Der auf einem tatsächlichen Internetphänomen basierende Horrorfilm „Slender Man“ hat schon während seiner Entstehung für ungewöhnlich viel Aufsehen gesorgt. Nachdem sich die Produzenten und der weltweite Verleih Sony nicht so richtig darüber einig wurden, wie groß der Marketingaufwand für den Grusel-Thriller ausfallen sollte, klopften die Produzenten noch wenige Wochen vor dem geplanten Kinostart bei der Konkurrenz wie Netflix oder Amazon an, um ihren hageren Boogeyman vielleicht doch noch woanders unterzubringen. Wenig später kam es zudem zu einem Rechtsstreit mit dem deutlich kleineren Studio Phame Factory, das ebenfalls einen Film zum Slender-Man-Mythos geplant hatte und sich darauf berief, sich bei seinem Projekt lediglich an der allgemeinen Legende und nicht dem speziellen Meme zu orientieren. Sony dagegen sieht sich in seinen Rechten verletzt und versucht aktuell vor einem Gericht in Texas, eine Unterlassungserklärung gegen Phame Factory zu erwirken.
Aber viel kontroverser als dieses Business-Drama ist ein anderer Vorwurf: Nachdem das 2009 von Eric Knudsen alias Victor Surge für einen Online-Wettbewerb entwickelte Meme des Slender Man zwei junge Mädchen in Wisconsin zu einem versuchten Mord an ihrer Schulfreundin animiert hatte (die empfehlenswerte HBO-Doku „Beware The Slenderman“ schildert diesen Fall), gingen nicht nur die Eltern der Täterinnen und des Opfers auf die Barrikaden. Aktuell hat eine Petition, die sich aus Pietätsgründen für einen Stopp des Films ausspricht, bereits mehr als 23.000 Unterzeichner. Trotzdem kam der Film in den USA ganz regulär in die Kinos und legte dort trotz miserabler Kritiken einen recht passablen Start hin. Aber alles, was von „Slender Man“ in ein paar Jahren übrigbleiben wird, sind wohl diese Geschichten drumherum. Denn Regisseur Sylvain White („Ich werde immer wissen, was du letzten Sommer getan hast“) setzt die eigentlich vielversprechende Prämisse um eine potenzielle neue Horror-Kultfigur erstaunlich konsequent in den Sand. „Slender Man“ ist kein Stück gruselig und dazu auch noch ziemlich hässlich anzusehen.
In einer Kleinstadt in Massachusetts leben Wren (Joey King) und ihre Freundinnen Chloe (Jaz Sinclair), Hallie (Julia Goldani Telles) und Katie (Annalise Basso) ein ganz normales Teenagerleben. Zumindest bis sie eines Abends im Internet ein mysteriöses Video entdecken, mit dem man angeblich einen Slender Man genannten Boogeyman heraufbeschwören kann. Die Mädels spielen das Video ab und werden bereits kurz darauf von albtraumhaften Visionen geplagt. Doch dabei bleibt es nicht. Als eines der Mädchen verschwindet, bemerken die anderen langsam, dass der Slender Man (Javier Botet, der Crooked Man aus „Conjuring 2“) sehr wohl real ist. Verzweifelt suchen sie im Internet nach Antworten und stoßen dabei auf ein Netzwerk aus Menschen, die glauben, den Slender Man gesehen zu haben. Wie ein Virus breitet er sich in ihrem Leben aus und spielt mit ihrer Wahrnehmung. Wren findet heraus, dass man ihm etwas Geliebtes opfern muss, damit er einen endlich in Ruhe lässt. Doch dafür ist es vermutlich bereits zu spät…
