Allzu weichgezeichnet
Von Oliver KubeIm Jahr 1972 gab das ZDF beim japanischen Anime-Studio Zuiyo Enterprise („Heidi“, „Die Biene Maja“) die Produktion von „Wickie und die starken Männer“ in Auftrag. Als Grundlage für die Zeichentrickserie diente die gleichnamige Roman-Reihe des schwedischen Autors Runer Jonsson. Ab Januar 1974 wurden die Abenteuer des Wikingerjungen dann in Deutschland erstmals ausgestrahlt - und avancierten sofort zum Erfolg! Kinder begeisterten sich für den kleinen Titelhelden, weil er ihnen zeigte, dass man mit Köpfchen auch ohne die Größe und die Kraft eines Erwachsenen eine ganze Menge erreichen kann.
Zu Wickies 40. Geburtstag gab es dann ein zeitgemäß computeranimiertes Serien-Remake: Darin wurde weniger gestritten, die Wikinger sprachen den alkoholischen Getränken nicht mehr ganz so exzessiv zu und Halvar bezeichnete seinen Sohn auch nicht mehr als feige Memme. Trotzdem (oder gerade deshalb?) ist die Originalserie weiterhin sehr beliebt. Sonst würde sie wohl auch nicht nach wie vor so häufig bei KiKa über den Bildschirm flimmern. Die witzig erzählten und passend rustikal animierten Abenteuer sind einfach zeitlos.
Warum also musste die - nach den beiden erfolgreichen Realverfilmungen von 2009 und 2011 nun wieder als Animationsfilm realisierte - Kino-Neuauflage unbedingt visuell „aufgehübscht“ werden? Stattdessen hätte man eher noch mehr an der Story und den Figuren arbeiten sollen. So jedenfalls wird das von Regisseur Éric Cazes inszenierte Familien-Abenteuer „Wickie und die starken Männer - Das magische Schwert“ bei der neuen Generation an Wikinger-Fans kaum eine solche Begeisterung entfachen, wie es damals noch dem Original gelungen ist.
Muss man mögen: Der neue Animationsstil versieht die rustikalten Wikinger mit weichen Kanten.
Für einen Wikingerjungen seines Alters ist er zwar eher klein und schmächtig geraten - und trotzdem träumt der clevere Wickie (Stimme: Julius Weckauf) davon, seinen Papa und Häuptling Halvar (Dietmar Bär) sowie dessen kampfeslustige Besatzung bei ihren Fahrten begleiten zu dürfen. Aber Halvar will seinen Sohn lieber in Sicherheit im heimischen Küstendorf Flake wissen. Eines Tages erbeuten die Wikinger jedoch ein mysteriöses Schwert, das alles und jeden, mit dem es in Berührung kommt, in pures Gold verwandelt – dummerweise auch Wickies Mutter Ylva.
Kurz zuvor war der junge Krieger Leif (Ken Duken) unerwartet in Flake aufgetaucht und von Halvar freudig empfangen worden. Unbewusst sieht der Häupling in dem Neuankömmling den starken, mutigen Sohn, der Wickie einfach nicht sein kann. Der Fremde behauptet zu wissen, wie Ylvas Verwandlung rückgängig gemacht werden könne. Dafür sollen die Wikinger mit dem Schwert zu einer geheimnisvollen Insel in See stechen. Auf dem Weg dorthin müssen sie ein gefährliches Piraten-Paradies anlaufen sowie ihr Schiff durchs Eismeer und gigantische Sturmwellen manövrieren. Gut, dass sich Wickie und seine kaum weniger pfiffige Cousine Ylvi (Malu Leicher) heimlich mit an Bord geschlichen haben, um den starken Männern im Notfall unter die Arme zu greifen...
„Wickie und die starken Männer - Das magische Schwert“ fängt nicht komplett bei null an, ist also keine klassische Origin-Geschichte. Das ist erfreulich, denn die älteren Fans des Franchise wissen das ohnehin längst alles. Und sollten die „Wickie“-Veteranen ihren Kindern oder Enkeln die Grundlagen nicht schon vor dem Kinobesuch vermittelt haben, bekommen junge Kinogänger die nötigen Basics (Nasereiben & Co.) trotzdem im Laufe des neuen Films problemlos mit.
