Elend, Suff und Hoffnungslosigkeit...
...sind die Koordinaten dieser Geschichte. Und ich möchte an dieser Stelle mit einigen Irrtümern über den neuen Film von Fatih Akin aufräumen. Wobei Irrtümer vielleicht zu viel gesagt ist. Es ist schlicht meine Sicht der Dinge über diesen Film im Verhältnis zum Buch und auch zu der wahren Geschichte um den Frauenmörder Fritz Honka.
Zunächst der wichtigste Widerspruch: Dieser Film wird aller Orten - sogar vom Regisseur selbst - als Horrorfilm bezeichnet. Ich halte das für eine völlige Fehlinterpretation. Ungeachtet der Tatsache, dass eine wahre Geschichte dahintersteckt, darf man nicht annehmen, hier so eine Art Stephen King Verfilmung schauen zu können. Auch ist es kein "Torture Porn" Film wie Saw oder Hostel, wobei man das bei manchen Tötungsszenen schon annehmen könnte. Für eine Millieustudie hingegen fehlt es dem Film m.E. an dem erzählerischen Überbau. Dennoch kommt diese Genreeinteilung, wenn man denn zwingend eine Einteilung braucht, dem Film am nächsten.
Akin inszeniert auch tatsächlich wenig Szenen, an denen sein "Goldener Handschuh" filmkulissisch wirkt. Er schafft es jedoch in keiner Minute des Films, die Romanvorlage von Heinz Strunk, dem eine lakonische, mild sarkastische, vor allem aber sehr defätistisch hanseatische und überdies - aufgrund seines Studiums der gesamten Strafakten des Falls Honka - äußerst detaillierte Bildsprache gelingt, die das Buch so äußerst lesenswert machen, vollkommen zufriedenstellend filmisch umzusetzen oder gar zu übertreffen . Ich musste jedenfalls bei der Lektüre des Buches auch viel öfter lachen, weil es so absurd war und ich gleichzeitig wusste, dass sind menschliche Situationen, die eben nur deshalb so genannt werden dürfen, weil Menschen darin die handelnden Personen sind. Ansonsten haben diese Situationen in ihre Abartigkeit, Rohheit und Entmenschlichung nichts mehr mit normalen Alltagsbegebenheiten gemein.
Eine genaue Beschreibung der Morde Honkas an den Frauen erspare ich uns daher. Was Akin hingegen gut gelingt ist die fast schon physische Spürbarkeit der Szenen, meistens Gewalt- oder Suffszenen, in Honkas Wohnung. Natürlich zeigt er auch nicht alles. Aber viel Freiraum für Interpretationen lässt auch Fatih Akin- wie im Buch - dem Zuschauer nicht.
Der Unterschied ist nur: was einem beim Lesen grotesk und fast schon aberwitzig vorkommt, hat man beim Film das Gefühl, man schaut schlicht einer zwar sehr detailgetreuen und authentischen Nachstellung der Morde zu. Grusel oder gar Angst kam bei mir jedenfalls nie auf. Allenfalls Ekel und Abscheu, weil ich wusste, dass es im wahren Honka-Leben genauso abgelaufen ist.
Bleibt die Frage: Ist Akins Film gut?
Ja und Nein. Ja in der schonungslosen, unsensiblen und abartigen Darstellung der Gewalt in Honkas Wohnung.
Nein, wenn es um den Versuch Akins geht, dem Film eine Atmosphäre, gar eine Aura zu geben. Das schafft der Film in keiner Sekunde. Möglicherweise war das aber auch gar nicht gewollt und man könnte es gar als Stilmittel auffassen.
Eins gebe ich aber zu Bedenken: wenn selbst die ARD Dokumentationsreihe"Die großen Kriminalfälle", die sich selbstverständlich die drastische Darstellung der Gewaltszenen spart, ja sie noch nicht mal en Detail beschreibt, unheimlicher und beklemmender wirkt als der äußerst explizite Film, dann stimmt irgendwas mit dem Film nicht.
Es kommt aber auch noch etwas hinzu. So gut der Film bis in die Nebenrollen, teils mit Laiendarstellern, besetzt ist. Ich halte die Wahl des Hauptdarstellers Jonas Dassler zumindest für unglücklich. Und nein, das liegt nicht an der sehr intensiven und auch nahezu plastischen Darstellung des wesentlich jüngeren Dassler als Honka zur Zeit seiner begangenen Morde.
Aber sieht man sich mal das Archivmaterial des echten Fritz Honka an, dann gewinnt man zunehmend den Eindruck, dass der junge Dassler den Frauenmörder Honka - immer mit latenten Overacting - zwar imitieren möchte, aber es nie schafft, tatsächlich zu Honka zu werden. Es mag ein sehr subjektiver Eindruck sein und ich schließe es auch nicht aus, dass mein Eindruck ein falscher ist. Aber genauso habe ich es beim Betrachten des Films empfunden: Die Originalaufnahmen Honkas passen nicht zu der Darstellung des Hauptdarstellers. Fatih Akin hatte sich aber bewusst für einen unbekannten und eben keinen berühmten, bewährten aber vor allem gleich alten deutschen Schauspieler entschieden (Dassler ist in den frühen 20ern, Honka war 40 zu Prozessbeginn).
Was letzten Endes bleibt ist einer der nach wie vor bekanntesten und unheimlichsten Kriminalfälle Deutschlands, ein grandioser Roman von Heinz Strunk und ein zwar durchaus sehenswerter aber zwiespältiger Film von einem der besten deutschen Regisseure.
Danke für Deine Filme, Fatih Akin!