Die Herausforderung beim Schreiben des Skripts lag für Drehbuchautor David Birke („Elle“) vor allem darin, eine eigentlich längst entmystifizierte Figur wieder mit Spannung aufzuladen. Das Internet ist zwar bis heute immer noch voll von angeblichen Slender-Man-Sichtungen und Fotos, auf denen die hagere Gestalt abgebildet ist. Aber die Quelle des Spuks ist eben auch bereits hinlänglich bekannt: Der Slender Man ist eine Erfindung, die auf ein exaktes Jahr, ihren Schöpfer und sogar die entsprechende Online-Plattform zurückzuführen ist. Wenn in „Slender Man“ nun also exakt jenes Bild auftaucht, mit dem der Urheber Eric Knudsen damals den Photoshop-Contest gewann, dann ist das vielleicht für völlige Neulinge der Materie kurz gruselig, doch zugleich ist das Bild mittlerweile schon so sehr Teil der Popkultur, dass es einfach nicht mehr dazu taugt, originäre Furcht zu schüren. Zumindest haben die Macher die Horrorfilmlegende Javier Botet („[Rec]“, „Es“) angeheuert, um in die Haut des Slender Man zu schlüpfen. Aber dafür, dass die Produktion immerhin seinen Namen trägt, ist der gesichtslose Anzugträger im Film selbst kaum zu sehen. Und neue Panoramen, in denen der Slander Man irgendwo regungslos rumsteht, bevor man ihn plötzlich erspäht und sich dabei im besten Fall tierisch erschrickt, gibt es auch keine.
Die Momente, in denen der vorwiegend auf banale Jump Scares setzende „Slender Man“ wirklich mal seinem Anspruch als Gruselfilm gerecht wird, lassen sich an einer Hand abzählen. In einer durchaus stimmigen Sequenz erhält die zum nächsten Opfer auserkorene Chloé einen anonymen Videoanruf und sieht über ihr Smartphone, wie sich jemand erst Zugang zu ihrem Haus verschafft und sich ihrem Zimmer nähert, bis er schließlich direkt vor ihrer Tür steht. In einer zweiten gelungenen Szene bemerkt man erst spät, wie sich ein Schatten in der Zimmerecke lautlos und ganz langsam auf Slender-Man-Größe aufbläst. Und dann ist da ja auch noch der Videoclip, mit dem die Mädels das Horror-Meme überhaupt erst heraufbeschwören. Auch wenn es in seiner audiovisuellen Aufmachung überdeutlich an das surrealistische Albtraumvideo aus „Ring“ erinnert, scheinen die Macher all ihre Kreativität in diese wenigen Sekunden gesteckt zu haben. Davon abgesehen ist „Slender Man“ optisch nämlich ein absoluter Graus. Die Bilder von Kameramann Luca Del Puppo („Smashed“) sind in erster Linie eines: dunkel. Und so kommt es, dass man die meiste Zeit über schlicht kaum erkennt, was da auf der Leinwand eigentlich gerade geschieht.
Die Macher haben den bestehenden Mythos um eine Beschwörungsformel à la „Candyman’s Fluch“ erweitert. Das ist allerdings auch so ziemlich die einzige Innovation, denn darüber hinaus betet David Birke in seinem Drehbuch einfach nur herunter, was man in jedem Forumsthread über Creepypasta oder urbane Legenden nicht schon hundertmal abwechslungsreicher präsentiert bekommen hätte. Bei ihrer mit hundsmiserablen Dialogen gespickten Suche nach ihrer verschollenen Freundin streifen Wren und Co. einmal die komplette „Entstehungsgeschichte“ des großen bösen Mannes. Lediglich die Antwort auf die bislang im Raum stehende Frage, was eigentlich mit all den Kindern passiert, die der Slender Man zu sich holt, beantwortet der Film auf eine immerhin kreative Art. Doch ehe man an diese Stelle kommt, haben eine Menge Zuschauer den Kinosaal vermutlich schon verlassen – und das bestimmt nicht, weil der Film so gruselig ist…
Fazit: Eine potenzielle neue Horrorikone einfach mal komplett in den Sand gesetzt. Wir empfehlen stattdessen, sich besser die HBO-Dokumentation „Beware The Slenderman“ anzuschauen.