Auguste Rodin. Bedeutender Bildhauer, französischer Großkünstler, unersättlicher Frauenheld: ein idealer Protagonist für ein prestigeträchtiges historisches Biopic mit jener Mischung aus respektablem Anspruch und galatauglicher Starpower wie sie die Macher des Filmfestivals in Cannes immer wieder gern präsentieren. Nachdem sich die Arthouse-Urgewalt Gérard Depardieu bereits 1988 an der Rolle versucht hat und in „Camille Claudel“ von Partnerin Isabelle Adjani ganz dem Filmtitel entsprechend in den ungewohnten Schatten gestellt wurde, ist die Besetzung des biografischen Künstlerdramas „Auguste Rodin“, das fast 30 Jahre später nun tatsächlich im Wettbewerb an der Croisette läuft, vor allem aus internationaler Sicht weniger glamourös, und auch der Regisseur erhöht nicht etwa den Promifaktor der Produktion. Während Vincent Lindon („Welcome“) mit seiner wuchtigen Präsenz jeden Gedanken an Depardieu vergessen lässt, gelingt es Filmemacher Jacques Doillon, der bisher eher als Schöpfer von rohen, oft erotisch aufgeladenen Autorenfilmen über den ewigen Kampf zwischen Mann und Frau wie „Love Battles“ bekannt ist, nicht, seine persönlichen thematischen Obsessionen produktiv mit den Regeln des biografischen Dramas zu vereinen. So überzeugt „Auguste Rodin“ letztlich weder als Erzählung über das Leben und Schaffen eines großen Künstlers noch als ambitionierte Studie einer (selbst)-zerstörerischen Beziehung.
1840. Der Bildhauer Auguste Rodin (Vincent Lindon) ist 40 Jahre alt und hat bereits einige Prominenz erlangt. Nun hat er seinen ersten Auftrag vom französischen Staat bekommen und soll das Portal für ein neues Museum schaffen. Aber die Genese des Werks, das später als Höllentor zum Hauptwerk des Künstlers werden wird, braucht ihre Zeit. Immer wieder verwirft Rodin seine Entwürfe, außerdem verwendet er viel Zeit auf die Frauen. Seine oft wechselnden Modelle landen fast ebenso oft in seinem Bett, zugleich führt er eine komplizierte Beziehung zu seiner Schülerin Camille Claudel (Izïa Higelin, „Heute bin ich Samba“) und auch seine langjährige Gefährtin Rose Beuret (Séverine Caneele) hält Rodin trotz allem weiter die Treue.
Jacques Doillon folgt nicht der Dramaturgie vieler Biopics vor allem aus Hollywood, in denen wichtige Lebensstationen und einschneidende Vorkommnisse aneinandergereiht und zu einem psychologisch schlüssigen, alles erklärenden Porträt mit einem eindeutigen Ziel gefügt werden. Er wählt vielmehr einen freieren, impressionistischeren Ansatz, seine Szenen sind nur lose miteinander verbunden, manchmal liegen sie Monate, gar Jahre auseinander und werden durch markante Schwarzblenden-Übergänge mit filigranen Zeichnungen Rodins getrennt: oft nur einzelne Striche einer Küstenlinie, eines Baums, eines Körpers. Durch diese Erzählweise wirkt der Film allerdings sprunghaft, eine Einordnung in (kunst-)historische Kontexte findet kaum statt – wo es in anderen Biopics häufig zu viele Erklärungen gibt, sind es hier eher zu wenig.
Immer wieder sieht man Rodin mit seinen Händen Dinge ertasten. Wenn er etwa mit den Fingern die verwurzelten Äste eines Baums entlangfährt, ist zu erkennen, wie er der Körperlichkeit und dem Leben nachspürt – in diesen Szenen gibt uns Doillon immerhin eine Ahnung vom Schöpfergeist seines Protagonisten: Rodin belebte in seinen Statuen gleichsam tote Materialien wie Stein oder Bronze und revolutionierte so die Bildhauerei. Er porträtierte zwar auch berühmte (männliche) Zeitgenossen wie Victor Hugo oder Honoré de Balzac, aber am stärksten inspirierten ihn die Frauen und ihre Körper. Das Verhältnis Rodins zu den Frauen steht dann auch durchaus im Mittelpunkt des Films, aber viel Gescheites fällt den Filmemachern dazu nicht ein.
Denn mehr als schmückendes Beiwerk sind die Frauen letztlich dann doch nicht in diesem einseitigen und oberflächlichen Porträt des kraftstrotzenden männlichen Genies Rodin. Das gilt auch für die 24 Jahre jüngere Geliebte Camille Claudel, die von einer gelehrigen Schülerin zu einer eigenständigen Künstlerin reifte und deren Tragödie es war, dass sie als Frau mit ihren erotischen Skulpturen auf eine Wand aus Vorurteilen stieß und nicht ihrem Talent gemäß gewürdigt wurde. Dabei spielte auch Rodin eine sehr ambivalente Rolle, aber all das kommt bei Doillon nur ansatzweise vor (anders als im bereits erwähnten „Camille Claudel“) - und die letztlich doch sehr macho- und triebhafte Attitüde des Protagonisten könnte man in einem Film aus dem Jahr 2017 ruhig schon mal hinterfragen.
Fazit: Jacques Doillons filmisches Porträt des Bildhauers und Frauenhelden Auguste Rodin ist allzu oberflächlich und in seinem Frauenbild fragwürdig.
Wir haben „Auguste Rodin“ bei den 70. Filmfestspielen in Cannes 2017 gesehen, wo er im offiziellen Wettbewerb gezeigt wird.