Sarah Winchester (1840-1922) wurde nach dem Tod ihres Mannes William die Erbin eines vor allem durch die Erfindung des berühmten Repetiergewehrs entstandenen immensen Vermögens, das laut Wikipedia heutzutage etwa einer halben Milliarde US-Dollar entsprechen würde. 38 Jahre lang wurde nahezu pausenlos nach ihren Plänen an der Winchester Mansion gebaut, heißt es. In dem legendären Herrenhaus in Kalifornien sollen die Geister all jener spuken, die ihr Leben durch besagtes Gewehr verloren haben. Noch heute ist das so oft umgestaltete Anwesen eine populäre Sehenswürdigkeit und auf der Grundlage seiner Geschichte schufen die Horrorexperten Peter und Michael Spierig („Predestination“, „Saw 8: Jigsaw“) den etwas altmodisch wirkenden Gruselfilm „Winchester - Das Haus der Verdammten“, der wie eine ruckelnde Geisterbahnfahrt beginnt, aber schnell Fahrt aufnimmt und durch einige geniale Ideen und eine im Genrezusammenhang unerwartete Botschaft verblüfft.
1906. Nach dem Selbstmord seiner Frau nimmt sich der Psychologe Dr. Eric Price (Jason Clarke, „Zero Dark Thirty“) ein „Forschungsjahr“, während dem er laudanumabhängig wird und in finanzielle Schwierigkeiten gerät. Da kommt ihm ein Auftrag eines Anwalts der Winchester-Gesellschaft ganz recht: Die Geschäftsleitung macht sich Sorgen um die exzentrische Witwe Winchester (Helen Mirren), die immerhin über die Hälfte der Firmenanteile verfügt und Unmengen Geld in einen offenbar sinnlosen Hausbau steckt. Durch die Blume gibt der Anwalt Eric zu verstehen, dass man Sarah Winchester am liebsten entmündigen würde. Der macht sich alsbald auf den Weg zum faszinierenden Winchester-Haus, wo Marion (Sarah Snook, „Predestination“), die ebenfalls verwitwete Nichte Sarahs, sofort ahnt, was Eric im Schilde führt. Der dauerbenebelte Psychologe gibt sich professionell, wird dann aber überrascht, als ihm die viele Jahre nach dem Tod ihres Mannes immer noch in Trauerkleidung gewandete Hausherrin eröffnet, sie persönlich sei die Auftraggeberin, die nach ihm verlangte. Während sich im Haus seltsame Erscheinungen häufen, in die Marions kleiner Sohn Henry (Finn Scicluna-O'Prey) involviert ist, liefern sich der mental selbst nicht eben stabile Arzt und seine vermeintliche Patientin verbale Therapieduelle.
Zu Beginn von „Winchester“ wirkt es so, als begnügten sich die Filmemacher mit atmosphärisch gut in Szene gesetzten, aber keiner erkennbaren Gesetzmäßigkeit folgenden Überraschungseffekten. Hier huscht ein Schatten entlang, dort öffnet sich eine Tür, die man nicht erwartete, im Spiegel scheint eine untote Gestalt zu erkennen zu sein. Und der kleine Henry ist offenbar gegen Mitternacht von irgendetwas besessen und stürzt sich unter anderem einmal aus dem dritten Stock. Doch dann offenbart sich, dass die Hintergrundgeschichte, die man zum skurrilen Spukhaus erdachte, wirklich geschickt auf den Legenden aufbaut und diverse lose Fäden der Erzählung fügen sich schließlich clever zusammen.
Der zentrale Kniff besteht darin, dass die von Schuldgefühlen zerfressene Witwe Winchester die Eingebungen für immer neue Räume, die sie dem Gebäude zufügt, von den umherirrenden Seelen (die sie nicht sehen kann, aber spürt) selbst zugetragen bekommt. Wie unter Hypnose skizziert sie die Erinnerungen der in irgendwelchen Räumen ums Leben gekommenen Schusswaffenopfer und fügt die entsprechenden Zimmer nachgebaut ihrem Wohnsitz hinzu, damit (so ist ihr Plan) die Geister dort Ruhe finden können.
Diese Erklärung für das Gebäude UND die Geistervorkommen kombiniert man im Film mit einer deutlichen Kritik an Schusswaffen, die einen historischen Bogen schlägt vom amerikanischen Bürgerkrieg bis hin zu aktuellen Terror-Taten wie in der Redaktion des Satire-Magazin „Charlie Hebdo“. Im Winchester-Haus eskaliert die Situation, als die um Authentizität bemühte Sarah um es sich beim neuesten Anbei um einen Raum voller Vitrinen handelt, die Sarah, um Authentizität bemüht, mit unzähligen Gewehren füllen lässt. Dadurch wird auch der kleine Henry schnell zu einer sehr fassbaren Bedrohung. Und zum Finale des Films potenzieren sich die Probleme wie in einem modernen Horror-Klassiker, dessen Titel wir hier aus Spoiler-Gründen nicht nennen möchten.
Das reale „Winchester Mystery House“ konnte man für Dreharbeiten leider kaum nutzen. Zum einen haben Filmteams in den engen Räumen kaum Platz, zum anderen steht das einst abgelegene Gebäude mittlerweile direkt an einer Hauptstraße in San José, wodurch es auch für Außenaufnahmen kaum in Frage kam. Für den größtenteils in Australien gedrehten Film musste man entsprechend Teile des Hauses nachbauen, die schon durch die selbst in der Nacht tätigen Zimmerleute ein interessantes Motiv liefern. Auf der Strecke bleibt dabei allerdings weitgehend das Gefühl für die räumlichen Dimensionen und Verhältnisse im Ganzen. Zwar werden einige ins Nichts führende Türen und Treppen sowie skurrile Einzelräume gut in die Geschichte integriert (so etwa ein aus Serpentinen bestehendes Treppenhaus mit sehr geringer Steigung zur Schonung von Sarahs arthritisgeplagten Gelenken beim Treppensteigen), aber die Gesamtanlage des labyrinthischen Gebildes ist nur zu ahnen.
Doch das ist letztlich gar nicht so wichtig, denn die Spannung wird auch so stetig erhöht. Nur in der letzten Viertelstunde leidet die innere Logik der Geschichte (von der Anti-Waffen-Botschaft ganz zu schweigen) unter den gehäuften Spezialeffekten und Actionszenen. So reicht es für „Winchester“ nicht für einen Platz in der Oberliga der Horrorfilme, aber sehenswert ist das Werk allemal, zumal es eine für das Genre ungewöhnliche Wirklichkeitsnähe besitzt. Und schließlich wird der Film von den exzellenten Schauspielern geadelt – vor allem „Die Queen“ Helen Mirren überzeugt.
Fazit: Oscar-Gewinnerin Helen Mirren im neuen Film der Regisseure von „Jigsaw“? Was fast ein wenig abstrus klingt, funktioniert erstaunlich gut und ist nicht nur für Genrefans sehenswert.