Die russische Antwort auf "Matrix" und "Inception"
Von Lutz GranertIn den vergangenen Jahren ist das russische SciFi-, Action- und Fantasy-Kino regelrecht aufgeblüht. Hierzulande hat das Durchschnittspublikum davon zwar noch nicht allzu viel Notiz genommen, aber die Sondervorstellungen mit russischen Mainstream-Hits sind trotzdem zunehmend immer besser besucht (ähnlich wie bei den Anime-Erfolgen, die häufig nur für ein oder zwei Abende in meist vollen Sälen auf der großen Leinwand gezeigt werden). Und tatsächlich können das atemlose Actionfeuerwerk „Weltengänger“, das düstere Fantasy-Spektakel „Survival Game“ oder die actionreiche „Watchmen“-Hommage „Guardians“ in Sachen Hochglanzoptik und CGI-Bombast der ungleich teureren Hollywood-Konkurrenz durchaus das Wasser reichen.
Nachdem Nikita Argunov mit seiner Firma Argenov Studio bisher bereits als Produzent und Special-Effects-Designer an den oben genannten Blockbuster-Produktionen beteiligt war, gibt er mit „Coma“ nun seinen Einstand als Regisseur und Co-Drehbuchautor: Mit einem Budget von umgerechnet gerade einmal vier Millionen Dollar ist das SciFi-Spektakel zwar vergleichsweise kostengünstig produziert, begeistert aber dennoch mit jeder Menge spektakulären Bildern. Die Story, bei der einem sofort die offensichtlichen Hollywood-Vorbilder „Matrix“ und „Inception“ in den Sinn kommen, bleibt jedoch genau wie die sehr unterkühlt gezeichneten Figuren zu eindimensional, um ähnlich zu fesseln wie die pure Bildgewalt der Inszenierung.
Zumindest visuell ist "Coma" absolut top!
Nach einem schweren Autounfall erwacht der Architekt Viktor (Rinal Mukhametov) in seiner Wohnung, die sich allerdings auch direkt um ihn herum aufzulösen beginnt. Die plötzlich auftauchenden Untergrundkämpfer Phantom (Anton Pampushnyy) und Fly (Lyubov Aksyonova) nehmen Viktor unter ihre Fittiche und bringen ihn zu ihrem Anführer, der Viktor mit einer schockierenden Wahrheit konfrontiert: Er liegt – ebenso wie seine neuen Mitstreiter – im Koma und bewegt sich durch eine fantastische Welt, die aus den Erinnerungen der bewusstlosen Patienten besteht. Die Kämpfer sind auf der Suche nach einer abgelegenen Insel – aber die Reaper, Monster aus einer schwarzen, zerlaufenden Masse, sind ihnen schon dicht auf den Fersen...
„Coma“ punktet vor allem mit seiner beeindruckenden Optik. Weil die Welt aus zusammenhanglosen Erinnerungen besteht, sind Straßenzüge aus New York, China oder Venedig sowie eine Unterwasserszenerie mitsamt U-Boot in gekippten Winkeln buchstäblich nur einen Katzensprung voneinander entfernt und in einem an Synapsen erinnernden Geflecht miteinander verknüpft. Diese Orte sind Teil einer Parallelwelt, in die es alle Koma-Patienten der Erde verschlägt und die sich neben den Erinnerungen eben auch aus den Leerstellen und Unvollständigkeiten des menschlichen Gedächtnisses speist. Wo Christopher Nolan in „Inception“ noch Paris surreal verformte und so immer tiefer in seine Traumwelten eindrang, lässt nun auch Nikita Argunov seine Protagonisten und mit ihnen die Zuschauer immer wieder neue fantastische Szenerien entdecken – bis Viktor etwa mitten in den Wolken plötzlich vor einem erstarrten Flugzeug steht.
Die fantastische Welt in „Coma“ unterliegt ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten, die man allerdings möglichst nicht weiter hinterfragen sollte: Warum das U-Boot etwa vollständig „erinnert“ wird, während viele andere Erinnerungen nur bruchstückhaft und durchlöchert sind, und nach welchem Muster die einzelnen Erinnerungen überhaupt zueinander angeordnet sind, wird nie ganz klar – das steht die Form klar über dem Inhalt. „Matrix“ lässt dabei an diversen Stellen grüßen: Vor allem die Liebesgeschichte zwischen dem potenziellen Heilsbringer Viktor, der mit der bloßen Vorstellung von Bauplänen ganze (Traum-)Städte erschaffen kann, und der martialischen Fly weist deutliche Parallelen zur Romanze zwischen Neo und Trinity auf, ist aber sehr viel plumper und weniger berührend. Sowieso wirkt Rinal Mukhametov als visionärer, aber stets gescheiterter Architekt im Gegensatz zu Keanu Reeves zu blass und unsympathisch, um den Film allein auf seinen Schultern zu tragen.
Bei allem visuellen Overkill, den „Coma“ auch dank seiner verschwenderischen Ausstattung und seiner futuristischen Architektur mit allerlei Cybperpunk-Elementen zu bieten hat, enttäuschen ausgerechnet die Actionszenen. Eine temporeiche und spannende Verfolgungsjagd in der ersten Viertelstunde, die bereits im neugierig machenden Trailer zu sehen war, bleibt bei den folgenden ebenso kurzen wie schnell geschnittenen Scharmützeln bis zum Ende ein einsames Action-Highlight. Irgendwann hat man sich an den faszinierenden Erinnerungswelten satt gesehen – und darunter verbirgt sich abseits einer halbherzigen Religionskritik kein doppelter Boden, keine gesellschaftspolitischer Unterton. Ein bisschen Humor und etwas mehr Tiefgang hätte „Coma“ gerade beim Schielen auf die Vorbilder jenseits des großen Teichs durchaus gutgetan. Denn bei dem unterkühlten Szenario gerät man zwar oft ins Staunen – fiebert mit den austauschbar bleibenden Figuren aber kaum mal mit.
Fazit: „Coma“ ist ein fulminanter Bilderrausch mit beeindruckenden Effekten, der über weite Strecken überwältigt, bei dem unter der optisch atemberaubenden Oberfläche aber stets auch die Eindimensionalität von Figuren und Story durchschimmert.