Jetzt wo der bevorstehende Zusammenbruch der (westlichen) Zivilisation nicht länger nur von konservativen Politikern und rechten Verschwörungstheoretikern heraufbeschworen wird (wobei die natürlich immer noch an vorderster Front stehen), wird das Thema naturgemäß auch im Horror-Genre immer konsequenter beackert. Egal ob durch Viren („28 Days Later“, „It Comes At Night“) oder Gesetze („The Purge“) – wenn die zivilisatorischen Regeln erst einmal außer Kraft gesetzt sind, dauert es auf der Leinwand meist nur wenige Minuten, bis überall Mord und Totschlag herrschen und die gerade noch geordnete Gesellschaft ins blutige Chaos stürzt. Das ist nun auch in „Mayhem“ nicht anders, für den Regisseur Joe Lynch („Knights Of Badassdom“, „Everly - Die Waffen einer Frau“) die Konzepte der oben genannten Filme kurzerhand zusammenschmeißt und zudem noch mit Greg McLeans Arbeitsplatz-Splatterorgie „Das Belko Experiment“ kreuzt. Das Ergebnis ist eine nur selten bissige Gesellschaftssatire mit brutalen Büroschlachten, in der leider nur die plattesten Stammtischparolen gegen die Finanzindustrie aufgefahren werden. So ist „Mayhem“ wohl am ehesten noch zum Frustabbau für ihren Job und ihren Chef verachtende Zuschauer geeignet.
In der nahen Zukunft sorgt das sogenannte Red Eye Virus dafür, dass die Infizierten ihre Gefühle nicht mehr unter Kontrolle haben – das Virus kapert praktisch die Emotionen der Betroffenen und verpasst dem ganz grundlegenden menschlichen Anstand eine Auszeit. Ob eine Infektion tödlich verläuft oder nicht, ist dabei weniger eine medizinische Frage als vielmehr Ansichtssache: Während das Virus bei seinem Wirt nämlich selbst keinen direkten Schaden verursacht, kann fortan selbst die kleinste Streiterei oder der geringste Stressanfall schnell in eine Auseinandersetzung auf Leben und Tod münden. Zwar haben die Wissenschaftler inzwischen ein Gegenmittel entwickelt, aber das braucht exakt acht Stunden, um zu wirken. Eine lange Zeit, wenn in einer großen Wirtschaftsberatungsfirma plötzlich alle schwelenden Bürokonflikte von einer Sekunde auf die andere mit einem breiten Waffenarsenal von der Nagelpistole aus dem Hausmeisterraum bis zum Golfschläger von der Chefetage ausgetragen werden…
Natürlich ist der Zuschauer auf der Seite des ausgebooteten Analysten Derek Cho (Steven Yeun, „The Walking Dead“) und der in Verzug geratenen Kreditnehmerin Melanie Cross (Samara Weaving), wenn sich das Duo von Stockwerk zu Stockwerk durchschlägt, um denen da oben (und das ist hier durchaus auch räumlich gemeint) mal zu zeigen, wo die Nagelpistole hängt. Nur erweist sich die Art, in der Joe Lynch und sein Drehbuchautor Matias Caruso die vermeintlich so böse Firma zeichnen, leider als nichts Halbes und nichts Ganzes: Mit Ausnahme des The Reaper genannten Personalchefs (Dallas Roberts, „Todeszug nach Yuma“) sind die Bosse bei weitem nicht so schleimig und fies, dass man wirklich Spaß daran hat, wenn sie umgenietet werden. Und zugleich zündet auch die Gesellschaftssatire nicht, dafür fallen die antikapitalistischen Seitenhiebe viel zu platt und oberflächlich aus. Letztlich trifft der Film nur ein einziges Mal die Wirklichkeit in allen Unternehmensbüros dieser Welt absolut auf den Punkt: Egal wie viel Mist jemand bei der Arbeit auch gebaut hat – NICHTS, aber auch NICHTS ist schlimmer, als eine fremde Kaffeetasse zu benutzen.
Noch weniger überzeugend als die Kapitalismusschelte ist allerdings das Einprügeln auf das amerikanische Justizsystem, das wir auch in der Logik des Films schlicht nicht verstanden haben: Es wird nämlich immer wieder betont, dass einst Derek selbst das juristische Schlupfloch entdeckt hat, wegen dem unter dem Einfluss des Red Eye Virus begangene Taten inzwischen nicht mehr als Mord bestraft werden können (sobald das Virus ausbricht, herrscht vielmehr für acht Stunden praktisch ein „The Purge“-artiger gesetzloser Zustand). Im Off-Kommentar des Films klingt das allerdings so, als ob das etwas ganz Verachtenswertes sei und wieder mal mit den schmierigen Winkeladvokaten und ihren morallosen Tricksereien zu tun habe. Nur: Es wäre doch sowohl nach deutschem als auch nach US-amerikanischem Recht ganz normal und auch nur gerecht, jemanden nicht einzusperren, wenn er nachweislich wegen eines Virus keine Kontrolle über sein Handeln hatte. Es ist schon klar, worauf die Macher hier rauswollen – sie schimpfen auf die Möglichkeit, allgemein vor Gericht auf „Unzurechnungsfähigkeit“ zu plädieren. Aber hier geht das Stammtisch-Gezeter leider über jedwede erzählerische Logik.
Aber selbst wenn man all die verpassten thematischen Chancen beiseitelässt und „Mayhem“ stur als ambitionslosen Genrespaß hinnimmt, fällt das Ergebnis allenfalls mittelmäßig aus. Zunächst macht es vor allem Laune, die fast schon wie Wimmelbilder funktionierenden Hintergründe zu beobachten – während die Protagonisten im Zweifelsfall unwichtiges Zeugs reden, herrscht hinter ihnen meist das blanke Chaos, wenn sich die 287 Angestellten der Firma wegen typischer Arbeitsplatzzwistigkeiten direkt die Schädel einschlagen (oder im Gegenteil hemmungslos miteinander poppen). Aber das Sodom-und-Gomorrha-artige Wirrwarr nimmt mit fortlaufender Spieldauer deutlich ab – und damit fällt es auch immer schwerer ins Gewicht, dass die eigentlichen Actionszenen ziemlich uninspiriert inszeniert sind. Keine Ahnung, ob es da an Budget oder an Ideen gemangelt hat, aber wer wirklich krasses Bürogemetzel sehen will, sollte lieber weiterhin auf „Das Belko Experiment“ setzen.
Fazit: Der anfangs leidlich unterhaltsame Splatter-Spaß im Bonzen-Büro lässt mit fortlaufender Dauer immer stärker nach – und auf die satirischen Ambitionen hätten die Macher besser gleich ganz verzichtet.
Wir haben „Mayhem“ beim Fantasy Filmfest 2017 gesehen, wo er im offiziellen Programm gezeigt wird.