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    Licht
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Licht
    Von Siegfried Bendix

    Über die Jahrzehnte hat sich im historischen Biopic eine starre Dramaturgie herausgebildet, der die wenigsten Vertreter des Genres eigene Akzente hinzuzufügen wissen. „Licht“ aber reiht sich in eine Reihe von Filmen aus den vergangenen Jahren ein, in denen Regisseurinnen das Genre für ungeahnte erzählerische und formale Freiheiten nutzen: Jessica Hausners Heinrich-von-Kleist–Komödie „Amour Fou“ oder Maria Schraders Emigrations-Elegie „Vor der Morgenröte – Stefan Zweig in Amerika“. In „Licht“ widmet sich Barbara Albert („Nordrand“, „Böse Zellen“) nun der Klaviervirtuosin Maria Theresia Paradis, die im Wien der späten Rokoko-Zeit zu großer Bekanntheit gelangte.

    Die 18-jährige Maria Theresia (Maria Dragus), im Film meist Resi genannt, ist in ihrer frühen Kindheit plötzlich erblindet. Ihr musikalisches Können gilt deshalb als Sensation, wenngleich sie ansonsten eine gesellschaftliche Außenseiterposition einnimmt. Resis Eltern (Katja Kolm, Lukas Miko) setzen indes alles daran, sie von ihrer Augenkrankheit zu befreien – nicht unbedingt aus Liebe, sondern mehr aus Gründen der Reputation. Nachdem sämtliche Behandlungen fehlgeschlagen sind, wird Resi schließlich in die Obhut des umstrittenen Arztes Franz Anton Messmer (Devid Striesow) gegeben, der sie mithilfe eines nicht sichtbaren Fluidums kurieren will. Tatsächlich scheint seine Methode Erfolg zu haben, bereits nach kurzer Zeit nimmt Resi erste Bilder wahr. Doch bald muss sie feststellen, dass ihr neugewonnener Sinn einen hohen Preis erfordert – ihr Gespür für die Musik.

    Zu Anfang sehen wir das Gesicht von Resi in Großaufnahme, ihre Augen verdreht, zuckend, gerötet; dann ein Schwenk zu den zwischen Faszination und Irritation schwankenden Zuschauern. Manche loben ihr Spiel, andere maßregeln sie lautstark für ihre Sitzhaltung, eine Frau raunt einer anderen zu, hübsch sei Maria Theresia ja nicht gerade: ein Querschnitt von Reaktionen, die zum Teil auch auf uns zurückfallen. Aus den Verhaltensnormen, Gepflogenheiten und Sprechweisen der Zeit zieht Barbara Albert einige Komik, gleichzeitig fungiert die Wiener Gesellschaft des 18. Jahrhunderts auch als groteskes Zerrbild von Mechanismen, die heute unverändert existieren: Zum einen spiegelt „Licht“ den defizitorientierten Blick auf Menschen mit Behinderung, zum anderen legt Albert den Film auch als Emanzipationsgeschichte inmitten einer patriarchal und hierarchisch geprägten Umwelt an. Den ausladenden Prunk der Ära tauscht die Regisseurin gegen eine entsättigt-naturalistische Farbgebung aus, sobald der kerzenbeleuchtete höfische Konzertsaal verlassen wird, in dem Maria wie ein Ausstellungsstück an ihrem Instrument sitzt. Wohin sie auch geht, fast immer wird sie begleitet, steht sie unter Beobachtung, sodass selbst den wenigen Außenszenen eine klaustrophobische Enge anhaftet.

    Resis Körper ist für die zahlreichen Ärzte vor allem medizinisches Objekt, ihre Krankheit eine Experimentierfläche für neue Behandlungsmethoden. Die Menschen um sie herum richten selten ein Wort an sie, ständig wird von ihr in der dritten Person gesprochen, als befände sie sich selbst gar nicht mit im Raum. „Wer nicht sehen kann, der wird auch nicht gesehen – und wer nicht gesehen wird, der wird auch nicht gehört, der lebt nicht“, sagt die entmündigte Maria Theresia an einer Stelle – einer der Schlüsselsätze des Films. Erst Messmer scheint einen menschlichen Gegenpol zu der gesellschaftlichen Kälte zu bilden, wobei bis heute nicht geklärt ist, ob es sich bei ihm um ein missverstandenes Genie handelte oder einen charismatischen Scharlatan, der die Popularität des Falles geschickt für sich auszunutzen wusste.

    Statt sich für eine Sicht der Dinge zu entscheiden, übernimmt Barbara Albert diese Uneindeutigkeit. „Licht“ streut verschiedene Zeichen, von denen einige für einen vorübergehenden Heilungsprozess sprechen, während andere psychologische Suggestion als Grund für Resis vermeintlich wiedererlangten Sehsinn nahelegen. Die Kamera bleibt durchweg auf Distanz und beansprucht nicht für sich, Maria Theresias Erfahrungswelt wiedergeben zu können. Lediglich vereinzelte kryptische Bilderfolgen, in denen sich nur sporadisch klar identifizierbare Formen aus der verschwommenen Dunkelheit schälen, vermitteln eine Ahnung davon, wie Maria Theresia sich an das Licht gewöhnen und ihre Umwelt erschließen könnte – wobei natürlich auch diese Aufnahmen aufs Glatteis führen. Letztlich hält der Film auch uns dazu an, unseren eigenen Blick zu überprüfen. Für die Pianistin stellt sich nicht etwa nur die Frage, weshalb ein Gegenstand aus unterschiedlichen Perspektiven seine Gestalt verändert, sondern auch, weshalb sie Gelächter erntet, wenn sie in einem besonders berührenden Moment ausgerechnet das als unscheinbar geltende Dienstmädchen als schön benennt. „Licht“ handelt auch von der Unfreiheit des Sehens, davon, wie Wahrnehmung und ästhetisches Empfinden konditioniert werden.

    Schlussendlich knüpft sich auch an Maria Theresias Blindheit selbst eine Frage der Perspektive. Je besser sie sehen kann, desto schwächer wird ihre musikalische Begabung – erst, als sie durch einen familiären Streit ihre Sehkraft wieder verliert, kehrt ihr Gespür für die Musik zurück. „Licht“ folgt ihr noch nicht hinaus in die Welt – später gab sie Konzerte in ganz Europa –, aber wenn sich Maria Theresia am Ende zurück an ihr Klavier setzt, dann scheint es so, als hätte sie zum ersten Mal selbst über sich entschieden.

    Fazit: Barbara Albert hakt in ihrem Film über die früh erblindete Pianistin Maria Theresia Paradis nicht einfach nur biografische Eckdaten ab. Stattdessen überzeugt „Licht“ als satirisches Gesellschaftsporträt, eindringliche Emanzipationsgeschichte und poetische Reflexion über das Sehen gleichermaßen.

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