Klar, Wikinger waren harte Kerle - immerzu auf Raubzügen, mit dem Messer zwischen den Zähnen. So wird das Image von den hünenhaften, blutrünstigen Nordmännern von „Die Wikinger“ mit Kirk Douglas über Nicolas Winding Refns sperrig-brillantem „Walhalla Rising“ bis hin zu der Erfolgs-Serie „Vikings“ zumindest in der Popkultur seit jeher gezeichnet. Der von „Tatort“-Kommissar Dietmar Bär mit genau der richtigen Mischung aus Mut, väterlicher Wärme und einer gehörigen Portion Trotteligkeit gesprochene Häuptling Halvar sieht sich und seine Männer zwar genauso, hat in der Eröffnungsszene aber erst einmal ganz andere Sorgen. Denn zu Hause warten die in Wahrheit die Hosen anhabenden Frauen darauf, dass die sich in einer Tour arg ungeschickt anstellenden Helden einen ordentlichen Fischfang heimbringen, damit das Dorf sein jährliches Fest feiern kann. Was selbstredend völlig schiefgeht.
Ein Eichhörnchen als Neuzugang - da hätte man sich lieber auf die starken Männer konzentriert, die hier doch ganz schön kurz kommen.
Soweit ist in Sachen Szenario und Atmosphäre bei der Neuauflage noch alles stimmig – selbst wenn die Interaktionen zwischen den Figuren hier spürbar harmonischer ablaufen als das noch in den 1970ern der Fall war. Die einzelnen Wikinger sind optisch sofort wiedererkennbar an ihre Pendants aus der Originalserie angelehnt - und der kultige, mit blinkenden Sternen und Musik verzierte Moment, der immer dann kommt, wenn Wickie sich die Nase reibt und einen seiner unschlagbaren Geistesblitze hat, ist ebenfalls stimmig realisiert. Allerdings geht ansonsten bei den allzu weich, fast schon wie Filzpuppen wirkenden CGI-Gesichtern einiges vom Charme der Vorlage verloren. So schön zum Nordmann- und Seefahrer-Sujet passend rustikal und kantig wie im Original ist hier nichts mehr. Nicht einmal das Schiff und die Küste rund um Flake. Alles sieht eigentlich viel zu glatt aus. Ein Makel, den bereits das ebenfalls von Cazes inszenierte Serien-Remake hatte.
Zudem sind die Nebenfiguren aus der Wikingerbesatzung enttäuschend dünn geschrieben. Das beginnt mit Ylvi, die zwar häufig im Bild ist, aber wenig mehr zu tun bekommt als den schneidigen Leif anzuhimmeln. Und auch Fan-Lieblinge wie Tjure, Snorre, Urobe, Faxe und Ulme kommen kaum zu Wort und können – abgesehen von reinen Oberflächlichkeiten – kaum etwas von ihren im Laufe der Serie entwickelten individuellen Qualitäten beziehungsweise Macken mit einbringen. Allesamt sind sie leider wenig mehr als Staffage. Selbst der Schreckliche Sven und sein Handlanger Pokka kommen als sekundäre Bösewichte noch besser weg als Halvars Männer. Da wurde die Chance vertan, mit ihrer Hilfe nicht nur den einen oder anderen gelungenen Gag mehr zu landen, sondern auch der Handlung mehr Tiefe zu geben.
Zu viel Aufmerksamkeit erhält dagegen ein von den Autoren neu erfundenes Eichhörnchen, das immer wieder in allen möglichen passenden, vor allem aber unpassenden Situationen auftritt. Der rotbraune Nager trägt nicht nur so gut wie nichts zur Story bei, er erinnert in Verhalten und Optik allzu auffällig an seinen entfernten Artgenossen Scrat aus der „Ice Age“-Reihe. Etwas mehr Originalität hätte es hier schon bedurft. Die beweisen die Macher dafür erfreulicherweise gleich zu Anfang: Eine erste kurze Auseinandersetzung mit dem Schrecklichen Sven und seiner Crew schmückt in Form von stark stilisierten Bildern den Hintergrund während der Credits im Vorspann.
Das größte Problem des Films ist allerdings, dass diverse Passagen unnötig in die Länge gezogen werden. Die Szenen im Eismeer, der Kampf mit drei aufeinanderfolgenden Flutwellen oder die Streitereien mit Tanz- und Gesangseinlage im – optisch durchaus einfallsreich gestalteten - Piratenparadies wollen einfach kein Ende nehmen. Obwohl selbst kleineren Kinogängern sehr schnell klar sein dürfte, worauf die Szenarien jeweils hinauslaufen werden. Zudem ist die Sage um den nordischen Göttervater Odin samt seiner sich bekriegenden Söhne Thor und Loki, die ab etwa der Hälfte der nur 75 Minuten langen Laufzeit relevant wird, auch dank dem MCU gerade wieder hochaktuell, aber eben auch ganz schön ausgelutscht.
Fazit: Die allzu weichen Animationen rauben den mittlerweile von Generationen geliebten Figuren viel von ihrem rauen Charme. Zudem enthält die Story selbst für einen derart kurzen Film zu viel Leerlauf.