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    Manifesto
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Manifesto
    Von Sascha Westphal

    Vielleicht ist es an der Zeit, Begriffe wie „Kino“ und „Film“ aufzugeben. An ihre Stelle könnte dann die offenere Bezeichnung „Bewegte Bilder“ treten, die weder mit dem Gedanken an einen konkreten Ort noch mit klaren formalen Ideen verknüpft ist. Bewegte Bilder können überall zu Hause sein, auf der Leinwand im Kino ebenso wie im Fernsehen, auf den Displays der Smartphones ebenso wie auf Screens in Galerien und Museen. Außerdem haben sie etwas von einem Chamäleon und können sich wie nun Julian Rosefeldts „Manifesto“ durchaus an unterschiedlichste Bedingungen anpassen. Rosefeldts Reflexion über die zahllosen Manifeste, die Künstler und Revolutionäre im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert geschrieben haben, begann als riesige Installation. Auf insgesamt 13 Screens waren neben einem kurzen Prolog, der nur eine brennende Lunte in Zeitlupe und Großaufnahme zeigt, noch zwölf jeweils zehn Minuten lange Kurzfilme zu sehen. Die waren exakt so getimt, dass sich ihre Stimmen an einem Punkt innerhalb ihrer Laufzeit zu einem Chor verbanden, der den gesamten Raum erfüllte. Dieser Effekt lässt sich so zwar nicht in einem Kinosaal mit einer Leinwand reproduzieren. Trotzdem gibt es in der deutlich kürzeren, nämlich nur etwa 90 Minuten dauernden Kinoversion von „Manifesto“ am Ende einen Moment, in dem sich die einzelnen Stimmen überlagern und zur Kakophonie werden. Der fast klassische und als solcher durchaus eigenständige Experimentalfilm „Manifesto“, in den Rosefeldt sein Projekt dabei verwandelt hat, ist vor allem auch ein Echo der Installation.

    Im Zentrum von „Manifesto“ steht die zweifache Oscar-Preisträgerin Cate Blanchett (für „Aviator“ und „Blue Jasmine“). Sie ist die Protagonistin aller zwölf Manifeste. In einem von ihnen tritt sie sogar in zwei Rollen und führt gewissermaßen einen Dialog mit sich selbst. Mal spielt Blanchett einen verwahrlosten Obdachlosen, der sich mit Einkaufswagen und Hund seinen Weg durch eine postindustrielle Ruinenlandschaft bahnt, mal eine eisige Börsenmaklerin, die ihren Arbeitsplatz in einem Bienenstock von Tradern und Brokern hat. In einem anderen Segment verkörpert sie eine durch und durch bürgerliche Ehefrau und Mutter, die am Essenstisch ein „Pop Art“-Gebet hält. Zu ihren weiteren Rollen gehören noch eine Geschäftsfrau, eine über und über tätowierte Punkerin, eine Arbeiterin in einer Müllverbrennungsanlage, eine Wissenschaftlerin, eine Trauerrednerin, eine Puppenspielerin, eine Choreographin, eine Lehrerin, eine Nachrichtenmoderatorin und die Reporterin, die für sie in der Welt unterwegs ist.

    So klar die einzelnen Rollen von Cate Blanchett definiert sind, so vage sind die Situationen, in denen sie sich bewegt. Die Segmente gleichen atmosphärischen Bestandsaufnahmen, in denen Alltägliches, etwa die Probe eines Tanzensembles oder eben ein gemeinsames Familienmittagessen, eingefangen und zugleich durch eine machtvolle Bildgestaltung überhöht wird. Am ehesten lassen sich die einzelnen Segmente noch als Dokumente unterschiedlichster Arbeitsprofile und -Abläufe beschreiben. Doch auch das greift letztlich zu kurz. Cate Blanchetts monologisch vorgetragene Manifeste, deren Texte unter anderem von Guy Debord und Filippo Tommaso Marinetti, von Tristan Tzara und Yvonne Rainer, von André Breton und Claes Oldenburg, von Marx und Engels sowie von Lars von Trier und Thomas Vinterberg stammen, verleihen dem Gewöhnlichen etwas Surreales.

    Nur ganz selten korrelieren Bild und Wort direkt, wie etwa in der Szene, in der die Börsenmaklerin Teile aus Marinettis „Futuristischem Manifest“ vorträgt und sich sofort Bezüge ergeben. Meist verläuft ein Riss durch Rosefeldts Projekt, der im besten Fall Assoziationsräume eröffnet, einen aber auch gelegentlich einfach ins Leere stürzen lässt. Im Rahmen der Installation konnte der Besucher selbst entscheiden, ob er vor einem der Screens zehn Minuten verweilt, ob er gelegentlich einfach den Kopf dreht und so seinen Blick schweifen lässt oder ob er sich rastlos zwischen den Bildern hin und her treiben lässt. Diese Freiheit bietet die Kinoversion von „Manifesto“ natürlich nicht. In ihr diktiert die Montage den Blick und auch die Gedanken. So richtet sich der Fokus der Betrachtung stärker auf Rosefeldts oft symmetrische Bildkompositionen und seine Vorliebe für brutalistische Architektur. Dem kämpferischen Ton der Manifeste setzt er eine streng formalisierte Ästhetik entgegen, die sich als bitterer Kommentar zu den künstlerischen Aufbruchsphantasien des 20. Jahrhunderts lesen lässt: Die Ideen der Kunstrevolutionäre mögen anarchistisch gewesen sein, in der Praxis haben sie sich doch immer wieder zu einem starren Regelwerk verhärtet.

    Wer das Glück hatte, „Manifesto“ in Berlin, im Rahmen der Ruhrtriennale in Duisburg oder in Stuttgart als Installation zu erleben, wird die Kinoversion vor allem als faszinierendes Experiment erleben. Schließlich versucht Julian Rosefeldt, die Installationserfahrungen durch Montagestrategien zu simulieren. So laufen einige der Segmente gradlinig durch, während andere in mehrere Teile zerlegt sind, zwischen die andere Segmente gefügt wurden. So bewegt sich der Kinozuschauer in einem virtuellen Raum, der allerdings nur in Rosefeldts Imagination existiert. Die Brüche, die sich daraus ergeben, nimmt er allerdings ganz anders wahr als der Besucher der Installation. Der konnte sich durch Bewegungen und mentale Schnitte seine ganz eigene Version von „Manifesto“ erschaffen. Der Kinozuschauer muss sich an Rosefeldts Entscheidungen abarbeiten.

    Fazit: Für Kenner der Installation ist „Manifesto“ ein doppelbödiges, zum Teil mitreißendes, zum Teil aber auch frustrierendes Erlebnis, das einige spannende Fragen zum Verhältnis zwischen Bildender Kunst und Film aufwirft. Alle anderen werden sich vor allem an Cate Blanchetts Verwandlungslust erfreuen.

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