Ganz am Ende von „Maria Magdalena“ wird noch einmal ganz klar, worauf es die Macher mit ihrem Bibel-Biopic abgesehen haben: Auf einer Texttafel weisen sie die über Jahrhunderte hartnäckig überlieferten Darstellungen der Titelfigur als Sünderin und Prostituierte zurück – und verweisen diese damit ins Reich misogyner Legenden. Aber diese schriftliche Beglaubigung hat etwas Kontraproduktives an sich, als würde das feministisch angehauchte Drama um die wichtigste Frau in Jesus‘ Gefolgschaft nicht für sich sprechen können. Dabei ist der revisionistische Ansatz (der im Übrigen weitgehend einem schon lange vorherrschenden religionswissenschaftlichen Konsens folgt) gerade am Anfang klar erkennbar und gibt der (natürlich fiktionalen) Erzählung durchaus etwas Frisches und Modernes. Das Problem ist nur, dass der von Garth Davis mit feierlicher Zurückhaltung inszenierte Film fast nie dieses Thesenhafte abstreift. Statt der Wucht einer Überzeugungstat wie sie etwa Mel Gibsons „Die Passion Christi“ unbestreitbar besitzt, hat der politisch korrekte „Maria Magdalena“ etwas Angestrengtes und Leidenschaftsloses.
Judäa, im Jahr 33. Maria Magdalena (Rooney Mara) ist die Tochter einer Fischerfamilie und eine talentierte Geburtshelferin. Ihr Vater Daniel (Denis Ménochet) ist besorgt, weil sie immer noch nicht verheiratet ist und bereitet ihre Hochzeit mit Ephraim (Tsahi Halevi) vor. Doch die junge Frau sträubt sich gegen die verordnete Ehe und sorgt damit für einen kleinen Skandal. Die Familie will sie durch einen Exorzismus auf den rechten Weg zurückzwingen, aber das macht die Entfremdung nur komplett. Maria schließt sich dem Prediger Jesus (Joaquin Phoenix) an, der sie mit seiner Vision einer gerechten und freien Gesellschaft beeindruckt. Gemeinsam mit ihm und seinen Jüngern macht sie sich zum Passahfest auf den Weg nach Jerusalem, wo Jesus das Wort Gottes verkünden will…
„Maria Magdalena“ beginnt mit einer Unterwassersequenz. Rooney Mara („Verblendung“, „Carol“) ist tief in das Blau eingetaucht, dazu fragt sie aus dem Off mit sanfter Stimme: „Wie wird es sein, das Himmelreich?“ Als Antwort folgt das berühmte Gleichnis vom Senfkorn und damit der erste indirekte Hinweis auf die Rolle als Apostelin, die Maria Magdalena hier bei der Ausbreitung der christlichen Lehre zugeschrieben wird. Doch das erschließt sich erst im Nachhinein und bleibt wie so vieles hier ziemlich theoretisch. Denn statt eines Glaubensdramas im engeren Sinne erzählt Garth Davis - wie in der zweiten Hälfte seines oscarnominierten Erstlings „Lion“ - vor allem von der Sehnsucht einer sich heimatlos fühlenden Figur. In der patriarchischen Welt von Judäa, wo Frauen nicht einmal beten dürfen, wann und wie sie wollen, fügt sich Maria nicht in die für sie vorgesehene Rolle. Sie sagt zwar selbst einmal: „Ich bin nicht so, wie ich sein müsste!“ Aber insgesamt wird dieser Konflikt ganz stark aus heutiger Sicht erzählt. Und so braucht es natürlich keine weitere Begründung für ihre Ablehnung einer Zwangsheirat – sie erscheint als moderne Frau in einer rückständigen Gesellschaft, was durch den folgenden Horror des Exorzismus noch unterstrichen wird. Aber ein erkennbares Ziel, einen konkret nachfühlbaren Antrieb hat sie nicht.
Die Brutalität der Zwangsmaßnahme fällt komplett aus dem Rahmen, selbst die Kreuzigung hat hier keine vergleichbare Intensität – überhaupt wird die Passionsgeschichte hier in wenigen Minuten abgehandelt, konsequenterweise liegt auch dabei der Fokus auf der Präsenz Maria Magdalenas. Doch eine (Ver-)Wandlung der Figur ist auf dem Weg dahin kaum erkennbar. Mara verbleibt die ganze Zeit im großäugig-keuschen, vage sehnsuchtsvollen Emo-Modus, aus dem sie auch in den gemeinsamen Szenen mit Jesus nicht ausbricht. Der Gedanke einer Liebesbeziehung zwischen den beiden, wie sie etwa in Martin Scorseses „Die letzte Versuchung Christi“ auch sexuell ausgelebt wird, kommt einem gar nicht erst in den Sinn. Aber auch sonst fehlt Maria jede sichtbare Leidenschaft und wenn sie im Laufe des Films immer mehr zur bewundernden Dienerin Jesus‘ wird und dabei immer passiver wirkt, unterläuft das letztlich trotz starker Schlussmomente auch den emanzipatorischen Ansatz der Filmemacher, wobei gläubige Zuschauer/innen ihr Porträt womöglich ganz anders empfinden.
Nicht nur durch die Passivität der Hauptfigur wirkt dieser Film häufig etwas statisch, fast leblos. Zu diesem Eindruck tragen auch die sorgfältig komponierten und für sich genommen oft wunderschönen Tableaus von Kameramann Greig Fraser („Rogue One – A Star Wars Story“) bei. Das dominante Motiv sind karg gekleidete Menschen in karger, hügeliger Landschaft - und in Verbindung mit den allzu feierlichen, oft unecht klingenden Dialogen auf halber Strecke zwischen archaischem Bildreichtum und gefühligen Kalendersprüchen sowie der sphärischen Musik des kürzlich verstorbenen Johán Johánnsson („Arrival“) und seiner isländischen Landsfrau Hildur Guðnadóttir („The Revenant“) schrammt „Maria Magdalena“ immer wieder an der Grenze zum New-Age-Esoterik-Kitsch entlang.
„Maria Magdalena“ ist an den Rändern der Erzählung am spannendsten. So wird Jesus als eine Art friedlicher Sozialrevoluzzer dargestellt, der sich vor allem gegen die römische Fremdherrschaft in seiner Heimat auflehnt. Und Joaquin Phoenix („Inherent Vice“, „Walk The Line“) spielt den Messias mit einer erdenschweren Ruppigkeit, die weit entfernt ist vom charismatisch-entrückten Menschenfänger anderer Darstellungen. Wenn er in einer der stärksten Einstellungen des Films in der Menschenmasse in Jerusalem isoliert ist oder mit resignierter Selbstgerechtigkeit im Tempel wütet, dann lässt Phoenix eine tiefe Einsamkeit spüren und damit eine der wenigen stärkeren Gefühlsregungen. Faszinierend ist auch, wie hier mit der Figur des Verräters Judas umgegangen wird, den Tahar Ramin („Ein Prophet“) in der mit Abstand leidenschaftlichsten Darstellung des Films als ungeduldig-idealistischen Heißsporn und nicht etwa als rückgratlosen Schwächling porträtiert.
Fazit: „Maria Magdalena“ präsentiert eine frische Sicht auf die biblische Titelfigur, bleibt dabei aber ziemlich blutleer.