Ein historisches #MeToo-Biopic
Von Antje WesselsSidonie-Gabrielle Claudine Colette ist die wohl bedeutendste französischen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. Ihre Bücher, darunter die Bestseller „Chérie“, „Mitsou“ und „Erwachende Herzen“, verkauften sich nicht bloß millionenfach und wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt, einige von ihnen wurden sogar schon zu Stummfilmzeiten fürs Kino verfilmt. Mindestens genauso spannend wie Colettes Werke ist der Werdegang der 1873 im Burgund geborenen Französin, die im Alter von gerade einmal 16 Jahren ihren ersten Ehemann Henry Gauthier-Villars, einen zwar angesehenen, aber in Wahrheit ziemlich lotterhaften Literaten, kennenlernte. Durch ihn und seine Unfähigkeit, mit Geld umzugehen, entdeckte Colette schon früh ihr Talent zum Schreiben, was ihr nach einigen Umwegen den Pfad zu einer Karriere als Schriftstellerin, Journalistin und Varietékünstlerin ebnete, den Wash Westmoreland nun in seinem angenehm unsentimentalen Biopic „Colette“ nachzeichnet.
Der „Still Alice“-Regisseur erzählt in seinem stark besetzten Drama von einer jungen Frau, die nach und nach begreift, in was für einen (gar nicht so goldenen) Käfig sie sich mit ihrer Ehe hineinmanövriert hat. Dabei legt Westmorland den Fokus aber keinesfalls auf ihre Opferrolle, sondern ganz klar auf ihr Selbstbewusstsein und ihre Fähigkeiten, mit denen sie sich aus dieser Situation schließlich wieder hinausmanövriert. Die sich auch abseits der Hollywood-Industrie für Frauenrechte einsetzende Keira Knightley („Der Nussknacker und die vier Reiche“) erweist sich – vielleicht gerade deswegen – als Idealbesetzung für die resolute Autorin, die als erste Frau in der Geschichte Frankreichs mit einem offiziellen Staatsbegräbnis bedacht wurde.
Sidonie Gabrielle-Colette (Keira Knightley) wächst wohlbehütet als jüngstes von vier Geschwistern in der ländlichen Bourgogne auf. Eines Tages lernt sie den angesehenen Pariser Autoren und Lebemann Willy (Dominic West) kennen und lieben. Sie zieht zu ihm in die turbulente französische Hauptstadt. Aber als das Geld von Willys letzten Romanverkäufen zur Neige geht, wird es Zeit für ein neues Buch. Doch den Schriftsteller plagt eine Schreibblockade. Also überzeugt er seine Frau, für ihn als Ghostwriter zu arbeiten. Colette schreibt über die Jugendjahre einer jungen Frau namens Claudine. Willy veröffentlicht den biographisch geprägten Roman mit Zustimmung seiner Frau unter seinem eigenen Namen. Das Buch wird ein Hit. Schon bald ist Frankreich ganz wild auf neue Abenteuer der Titelheldin, von der es sogar Fanartikel zu kaufen gibt. Auch ein Theaterstück ist in Planung. Zunächst ist das Paar überwältigt von dem Erfolg, doch irgendwann will sich Colette nicht länger damit zufriedengeben, nur die Frau des Starautoren zu sein...
Es ist natürlich kein Zufall, warum ein Filmemacher gerade jetzt auf die Idee kommt, die Lebensgeschichte von Colette fürs Kino zu verfilmen. Seit #MeToo und Co. ist das Gespür für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts in der Unterhaltungsindustrie merklich geschärft. Was läge da also näher, als eines der prominenten Beispiele für die gezielte Unterdrückung einer weiblichen Stimme zu nehmen und einen Film darüber zu inszenieren, wie sich diese Frau ihren Platz und ihre Stimme zurückerobert, indem sie sich aus eigener Kraft in einer von Männern dominierten (Berufs-)Welt emanzipiert?
