Im Juli 2015 durften sich die Fans von Nora Tschirner („Keinohrhasen“) und Christian Ulmen („Männerherzen“) freuen: Der MDR überzeugte die beiden auch privat befreundeten „Tatort“-Kommissare von einem Ausbau ihres Engagements für die Krimireihe. Ab sofort wird zweimal im Jahr in Weimar ermittelt. Das Bemühen des Senders kam nicht von ungefähr: Das Erfurter „Tatort“-Experiment mit den Hauptdarstellern Friedrich Mücke, Benjamin Kramme und Alina Levshin war nach zwei Folgen kolossal gescheitert und die Leipziger Ermittler Andreas Keppler (Martin Wuttke) und Eva Saalfeld (Simone Thomalla) befanden sich bereits im überfälligen Ruhestand. Weil auch der neue Dresdner „Tatort: Auf einen Schlag“ im März 2016 bei großen Teilen des Publikums durchfiel, ist der Fadenkreuzkrimi aus Thüringen momentan das Aushängeschild des MDR: Tschirner und Ulmen fuhren mit dem „Tatort: Die fette Hoppe“ und dem „Tatort: Der irre Iwan“, die jeweils an Feiertagen liefen, ordentliche Quoten ein und setzten einen neuen humorvollen Akzent in der Krimireihe. Dieser Stil setzt sich in Gregor Schnitzlers „Tatort: Der treue Roy“ fort – doch ihr dritter Einsatz ist trotz der mit klangvollen Namen gespickten Besetzung ihr bisher schwächster.
Den Angestellten eines Stahlwerks in der Nähe von Weimar bietet sich ein Bild des Grauens: In der Hochofenschlacke liegt eine bis aufs Skelett verbrannte Leiche. Es handelt sich dabei um Roy Weischlitz (Florian Lukas), der in dem Werk am Abstich beschäftigt war. Sein Privatleben bot wenig Spektakuläres: Roy wohnte bei seiner Schwester Siegrid (Fritzi Haberlandt) und verbrachte seine Zeit mit dem Bemalen von Zinnsoldaten und dem Führen eines Tagebuchs, das er akribisch auf der Rückseite von Lottoscheinen niederschrieb. Die Weimarer Kriminalkommissare Lessing (Christian Ulmen) und Kira Dorn (Nora Tschirner), die von ihrem Chef Kurt Stich (Thorsten Merten) zur Zusammenarbeit mit dem unsympathischen Kriminaltechniker Johann Ganser (Matthias Matschke) verdonnert werden, werten diese Notizen aus und ermitteln im Umfeld des Toten: Roy hatte einen Unfall verschuldet, bei dem Siegrieds Ex-Verlobter Karsten „Flamingo“ Schmöller (Thomas Wodianka) sein linkes Bein verlor – ein mögliches Mordmotiv. Ins Visier der Ermittler gerät auch der mit Karsten befreundete Zuhälter Frank Voigt (Sebastian Hülk), der die tschechische Prostituierte Irina (Nadine Boske) unter seinen Fittichen hat. Auf die hatte Roy offenbar ein Auge geworfen...
Am humorvollen „Tatort“ aus Weimar scheiden sich – ähnlich wie an den Quotenkönigen Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) aus Münster – seit jeher die Geister: Während die ARD dank der gaglastigen Geschichten und der prominenten Schauspieler neue Zuschauer für ihre Krimireihe begeistern konnte, fühlt sich so mancher „Tatort“-Purist vor den Kopf gestoßen. Insbesondere der an Neujahr 2015 ausgestrahlte zweite Weimarer „Tatort“ sah sich teils harscher Kritik ausgesetzt – was aber auch an der schlechten Tonqualität des Krimis lag, die bei vielen Zuschauern zu Verständnisproblemen führte und Hauptdarsteller Christian Ulmen sogar zu einer nachträglichen Entschuldigung veranlasste. Den Vorwurf des gelegentlichen Nuschelns müssen sich Tschirner und Ulmen auch bei ihrem dritten Einsatz wieder gefallen lassen, doch ist das noch das geringste Problem: Im 984. „Tatort“ dauert es eine geschlagene Stunde, bis überhaupt mal etwas Aufregendes geschieht. Eine gefühlte Ewigkeit hangeln sich Lessing und Dorn mühsam von Verhör zu Verhör, von One-Liner zu One-Liner – doch wirklich zünden wollen nur wenige Pointen.
