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    Egon Schiele
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Egon Schiele
    Von Gregor Torinus

    Hoch talentierte oder gar geniale Künstler, die ganz klassisch mit Farbe und Pinsel auf Leinwand malen, haben auch im Zeitalter der digitalen Medien nichts von ihrer besonderen Faszination verloren. Vielleicht erscheinen sie uns heute sogar noch interessanter, da sie eine Ursprünglichkeit verkörpern, die in unserer flüchtigen und schnelllebigen Gegenwart oftmals verloren geht. So ist es kein Wunder, dass es nach wie vor zahlreiche Filme über bekannte und berühmte Maler gibt, von Dokumentationen über  lebende Künstler wie „Wer ist Oda Jaune?“ bis zu Spielfilmen über längst verstorbene Meister wie Mike Leighs „Mr. Turner - Meister des Lichts“. Gerade in letzterem wird nicht nur das faszinierende Porträt einer komplexen Künstlerpersönlichkeit und ihres historischen Umfelds gezeichnet, sondern auch ihr Stil und ihre ästhetische Entwicklung werden plastisch auf die Kinoleinwand gebracht. Die atmosphärische Einbettung in Zeit- und Lokalkolorit ist nun auch die größte Stärke von Dieter Bergers Biopic „Egon Schiele - Tod und Mädchen“, doch die Kunst des expressionistischen Malers und ihre Bedeutung sind hier nur sehr schwer greifbar.

    Im Wien zu Anfang des 20. Jahrhunderts ist der junge Egon Schiele (Noah Saavedra) ein aufstrebender Künstler, der insbesondere mit seinen originellen und stark erotisch aufgeladenen Gemälden von Frauen Aufsehen erregt. Schöne Frauen bestimmen auch sein privates Leben: Sein erstes Modell ist seine jüngere Schwester Gerti (Maresi Riegner), die mit Eifersucht darauf reagiert, als ihr Bruder sich anderen Frauen zuwendet und neue Musen findet. Schließlich vermittelt Egons berühmter väterlicher Künstlerfreund Gustav Klimt (herrlich hippiesk: Cornelius Obonya) seinem jungen Kollegen die rothaarige Wally (Valerie Pachner) als Modell. Dies führt zu einer stürmischen Liebesbeziehung, die Schiele zu seinem Meisterwerk „Tod und Mädchen“ inspiriert. Doch das gemeinsame Glück soll nur von kurzer Dauer sein ...

    Dieter Bergers Künstlerporträt basiert auf Hilde Bergers Roman „Tod und Mädchen: Egon Schiele und die Frauen“ und zeigt Schiele als wilden Bohémien in Wien, der stets von vielen attraktiven und interessanten Frauen umgeben ist. Dabei gelingt es dem Regisseur hervorragend, die besondere Atmosphäre der Welt- und Kunstmetropole zu Zeiten der sogenannten Wiener Moderne zum Leben zu erwecken, die den Nährboden für das freie und ungezwungene Künstlerleben Schieles geboten hat. So sitzt ihm etwa Moa (Larissa Aimée Breidbach), die als Schwarze im Wien jener Zeit eine wahre Exotin ist und in erotischen Bühnenshows auftritt, in seiner Dachzimmerwohnung Modell. Und selbst als der junge Maler zwischenzeitlich dem Großstadttrubel den Rücken kehrt und zum konzentrierten Arbeiten aufs Land zieht, bleibt Schiele sich, seiner Kunst und seinem unkonventionellen Lebensstil treu - und eckt damit bei so manchem Spießbürger an.

    Egon Schiele erscheint hier als äußerst leidenschaftlicher Mensch, der sich niemals hat verbiegen lassen. Auch durch Noah Saavedras („James Bond 007 - Spectre“) engagierte Darstellung wird er zu einem Mann aus Fleisch und Blut mit zahlreichen Ecken und Kanten. Doch zu einem vertieften Verständnis von Schiele als Künstler trägt der Film nur wenig bei, dafür bleibt er zu sehr an der Oberfläche des Lotterlebens. Zudem setzt die Handlung erst an einem Punkt ein, wo Schiele bereits seinen eigenen radikalen Stil entwickelt hatte und dass er eine akademische Malerausbildung abgebrochen hatte, erfahren wir anhand einer Randbemerkung Klimts. Aber was Schiele dazu und zu anderen künstlerischen Entscheidungen angetrieben hat, wie er zu seinem persönlichen Stil gefunden hat, lässt sich höchstens ahnen. Dieter Berger zeigt uns den Maler stattdessen beim wilden Tanzen, bei Trinkgelagen und wie er sich beim Sex vergnügt. All dies ist sehr lebendig eingefangen, aber das Schwelgen in Ausschweifungen und einige psychologisierende Details reichen für ein umfassendes Porträt einer komplexen Künstlerpersönlichkeit nicht aus.

    Fazit: Dieter Bergers Biopic ist ein sehr atmosphärisches Zeitporträt und eine gelungene Schilderung des Bohèmelebens im Wien um 1900. Doch zu einem tiefergehenden Verständnis des Künstlers Egon Schiele trägt der Film wenig bei.

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