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    Stille Reserven
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Stille Reserven
    Von Antje Wessels

    Versicherungsvertreter haben ja schon in der Gegenwart nicht das beste Image. Sie stehen unter dem generellen Verdacht, ihren Kunden als Handlanger großer Konzerne erst überflüssige Verträge aufzuschwatzen und ihnen im Schadensfall dann die verdienten Entschädigungen zu verweigern. Da passt es ganz gut, dass Regisseur Valentin Hitz („Kaltfront“) einen solchen Vertreter zur Hauptfigur seiner im besten Sinne gefühlskalt inszenierten Dystopie „Stille Reserven“ macht. Ausgehend von der faszinierenden Idee, dass irgendwann nicht mehr die Vorstellung vom Tod selbst das Schreckgespenst ist, sondern vielmehr das fehlende Anrecht darauf, sterben zu dürfen, schrieb und inszenierte Hitz einen kühnen Thriller über eine profitgeile Gesellschaft in nicht allzu ferner Zukunft. Wann genau sich die Ereignisse von „Stille Reserven“ abspielen, lässt Hitz dabei offen. Klar ist nur: Um das Szenario einer Welt zu entwerfen, in der dem Menschen die Erlösung des Todes genommen wird, um auch hieraus noch irgendwie Kapital zu schlagen, musste der Filmemacher gar nicht so sehr um die Ecke denken. In erster Linie spinnt er nämlich einfach nur gegenwärtige Tendenzen weiter, um sie, auf die Spitze getrieben, zu einem waschechten Horrorszenario auszubauen. Das Ergebnis ist ein perfider Film, dessen größte Stärke es ist, dass sich seine zu Beginn recht abgehoben anmutende Prämisse sich nach und nach immer deutlicher als erschreckend wirklichkeitsnah erweist.

    Wien in einer unbestimmten nahen Zukunft: Der emotionslose Vertreter Vincent Baumann (Clemens Schick) arbeitet für einen großen Konzern, der Menschen Todesversicherungen verkauft. Um nicht nach dem Ableben als Datenspeicher oder Gebärmaschine herhalten zu müssen, weil sie noch Schulden abzuarbeiten haben, lassen sich viele Leute auf die unvorteilhaften Verträge ein, die ihnen letztlich nur das Geld aus der Tasche ziehen. Eine Gruppe von Aktivisten, darunter auch die toughe Lisa Sukowa (Lena Lauzemis), lehnt sich gegen das menschenverachtende System auf, scheitert allerdings immer wieder an den hohen Sicherheitsvorkehrungen. Als Baumann eines Tages von seinem Arbeitgeber degradiert wird, beschließt er, die Seiten zu wechseln und verbündet sich mit Lisa. Gemeinsam wollen sie den Mächtigen das Handwerk legen und die Menschen von einer anderen, friedlichen Weltsicht überzeugen.

    Die von Valentin Hitz auf die Leinwand gebannte Zukunftsvision wirkt in ihrer Farbarmut und Trostlosigkeit fast erschlagend. Auf den Straßen Wiens regieren Elend und Gewalt, das Innere der riesigen Bürogebäude wirkt im Kontrast dazu zwar elegant, jedoch nicht weniger trist. Gefühlsregungen, die über den leblosen Austausch körperlicher Liebe hinausgehen, scheint es in der Welt von „Stille Reserven“ nicht zu geben. Wie sehr sie sich im Vergleich zu unserer Gegenwart tatsächlich verändert hat, wird allerdings nicht sofort deutlich. Sehr lange konzentriert sich der Regisseur und Autor auf die Abläufe innerhalb der Versicherung, dabei lässt sich oft nur ahnen, was  in der Gesellschaft noch alles im Argen liegt. Gelegentlich fallen Begriffe wie „Parallelgesellschaft“ oder „Kulturschock“, aber wenn etwa ein Arzt Baumann ein Mittel spritzt, um gegen ebenjenen Kulturschock immun zu sein, dann bleibt das Ganze doch arg im Theoretisch-Erklärenden stecken. So wirkt der Film zwischendrin fast etwas verschwurbelt und wenn sich im Mittelteil die Diskussionen über die Übertragung der Versicherung auf einzelne Familienmitglieder zu wiederholen beginnen, dann tritt „Stille Reserven“ gelegentlich auch auf der Stelle.  

    Haben sich der von Clemens Schick („4 Könige“) absolut grandios minimalistisch verkörperte Vincent Baumann und die „Recht auf Tod“-Aktivistin Lisa (ebenfalls stark: Lena Lauzemis, „Wer wenn nicht wir“) erst einmal verbündet, nimmt „Stille Reserven“ spürbar an Tempo zu. Fortan geht es weniger darum, die Mechanismen im System zu erklären (das erfolgt fortan eher am Rande, etwa wenn Baumann kommentarlos an einem Grenzzaun vorbeiläuft, an dem mit der Waffe offenbar wertvolles von „unwertem“ Leben getrennt wird). Stattdessen wird „Stille Reserven“ zu einem Film über eine Rebellion, der von der aufkeimenden Liebesbeziehung zwischen den Protagonisten ausgebremst und zugleich von der Frage, wie viel Kalkül in dieser Romanze steckt, angetrieben wird. Wenn im Finale dann erstmals das gezeigt wird, worüber bis dahin ausschließlich gesprochen wurde, wird die Perversion hinter der Prämisse zu einem visuellen Schlag in die Magengrube, der es vollkommen unwichtig macht, ob diese Geschichte gut oder schlecht ausgeht. Am Ende gibt es in dieser Welt nämlich nur Verlierer.

    Fazit: „Stille Reserven“ kommt etwas schwer in die Gänge und bleibt zunächst etwas in theoretischen Erklärungen hängen. Wenn sich der eigentliche Konflikt dann jedoch voll entspinnt, offenbart sich eine verstörende Dystopie über Macht- und Profitgier, die sich unangenehm vertraut anfühlt.

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