Der historisch längst überholte Brauch, dass sich Adlige und Offiziere den Fehdehandschuh zuwerfen, Satisfaktion fordern und mit Florett oder Pistole gegeneinander antreten, um ihre Ehre zu verteidigen, ist auch als filmisches Thema ziemlich aus der Mode gekommen. Der ritualisierte Zweikampf „Mann gegen Mann“ war bei Max Ophüls („Brief einer Unbekannten“), bei den drei Musketieren oder leicht abgeändert in Western noch angesagt, aber nach Stanley Kubricks „Barry Lyndon“ und Ridley Scotts „Die Duellisten“ aus den 1970ern sind schon wieder einige Jahrzehnte vergangen, in denen es im Kino allenfalls sporadisch zu klassischen Duellen kam. Aber nun lässt der Regisseur Alexey Mizgirev in seinem opulenten Historiendrama „Der Duellist“ diese Tradition aufleben und gibt seiner Geschichte dabei einen Touch von Superheldenkino.
St. Petersburg, 1860. Unter den Adligen und Ehrenmännern, die Etikettenfragen gerne mal mit Schusswaffen klären, sorgt ein mysteriöser Neuzugang für mehrere Todesfälle. Der ehemalige Offizier Jakovlev (Peter Fedorov) behauptet zwar, weder an Duellen noch an Pistolen interessiert zu sein, nutzt aber seine unglaublichen Fähigkeiten (auf der Bühne schießt er sich mit einem Querschläger selbst einen Becher vom Kopf) zu einer gutbezahlten Karriere, indem er seine Dienste zum Kauf anbietet und für andere stellvertretend zum Duell antritt. Doch sein aktuell großzügigster Auftraggeber, der anonym bleiben will, hat düstere Pläne, in die neben Jakovlev und seinem „Manager“ Baron Staroe (Martin Wuttke) noch der angesehene Graf Beklemishev (Vladimir Mashkov), der junge Fürst Tishkov (Pavel Tabakov) und dessen Schwester Marta (Julia Khlynina) hineingezogen werden.
Diese Synopsis kratzt nur an der Oberfläche der Handlung, selbst eine noch so detaillierte Inhaltsangabe würde der komplexen Erzählweise Alexey Mizgirevs ohnehin nicht gerecht werden: Der chronologische Haupterzählstrang wird immer wieder durch clever platzierte Flashbacks unterbrochen, in denen man nach und nach die Vorgeschichte Jakovlevs (der Name stimmt noch nicht einmal) erfährt. Die von Rache, Intrigen, Hass und Leidenschaft durchzogene Geschichte wird mehrfach umgekrempelt und dann zu einem stimmigen Schlusspunkt gebracht, wobei sich die Filmemacher an Klassikern der russischen Literatur orientieren, aber zugleich etwas ganz eigenes kreieren.
Bei einem der ersten, durchweg abwechslungsreich gestalteten Duelle des Films verflucht der Sekundant des unterlegenen Widersachers Jakovlev, weil dieser den gerade getöteten Mann nicht einmal kannte. „Sie sind zu spät dran, das bin ich bereits“ entgegnet der grimmig dreinschauende Rächer, der einen an dunkle Comicfiguren wie „Ghost Rider“, „Wolverine“, „The Crow“ oder den „Punisher“ erinnert und entsprechend auch so etwas wie eine „origin story“ hat, die ihm wie Batman und Konsorten den Grund liefert, das Leben eines Getriebenen zu führen, um ein großes Unrecht zu sühnen. Und wenn es sehr spät im Film zu einer nicht unerwarteten, aber dennoch ungewöhnlichen Liebesgeschichte kommt, dann gibt diese für eine solche Heldenfigur untypische Paarbildung dem Film eine besondere Note, obwohl der Funke der Leidenschaft nicht so recht rüberkommt.
Produzent Alexander Rodnyansky war an einigen prestigeträchtigen, aber sehr unterschiedlichen russischen Filmen der jüngeren Vergangenheit wie „Stalingrad 3D“, Alexander Sokurovs „Die Sonne“ oder dem Golden-Globe-Gewinner „Leviathan“ beteiligt. „Der Duellist“ brachte er in Russland sogar in IMAX-Kinos, doch statt mit riesigen Bauten und zahllosen Statisten in teuren Kostümen trumpft Regisseur Alexey Mizgirev (sein voriger Film „Die Überführung“ lief 2012 im Panorama der Berlinale) vor allem mit einer eigentümlichen düsteren Filmsprache auf. Abgesehen von einigen aufwändigen Außenaufnahmen, die durch den Dauerregen in der russischen Hauptstadt eine Atmosphäre fast wie in „Blade Runner“ oder „Sieben“ erzielen, ist der Film vor allem durch vielsagende Innenansichten geprägt. Immer wieder werden neben samtenen Vorhängen und güldenem Prunk auch zerkratzte Fußböden und bröckelnde Wände ins oft leicht verkantete Bild gerückt. Außerdem muss die dekadente Oberschicht hier auch mal durch den Schlamm stapfen und sich die vermeintlich weiße Weste beflecken - man erwartet fast, dass in einer der Nahaufnahmen wie in David Lynchs „Blue Velvet“ das Gewürm aus dem Boden hervorwabert.
Wenngleich die Filmfiguren mit ihren Rachegelüsten und Karriereplänen trotz der emotionalen Wunden recht wenig Tiefe zeigen und die Dialoge oft etwas schwülstig geraten sind, ist diese seltsame Kombination des historischen russischen Settings und einem entschieden heutigen Blockbusterlook (irgendwo zwischen den Wachowskis und David Fincher) durchaus unterhaltsam. Und wer die versierten russischen Stars nicht kennt, bekommt zumindest mit Martin Wuttke (der Hitler aus „Inglorious Basterds“) und Franziska Petri („Vergiss Amerika“) als Großherzogin Alexandra vertraute deutsche Gesichter zu sehen.
Fazit: Ein beinahe unaufhaltsamer Racheengel schießt sich durchs düstere Zarenrussland, als wäre er Keanu Reeves oder Hugh Jackman – ein sehenswerter Historienschinken der etwas anderen Art.