Roland Emmerich hat seine Unbekümmertheit verloren
Von Annemarie HavranDer Master Of Disaster schlägt wieder zu! In „Moonfall“ widmet sich Katastrophen-Spezi Roland Emmerich („Independence Day“, „Godzilla“) erneut seinem liebsten Thema, nämlich der genüsslichen Zerstörung der Erde. Insbesondere jetzt, wo pandemiemüde Kinogänger*innen nach Eskapismus lechzen, könnte ein Film mit völlig hanebüchenem Desaster-Szenario jenseits aller realen Katastrophen eine willkommene Abwechslung bieten. Doch wer bei der Mehr-Emmerich-geht-kaum-Prämisse vom Mond, der auf die Erde kracht, nun auf unterhaltsames Popcorn-Kino mit lustvoll zelebrierten Zerstörungsorgien und atemberaubenden Schauwerten hofft, wird wohl eher enttäuscht …
… denn diesmal hat sich Emmerich schlichtweg verhoben. Vielleicht im Bemühen, die ewigen Kritiker*innen an seinen auf einen Bierdeckel passenden Storys zum Schweigen zu bringen, wirkt es fast so, als hätte sich Emmerich gemeinsam mit seinem langjährigen Schreibpartner und Haus-und-Hof-Komponisten Harald Kloser vorgenommen, jetzt aber mal so wirklich ein richtiges Drehbuch zu schreiben. So ist „Moonfall“ jetzt mit allem vollgestopft, was nicht niet- und nagelfest war – vom Katastrophen-Reißer bis zum Verschwörungs-Thriller, vom Familien-Drama bis zum Weltraum-Abenteuer, vom Sci-Fi-Epos bis zum Survival-Krimi. Aber ausgerechnet die Kernkompetenz kommt dabei zu kurz – nämlich schnörkellos mit atemberaubenden Bildern und flottem Tempo einfach möglichst spektakulär die Erde plattzumachen.
In "Moonfall" müssen erstaunlich wenige Wahrzeichen dran glauben.
Zehn Jahre nach einer missglückten Weltraum-Mission hat der in Ungnade gefallene Ex-Astronaut Brian Harper (Patrick Wilson) die Kontrolle über sein Leben verloren, während seine damalige Kollegin Dr. Jo Fowler (Halle Berry) weiter bei der NASA Karriere macht. Da tritt der Verschwörungstheoretiker und Astro-Experte K.C. Houseman (John Bradley) mit einer unglaublichen Entdeckung an Harper heran: Der Mond wurde von einer mysteriösen Kraft aus seiner Umlaufbahn gestoßen und droht nun auf die Erde zu stürzen!
Natürlich schenkt dem Duo zunächst niemand Glauben. Erst als gigantische Mondbrocken auf die Erde zu stürzen beginnen und Flutwellen ganze Städte unter sich begraben, muss die NASA handeln. Dr. Fowler schmiedet einen hochriskanten Plan, wie der Mond wieder in seine Umlaufbahn gebracht werden könnte. Aber dafür braucht sie ausgerechnet die Hilfe ihres Ex-Kollegen Harper, der sich gemeinsam mit K.C. Houseman der verzweifelten Rettungsaktion anschließt…
Zu Beginn mischt Roland Emmerich noch ganz brav die Zutaten seines gewohnten Katastrophenfilm-Eintopfs zusammen: Da ist der Vater, dessen Kind sich von ihm entfremdet hat und beim Einsetzen der Katastrophe erst mal aus der Gefahrenzone gerettet werden muss. Da ist der Entdecker des drohenden Ungemachs, dessen Warnungen niemand Gehör schenken will. Und natürlich rennt die Zeit davon, weil die zunächst berechneten drei Monate bis zum Mond-Einschlag plötzlich auf drei Wochen zusammenschrumpfen. Aber damit ist (leider) noch lange nicht Schluss:
Der Mond begnügt sich nämlich nicht damit, einfach „aus Gründen“ auf die Erde zu fallen. Stattdessen wird das Katastrophen-Szenario noch mal mit einer Prise mysteriöser außerirdischer Phänomene gewürzt – und neben einigem Verschwörungs-Geschwurbel rund um den Mond auch noch mit einer Vertuschungs-Aktion bei der NASA abgeschmeckt. Das mündet schließlich in einem absurd-deplatzierten Cameo von Schauspiel-Legende Donald Sutherland als geheimnishütendem NASA-Erklärbär, der womöglich als Hommage an Sutherlands Auftritt als Verschwörungs-Aufklärer Mr. X in Oliver Stones Thriller-Meisterwerk „JFK“ gedacht war, das Publikum aber stattdessen einfach nur verwirrt zurücklässt.
Der Zerstörungswut sieht man in "Moonfall" ihre Computerherkunft leider oft allzu deutlich an.