Das Drehbuchautorentrio Wash Westmoreland, Richard Glatzer („Mein Leben mit Robin Hood“) und Rebecca Lenkiewicz („Ida“) macht nicht den naheliegenden Fehler, Colette zunächst als duckmäuserisches Opfer einzuführen, um dann eine größtmögliche Wandlung zeigen zu können, wenn sie schließlich ihre Stimme erhebt. Stattdessen ist Colette von Anfang eine Frau, die zwar in bestehende patriarchale Verhältnisse hineingeboren wurde, diese allerdings schon lange grundlegend hinterfragt. In „Colette“ geht es deshalb weniger darum, wie sich die Protagonisten im Laufe ihres Lebens verändert, sondern eher darum, wie sie die Welt um sich herum verändert. Colette weiß von Beginn an, wie es eigentlich sein müsste, selbst wenn ihr Ehemann sie einsperrt oder über ihren Kopf hinweg über ihre literarische Schöpfung entscheidet.
In der ersten Hälfte des prunkvoll ausgestatteten Films wirkt die Biographie hier und da noch etwas zäh. Westmoreland nimmt sich viel Zeit, um das Privatleben des ehrlich ineinander verliebten, sich in der Öffentlichkeit sehr progressiv gebenden Paares zu zeigen und damit anhand vieler kleiner exemplarischer Momente ein bissiges Sittengemälde der damaligen Gesellschaft zu zeichnen. Dabei gibt es auch das ein oder andere allzu offensichtliche Klischee: „Männer sind eben so!“, erklärt Willy beispielsweise seine zahllosen Besuche bei einer Prostituierten. „Du musst dich erst an die Ehe gewöhnen!“, versucht Colettes Mutter ihre Tochter zu beruhigen, als diese eines Tages darüber klagt, sich in ihrer Beziehung unwohl zu fühlen.
Aber insgesamt überwiegen doch klar die treffenden, subtilen Beobachtungen. Etwa wenn Colette schon fast damit eine Kontroverse auslöst, dass sie sich ganz selbstverständlich selbst ein Abendkleid für die Party aussucht, ohne vorher ihren Ehemann zu fragen. Dasselbe gilt für die Wahl ihrer Gesprächspartner und ihrer Flirts (beider Geschlechter). Mit der Veröffentlichung des ersten Buches „Claudine auf dem Land“ verlagert sich der erzählerische Schwerpunkt vom Privatleben immer stärker auf die öffentliche Wahrnehmung des Paares. „Colette“ ist nicht bloß ein Film über die Autorin selbst, sondern verhandelt zwischenzeitig auch die Idee, wie eigentlich ein Fankult entsteht und was dies mit dem Schöpfer bzw. vermeintlichen Schöpfer alles anstellen kann, wenn ihm die Aufmerksamkeit zu Kopf steigt.
Diese Passage hätte insgesamt zwar ein wenig mehr Tiefe vertragen (wir sehen vor allem, wie es jedes noch so unwichtige Lifestyle-Produkt irgendwann mit Claudine-Aufdruck zu kaufen gibt), aber sie entlarvt trotzdem sehr schön die Doppelmoral der vermeintlich liberalen und ach so progressiven Pariser Gesellschaft. So erlaubt Willy seiner Frau zwar, (wie er selbst) eine Affäre zu haben, allerdings nur, solange es sich dabei nicht um einen anderen Mann handelt.
Dass Colette in Willy durchaus einen passenden (Traum-)Mann gefunden hat, macht die ganze Sache angenehmen ambivalent. Wäre er einfach nur ein langweiliger Idiot, würde die Auseinandersetzung bestimmt schnell öde. Aber so sprühen zwischen Knightley und Dominic West („The Wire“) zunächst absolut glaubhaft die Funken. Darüber hinaus zeichnet das Skript Willy wohlweislich nicht als aktiv unterdrückenden Ehemann, sondern als jemanden, der, genau wie seine Ehefrau, ebenfalls in die bestehenden gesellschaftlichen Normen hineingeboren wurde und selbst aus ihnen auszubrechen versucht. Wobei er dann, sobald es hart auf hart kommt, doch meist auf seine ausgestellte Fortschrittlichkeit pfeift und lieber wieder darauf setzt, die Oberhand in der Ehe zu haben. Gleichberechtigung ja, aber nur solange sie nicht anstrengt.
Fazit: „Colette“ ist nicht nur ein überzeugendes Biopic über die erfolgreichste französische Schriftstellerin des 20. Jahrhunderts, Colette selbst taugt auch 64 Jahre nach ihrem Tod noch immer als relevante Inspiration und erstaunlich moderne Ikone.