Sorgten die Weimarer Kommissare bei ihren bisherigen Auftritten dank köstlicher Dialoge und vieler Überraschungsmomente für beste Unterhaltung, liefern der komödienerprobte Regisseur Gregor Schnitzler („Soloalbum“, „Resturlaub“) und die eingespielten Drehbuchautoren Murmel Clausen und Andreas Pflüger diesmal einen über weite Strecken enttäuschenden Schmunzelkrimi ab. Zwar setzen die Autoren bei ihrem dritten gemeinsamen „Tatort“ erneut auf die erfolgserprobte Mischung aus Wortwitz und skurrilen Figuren, diesmal sind dabei allerdings allzu viele platte Sprüche und alberne Gags herausgekommen. Erst im Schlussdrittel kommt endlich Schwung in die spannungsarme Komödie – wer bis dahin durchgehalten hat, wird die späte Wendung aber längst erahnen. Die Vorstellung, dass der MDR den vielfach leinwanderprobten Florian Lukas („Goodbye, Lenin“, „Absolute Giganten“) nur für ein zweiminütiges Engagement als Leiche und ein paar Schwarz-Weiß-Rückblenden verpflichtet hat, ist schließlich genauso absurd wie die schräge Geschichte, bei der die Filmemacher oft aufs falsche Pferd setzen. Besonders ermüdend ist das witzlose „Denglisch“, mit dem der titelgebende „treue Roy“ die Prostituierte Irina bezirzt: „That’s our Flugzeug in die Freiheit, Baby! But we must before noch what erledigen“, radebricht der Zinnsoldaten-Liebhaber in einer Schlüsselszene des Films.
Auch Charakterdarstellerin Fritzi Haberlandt („Transpapa“), die zuletzt im 13-Millionen-Zuschauer-Hit „Tatort: Summ, summ, summ“ und im „Polizeiruf 110“ Krimiluft schnupperte, wirkt unterfordert: In ihrer Rolle als labile Kosmetikstudiobetreiberin darf sie in erster Linie herumzetern und bei den Verhören trotzig aus der Wäsche gucken. Ausgerechnet in einer der lustigsten Sequenzen – Dorn gönnt sich in ihrem Studio ein folgenreiches Wohlfühlpaket – ist sie dann gar nicht mit von der Partie. Ein Volltreffer ist hingegen Sebastian Hülk („Amour Fou“) als überzeichneter Bilderbuch-Zuhälter: Erst knabbert der Lude seelenruhig Erdnüsse in einem Wandschrank und wird dort vom verdutzten Lessing entdeckt („Wer sitzt da im Schrank?“ – „Frank.“ – „Krank!“), später stellt er sich selbst als Kommunikationsberatungsspezialisten und seine Prostituierte als mehrfache Fernuni-Studentin vor. Auch die Chemie zwischen Lessing und Dorn stimmt: Tschirner und Ulmen, die in den vergangenen Jahren auch für Christof Wahls „Macho Man“ und Markus Gollers „Alles ist Liebe“ gemeinsam vor der Kamera standen, haben sichtlich Spaß an ihren „Tatort“-Rollen und präsentieren sich erneut als sympathisches Duo. Eine schräge Geschichte, gute Schauspieler und eine Handvoll ordentlicher Gags machen aber noch keinen gelungenen „Tatort“.
Fazit: Gregor Schnitzlers „Tatort: Der treue Roy“ ist ein seichter Schmunzelkrimi aus Weimar, mit dem der MDR nicht an den Unterhaltungswert der ersten beiden Fälle aus der Dichterstadt anknüpfen kann.