesetzt werden. Akim zeigt uns dieses Milieu in ungeschminkter Direktheit, ohne jedoch diese Menschen bloßzustellen und zu denunzieren. Man weiß aber manchmal trotzdem nicht, ob man lachen oder weinen soll. Da gibt es diesen ehemaligen SS-Offizier, eine durch und durch unsympathische und bedrohlich wirkende Figur, aber auch die erbarmungswürdige Frau, welche im KZ war und sich dort über Jahre hinweg prostituieren musste. All diese Menschen können auf kein gutes Leben zurückblicken und ertränken ihren Selbsthass förmlich im Alkohol. Heintje’s melodisch- herzzerreißende Liebeserklärungen an Mama und Oma treiben den Kneipenbewohnerinnen die Tränen In die Augen und kurzzeitig schlägt die Verhärtung in Rührseligkeit um. In Gestalt des Fritz Honka finden diese seelischen Verheerungen dagegen ihr mörderisches Ventil im Außen. Honka wird, so das hinlänglich bekannte Ende, nach dem Abfackeln seiner Wohnung durch eine Mietpartie des Hauses, welcher, nicht nur sprichwörtlich zuvor die Maden durch die Ritzen ihrer Wohnungsdecke in die sonntägliche Suppenschüssel rieselten, verhaftet und der Prozess gemacht. Die Mieter sind eine griechisch stämmige Familie und ihr Handeln kann man fast schon als Akt der Notwehr klassifizieren, denn der Verwesungsgestank war wohl wohl unerträglich geworden. Aber warum hatte niemand schon längst zuvor die Polizei verständigt? Man kann nur mutmaßen, dass die offensichtlich relativ gut sozial integrierte griechische Mieterpartie dennoch Angst vor behördlich- aufenthaltsrechtlichen Nachforschungen hatte? Womöglich war der Verwesungs- und Abfallgeruch nichts Besonderes mehr in einer rohen Welt des Überlebenskampfes der unteren Klassen und der sozialen Abschottung? Akim öffnet uns ein Fenster zum Blick in eine bundesrepublikanische Parallelwelt mit umgekehrten Vorzeichen. Hier werden nicht die türkischen Kiez-Clans und kleinkriminellen Drogendealer abgerufen, welche sich schon immer für rassistische Projektionen beifällig angeboten haben, sondern Menschen portraitiert, welche in diesem Land das Licht der Welt erblickt haben. Nach knapp 90 Minuten Film steht man einigermassen ratlos da, insbesondere weil hier herkömmliche Kategorien einer moralischen Be- und Verurteilung hier nicht so richtig greifen. Man kann über das leidvolle Schicksal dieser Menschen nur mutmassen, ein empathisches Sich- Einfühlen wird den meisten von uns Mittelschichtssozialisierten wohl schwer fallen. Soll man den Stab über diesen Menschen brechen und ihnen die Alleinverantwortlichkeit ihres Lebensentwurfes in die Schuhe schieben? Bei Fritz Honka liegt der Fall etwas anders. Er hat gemordet und wurde lange vor seiner eigenen Tatserie wohl seelisch selbst ,,ermordet“. Auch die Instrumente einer strafjustiziellen Aufarbeitung mit der Massgabe einer festzustellenden Fähigkeit zu Einsicht zum Tatzeitpunkt und somit vollen oder geminderten Schuldfähigkeit, lassen einen faden Beigeschmack zurück. Die Rekonstruktion der Verbrechen im juristischen Procedere zeigt im Verlauf immer auch, dass das Kind schon zu einem viel früheren Zeitpunkt in den sprichwörtlichen Brunnen gefallen war. Das alles ist harter Tobak und nur schwer verdaulich. Man kann Akin's Film wegen dessen obsessiver Gewaltdarstellung gleichwohl ablehnen oder auch als Anlass nehmen, über sozialstrukturelle Gewaltverhältnisse zu debattieren, über Mechanismen sozialer und rassistischer Ausgrenzung, über eine klassengesellschaftliche Auslagerung und kontrollstaatliche Verwaltung der sozial Überflüssigen, über Prozesse der Entsolidarisierung in einer marktradikal umgemodelten und nicht mehr sozialstaatlich pazifizierten Klassengesellschaft und vielleicht auch über eine zunehmend empfundene Sinnentleerung in einer zynisch gewordenen Welt, in welche die Menschen nach ihrer Verwertbarkeit und ökonomischem Status separiert werden. Fatih Akin's Film bietet seinem Publikum eine leichte Offerte, sich im voyeuristischen Gruseln vom Milieu der dargestellten Menschen abzugrenzen - einfache Erklärungen oder gar Lösungen liefert er jedoch nicht und vielleicht macht das die spezifische Qualität dieses bei der diesjährigen Berlinale nicht prämierten Filmes aus.