Mit ihrer Produktionsfirma Maven Pictures war die Filmemacherin Trudie Styler am Indie-Erfolg von „American Honey“ beteiligt, nun präsentierte sie mit „Freak Show“ ihr Spielfilmdebüt im Generation 14plus-Programm der Berlinale 2017. Sie ergreift mit ihrem Film Partei für Minderheiten und erzählt mit viel Feingefühl vom androgynen Billy Bloom, der es an der Schule schwer hat. Dabei ist der in nur 22 Drehtagen und mit einem Mini-Budget entstandene „Freak Show“ keineswegs ein schnödes Sozialdrama, sondern eine herrlich bunte, wunderbar gespielte und treffend inszenierte Highschool-Komödie mit einem ehrenwerten Anliegen. So unterhaltsam, ungezwungen und überzeugend wie in dieser Adaption des 2007 veröffentlichten gleichnamigen Romans von James St. James wird selten von der Gender-Thematik erzählt.
Als kleiner Junge liebte Billy Bloom (Alex Lawther) seine Mutter Muv (Bette Midler) abgöttisch, nur der Vater William (Larry Pine) störte die Zweisamkeit in der luxuriösen Familienvilla. Doch dann verschwand Billys Mutter. Heute muss der Teenager an der neuen Schule einiges einstecken, weil er mit reichlich Wimperntusche und wilden Outfits als extrovertierte Drag Queen aufkreuzt. Der schlagfertige Billy erträgt das Mobbing mit Würde und findet in der dauerquasselnden Blah Blah Blah (AnnaSophia Robb) eine erste Freundin. Viel mehr interessiert er sich aber für den feschen Footballspieler Flip (Ian Nelson), der künstlerische Ambitionen hegt und Billy ebenfalls interessant findet. Als fiese Mitschüler den „Freak“ für fünf Tage ins Koma prügeln, hilft ihm Flip wieder auf die Beine. Klein beigeben will Billy aber auch danach nicht: Er kandidiert zum Entsetzen der strohblonden Zicke Lynette (Abigail Breslin) zur Wahl der Homecoming Queen.
Der 1995 geborene Brite Alex Lawther spielte in „The Imitation Game“ den jungen Alan Turing und zeigte eine vielversprechende Talentprobe, in „Freak Show“ stürzt er sich nun mit Leib und Seele in seine Rolle und erblüht förmlich vor der Kamera: Ein Star ist geboren. Man kann den Blick nicht von ihm abwenden – und das liegt keineswegs nur an Billys detailverliebten Verkleidungen etwa als Mia Wallace oder Meerjungfrau. In den schrillen Outfits verbirgt sich bei Lawther gleichsam eine von innen leuchtende Persönlichkeit. Billy ist kein Opfer, sondern hat immer passende Sprüche für die Mobber parat. Er erträgt die Anfeindungen erhobenen Hauptes und zeigt dabei genau die richtige Mischung aus Verletzlichkeit und Stolz: Wenn die Mitschüler Papierkügelchen schmeißen, kommt er eben in einem Fechtanzug in die Schule!
„Der Nagel, der heraussteht, wird eingeschlagen“, mahnt der Vater einmal. Doch genau dieser herausstehende Nagel will Billy sein. Mit Durchschnittlichkeit und Normalität gibt er sich nicht zufrieden, er ist keiner dieser „Schattenmenschen“, die an der Schule (und auch sonst im Leben) unter dem Radar durchhuschen. Sein Credo „I didn't choose fabulous – fabulous chose me“ sagt alles. Und wer sich zur Fabelhaftigkeit berufen fühlt, der denkt nicht daran, einzuknicken. Als Billy nach der Prügelattacke aus dem Koma erwacht, fragt er als erstes nach Lipgloss. Und selbst als seine versoffene Mutter lediglich heimkehrt, um Geld abzuholen, wirft ihn das nur kurz aus der Bahn.
Vom Stil her erinnert in „Freak Show“ nicht nur die von Bette Midler („Die unglaubliche Entführung der verrückten Mrs. Stone“) gespielte Über-Mutter an die flamboyanten Werke des Spaniers Pedro Almodóvar („Alles über meine Mutter“). Trudie Styler taucht ihre Highschool-Komödie in alle Farben des Regenbogens, überall glitzern und funkeln Pailletten, alles ist aufs Schönste stilisiert und dazu ertönt stets die emotional passende Indiemusik. Ein ungemein liebevoller und wahrhaftiger Film – serviert mit einem großen Augenzwinkern: Wenn Flip in seiner ersten Szene in Zeitlupe den Schulflur entlang stolziert, fragt sich Billy, ob nur er den Auftritt in Zeitlupe sieht… Bei der Wahl zur Homecoming Queen bestärken einige Schüler den Außenseiter mit „Let Billy Bloom“-Plakaten. „Lasst Billy blühen“: Diesem Aufruf schließen wir uns nach diesem fantastischen Film gerne an.
Fazit: Mit bunten Bildern und unwiderstehlichem Optimismus gegen Homophobie und Konformismus – „Freak Show“ ist ein bezauberndes filmisches Plädoyer für Toleranz.
Wir haben den Film im Rahmen der Berlinale 2017 gesehen, wo „Freak Show“ in der Sektion Generation 14plus gezeigt wird.