Ein kurzer verstohlener Blick und es ist klar, dass der 16-jährige Fin (Evan Bendall) gar nicht so heimlich in die attraktive Freundin (Michaela Prchalová) seines älteren Bruders Jake (Tom Cox) verknallt ist. Trotzdem sind die folgenden 40 Minuten von Ruth Platts „The Lesson“ vollgestopft mit Szenen, in denen dem Publikum das immer und immer wieder aufs Brot gestrichen wird, ohne dass es den Film auch nur einen Zentimeter vorwärts bringen würde. Umso größer ist die Freude, wenn das im digitalen Indie-Look für kaum mehr als 20.000 Euro gefilmte Sozialdrama plötzlich in eine sadistische Foltersession umschlägt, als der desillusionierte Lehrer Mr. Gale (Robert Hands) Fin und seinen besten Freund Joel (Rory Coltart) niederschlägt und kidnappt. In seiner Garage will er ihnen die Bedeutung des Feudalismus und die Lehren von Rousseau näherbringen - mit einer Nagelpistole als Motivationsstütze. Aber die Hoffnung ist verfrüht: In „The Lesson“ zieht sich selbst die Folter hin wie eine nicht enden wollende Lateinstunde.
Fast jede Szene ist - wenn nicht sogar völlig überflüssig - viel zu lang. Mr. Gale hält eine mehrminütige, pseudoanspruchsvolle Vorlesung nach der anderen, wobei einen schon Robert Hands' hemmungsloses Overacting in den Wahnsinn treibt. Dabei beschränkt sich die Interaktion mit seinen unfreiwilligen Zuhörern die meiste Zeit darauf, dass Fin zehn Sekunden bekommt, um einen bestimmten Begriff im Wörterbuch nachzuschlagen - und wenn er es nicht schafft, kriegt er einen Nagel durch die Hand gehämmert (oder später mit der Nagelpistole geschossen). Und wenn der Lehrer mal ganz gemein sein will, dann kündigt er seinem Schüler mit diabolischer Geste an, dass er es diesmal in nur sieben Sekunden schaffen muss. Mehr Abwechslung gibt es kaum. Nachdem wir vorher mit angesehen haben, wie respektlos die Schüler mit ihren Lehrern umgehen, wäre es ein Leichtes gewesen, ein Szenario zu entwerfen, bei dem der Zuschauer mit sich selbst ausmachen muss, ob er dem folternden Lehrer nicht doch zumindest ein wenig Verständnis entgegenbringt. Aber solche Ambivalenz sucht man in „The Lesson“ vergeblich, weshalb der Film auch als Kritik am maroden britischen Schulsystem nicht funktioniert.
Stattdessen erleben wir mit, wie Langfilmdebütantin Ruth Platt verschiedene Stilmittel für sich entdeckt, etwa das Spiel mit der Schärfe: In einer einzelnen Einstellung stellt sie auf einen Nagel im Nacken eines Schülers scharf, dann auf den Hintergrund, dann wieder auf den Nagel, dann wieder auf den Hintergrund, und so weiter... Als hätte ihr Kameramann Oskar Kudlacik die Funktion gerade erst entdeckt und würde sich nun begeistert austoben. Mini-Budget hin oder her, solche Szenen lassen „The Lesson“ unnötig amateurhaft erscheinen. Wirklich erinnerungswürdige Bilder wie jenes, in dem zwei blutüberströmte Teenager teilnahmslos vor dem flimmernden Fernseher hocken, sind hingegen rar gesät. Zumindest können im Gegensatz zu Robert Hands, der mit seinen ständig weit aufgerissenen Augen und seinem aufgesetzt-teuflischen Lachen zur nervtötenden Parodie eines verrückten Killers verkommt, die jugendlichen Schauspieler tatsächlich überzeugen.
Fazit: Sich wie Kaugummi hinziehende Foltersession mit pseudokritischem Unterbau: dann doch lieber eine Doppelstunde Latein.