Mit einer halben Prise Feenglanz im Nimmerland
Von Sidney ScheringWährend Disney-Neuverfilmungen wie „Der König der Löwen“ und „Die Schöne und das Biest“ an den Kinokassen einschlugen wie eine Bombe, blieb das Einspielergebnis von „Elliot, der Drache“ trotz positiver Presseresonanz bescheiden: Die 65-Millionen-Dollar-Produktion nahm 2016 weltweit bloß etwas mehr als das Doppelte ihrer Kosten ein. Im Kosmos der Disney-Remakes ist das finanziell gesehen eine Enttäuschung, für „A Ghost Story“-Regisseur David Lowery jedoch ein gewaltiger Ausreißer nach oben. Schließlich rangieren die Einnahmen seiner restlichen Regiearbeiten zwischen einer Million („Saints - Sie kannten kein Gesetz“) und 20 Millionen Dollar („The Green Knight“).
Insofern überrascht es nicht, dass sich Lowery bereiterklärte, ein zweites Mal die Neuinterpretation eines Disney-Klassikers zu übernehmen – auch wenn sie diesmal nicht auf die große Leinwand kommt, sondern wenige Wochen vor dem Mega-Kinostart von „Arielle, die Meerjungfrau“ direkt auf Disney+ startet. Thematisch bleibt sich Lowery dabei treu: „Peter Pan & Wendy“ ist erneut ein Disney-Abenteuer mit Kindern, die sich im Grünen tummeln und gegen die Welt der Erwachsenen aufbegehren. Aber der wilde Freiheitsdrang ist diesmal nicht mehr ganz so stark ausgeprägt wie noch in „Elliot, der Drache“. Stattdessen klammert sich Lowery zwischenzeitlich so verzweifelt an seine handgezeichnete Inspirationsquelle aus dem Jahr 1953 wie Peter Pan und die Verwunschenen Kinder an ihrer Jugend...
Wendy (Ever Anderson) fühlt sich nicht mehr als Kind, aber auch noch nicht als Erwachsene – und so nutzt sie die Auszeit im Nimmerland, um sich erst einmal selbst über viele Dinge klar zu werden…
Wendy Darling (Ever Anderson) stehen große Änderungen bevor: Bald soll sie ihr wohlbehütetes Londoner Zuhause für eine Internatsschule verlassen – eine Vorstellung, vor der sie sich fürchtet. Daher stimmt sie zu, als eines Nachts der abenteuerlustige Peter Pan (Alexander Molony) in ihr Zimmer geflogen kommt und Wendy einlädt, gemeinsam mit ihren Brüdern Michael (Jacobi Jupe) und John (Joshua Pickering) ins magische Nimmerland zu reisen. Dort lockt ein aufregendes Leben ohne Eltern und ohne Älterwerden, jedoch treibt dort auch der böse Piratenkapitän Hook (Jude Law) sein Unwesen...
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War „Elliot, der Drache“ noch die Antithese zu Disney-Remakes, die den ikonischen Stoff einfach noch mal erzählen, nur eben mit einer fotorealistischen Ästhetik, ist „Peter Pan & Wendy“ ein heimatloser Film. Hin- und hergerissen zwischen Lowerys Sensibilitäten und einem gewöhnlicheren Remake, das schlicht den weltberühmten „Peter Pan“-Zeichentrickfilm von 1953 imitiert. Dabei sind es vor allem die Passagen der zweiten Kategorie, denen der Feenglanz immer wieder ein Stückweit abhandenkommt: Zu verkrampft wirkt es mitunter, wenn der menschliche Cast die Posen seiner gezeichneten Vorgänger einnimmt – zu offensichtlich ist die Kluft zwischen den um Fotorealismus bemühten Digitaltricks und der unbeschwerten, sich nicht weiter um physikalische Gesetzmäßigkeiten scherenden Inszenierung.
Deutlich spannender sind deshalb jene Szenen, in denen Lowery den Film von 1953 links liegen lässt und stattdessen seine eigene Lesart des „Peter Pan“-Bühnenstücks von J. M. Barrie, mit dem einst alles begann, in den Film mit einbringt: Wendy wird dabei als Mädchen etabliert, das sich so fühlt, als lebe es zwischen den Welten – zu erwachsen, um sich sorglos in die Kindereien ihrer jüngeren Brüder zu stürzen, zu kindlich, um sich den Herausforderungen des Älterwerdens zu stellen. Eine innere Zerrissenheit, die in Nimmerland gespiegelt wird: Auf der einen Seite der verantwortungslose und ungebildete Jungspund Peter Pan, der sich bockig ewiger Kindheit verschreibt, auf der anderen Seite der frustrierte Hook, der voller Neid den fliegenden Bengel hetzt, statt entspannt seinen Schallplatten mit klassischer Musik zu lauschen.
Der von Jude Law („A.I. – Künstliche Intelligenz“) ermüdet und zornig gespielte Hook hat kaum noch etwas mit dem Piratenkapitän aus der Zeichentrick-Version gemein. Weder äußerlich noch charakterlich – und dank neuer Hintergrundgeschichte stärkt er den thematischen Faden, der sich durchs Skript zieht. Auch Alexander Molonys Darstellung von Peter Pan als naivem Raufbold unterstreicht Nimmerlands Funktion, Wendy an einem spielerischen Ort ihre ganz realen Sorgen vor Augen zu führen. Und wenn Lowery und sein Schreibpartner Toby Halbrooks die Dialoge zurückschrauben, um stattdessen die Landschaftsaufnahmen von „Lone Ranger“-Kameramann Bojan Bazelli sprechen zu lassen, glimmt in „Peter Pan & Wendy“ bittersüße Magie auf.
Auch im Realfilm-Remake macht Hook (Jude Law) jagt auf Peter Pan und seine Verwunschenen Kinder…
Jedoch werden die hübschen Sequenzen, in denen Kinder auf der Flucht vor Verantwortung durch weiträumige Höhlen spazieren, in zugewucherten Ruinen toben oder sich im verwinkelten Wald tummeln, immer wieder überschattet – und zwar von sperrig bebilderten Versuchen, zu den ikonischen Stationen des Zeichentrickfilms zurückzukehren. Besonders ungelenk sind jene Szenen, in denen Lowery seinen eigenen Ansatz mit dem Zeichentrick-Vorbild zu vereinen versucht – da wird dann auch mal eine Actionszene für eine rührende Aussprache unterbrochen, die dann aber abrupt ins actionreiche Slapstick-Geschehen zurückgeschubst wird.
Und so konsequent es ist, die Darstellung der Kriegerin Tiger Lily (Alyssa Wapanatahk) und ihrer Familie vom stereotyp-karikaturesken Gestus des Zeichentrickfilms zu befreien, so inkonsequent ist dafür der Schlussakt des Films: Hier wechseln sich das Unterlaufen und das Imitieren der Motive aus dem Original so rasant und unmotiviert ab, dass daneben selbst die stürmischen Stimmungsschwankungen sich gegen die Bettruhe auflehnender Kinder besonnen anmuten…
Fazit: Schön und bittersüß, wenn „Green Knight“-Regisseur David Lowery wie schon in „Elliot, der Drache“ sein eigenes Ding durchzieht, aber atonal und visuell verkrampft, wenn einfach nur der Zeichentrickfilm nachgestellt werden soll: „Peter Pan & Wendy“ ist so am Ende weder ein werkgetreues Realfilm-Remake noch etwas wirklich Eigenes. Protagonistin Wendy wird sich mit dieser Zerrissenheit sicher identifizieren können, zu einer rundherum runden Sache wird diese Neuauflage dadurch aber leider nicht.
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