Während Emmerich diese und andere Story-Versatzstücke durchzuprügeln versucht, rollen im Hintergrund dann auch irgendwann die obligatorischen Flutwellen durch die Straßen, während die ersten Mondtrümmer in Hochhäuser krachen. Endlich, da ist es also, das Desaster-Vergnügen, auf das wir alle gewartet haben! Allerdings wirken die Szenen, die einen doch eigentlich überwältigen sollten, seltsam emotionslos, um nicht zu sagen langweilig – und das hat einen Grund: In einem Interview mit Jake's Takes erklärte Emmerich kürzlich, er halte es inzwischen für effektiver, bei Katastrophen-Szenen nicht zu zeigen, wie Menschen sterben. Stattdessen wolle er das Geschehen in Panorama-Einstellungen zeigen um sich so weit wie möglich von Details zu entfernen. Schließlich mache es keinen Spaß, Menschen beim Sterben zuzusehen. Recht hat er – doch dass Emmerich diesen Vorsatz in „Moonfall“ so konsequent umsetzt wie noch nie, schadet der Dramatik trotzdem ungemein.
Während in Katastrophen-Reißern wie „The Day After Tomorrow“ und „2012“ die Menschen noch in Scharen vor dem nahenden Untergang flüchteten und sich durch von Autos verstopfte Straßenschluchten drängten, scheint es in „Moonfall“, als seien Städte und Straßen ohnehin fast menschenleer. Wenn da eine Flutwelle alles meterhoch unter Wasser setzt, dann schwappen zwar Boote und Autos durch die Gegend – aber trotzdem wirkt es, als würde hier einfach niemand ernsthaft in Gefahr geraten, was aber natürlich nicht stimmt und fast schon zynisch wirkt: So lange man bloß nicht zeigt, wie Menschen sterben, dann ist das ja auch alles eh nur halb so schlimm.
Die Dramatik bleibt da auf der Strecke, die Geschichte wird ihres Nervenkitzels beraubt. Zwar werden wie in jedem apokalyptischen Szenario auch hier ein paar Geschäfte geplündert, aber dann sehen wir auch direkt, wie sich Brian und K.C. in aller Seelenruhe in einem Hotelzimmer bettfertig machen und sich dabei ihr Leid über ihre verkorksten Leben klagen – und das nur eine Stunde, nachdem eben jenes Hotel sowie der gesamte Stadtteil von einer gigantischen Flutwelle getroffen wurden. Alarmbereitschaft: negativ!
Natürlich gehört es zum Wesen des Popcorn-Kinos, dass bei Massenszenen die tragische letzte Konsequenz immer ein Stück weit unter den Teppich gekehrt wird. Aber wenn sie so völlig konsequent ignoriert wird wie hier, wo die leeren Straßen fast schon unrealistischer wirken als die Katastrophen selbst, dann stellt man sich als Zuschauer*in schon die Frage, warum man hier überhaupt emotional beteiligt sein soll, wenn doch gar nicht erst ein Gefühl der Bedrohung aufkommt. Bis auf wenige Ausnahmen lässt Emmerich diesmal sogar die Wahrzeichen in Ruhe – nicht mal um die darf man hier bangen.
Besser spät als nie: Mit dem Aufbruch ins All nimmt der Unterhaltungswert von "Moonfall" noch mal deutlich zu.
Bei den Schauwerten wird derweil das übliche CGI-Feuerwerk abgefackelt, das trotz eines Budgets von kolportierten 140 Millionen US-Dollar aber immer einen Tick zu künstlich aussieht. Interessant ist der Kniff, dass diesmal nicht nur Dinge runterfallen, sondern auch in die Luft fliegen. Dass sich mit dem Näherkommen des Mondes auch die Gravitation auf der Erde vermindert, erlaubt nette visuelle Spielereien, die aber ebenfalls etwas zu sehr unter ihrer CGI-Last ächzen. Deutlich ansehnlicher werden die Effekte im letzten Drittel, das dann vornehmlich im Weltraum sowie auf dem Mond selbst spielt.
Hier kommt dann auch endlich etwas mehr Tempo und Geradlinigkeit in die bis dahin so unausgeglichen mäandernde Handlung. Ab dem Moment, in dem sich Emmerich konsequent dem spektakulären Sci-Fi-Trash verschreibt und das ganze Katastrophen-Gedöns auf der Erde endgültig zum bloßen Beiwerk verkommt, fließt nämlich auch spürbar mehr Herzblut durch den Film. Natürlich ist das alles dermaßen Banane, dass man sich manchmal nur ungläubig an den Kopf greifen will – aber immerhin klappt auf den letzten Metern endlich doch noch, was man sich eigentlich schon den ganzen Film hindurch gewünscht hätte: Hirn aus und Spaß haben!
Fazit: „Moonfall“ entpuppt sich als wenig stimmige Mischung aus Katastrophen-Guilty-Pleasure, Verschwörungs-Thriller und Science-Fiction-Drama, bei der die Schauwerte trotz der epischen Mond-Prämisse seltsam blass bleiben. Der Twist im letzten Drittel ist dann zwar dermaßen absurd und genüsslich-trashig, dass er fast schon wieder gut ist – aber er kommt zu spät, um den Film noch zurück in seine Umlaufbahn zu befördern.