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    Die Ermordung eines chinesischen Buchmachers
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Die Ermordung eines chinesischen Buchmachers
    Von Gregor Torinus

    In den siebziger Jahren erlebte der harte, realistische Gangsterfilm eine neue Blüte. Angefangen mit Don Siegel "Dirty Harry", der zum Prototypen für alle Polizisten an der Grenze zur Selbstjustiz wurde, über William Friedkins "French Connection", dessen legendäre Autoverfolgungsjagd in die Filmgeschichte einging, bis zu Roman Polanskis "Chinatown". Selbst John Cassavetes, der mit Filmen wie "Shadows" und "Faces" zum Aushängeschild des amerikanischen Independentfilms geworden war, drehte 1976 den Gangsterfilm "Mord an einem chinesischen Buchmacher". Vordergründig zwar ein gradliniger Genrefilm ist er vor allem John Cassavetes Abrechnung mit dem System Hollywood.

    Der Nachtclubbesitzer Cosmo Vitelli (Ben Gazzara) ist ein Träumer, der inmitten einer Welt von Gangstern lebt. Er betreibt das "Crazy Horse West", ein drittklassiges Striplokal in L.A., in dem Tänzerinnen Unterschlupf finden, die anderswo keine Chance hätten. Für Vitelli ist sein Club der Inbegriff von Glamour und Style, der an eine Zirkusfigur erinnernde Moderator Mr. Sophistication (Meade Roberts) die Verkörperung eines weltmännischen Lebemanns. Als solchen betrachtet und inszeniert Cosmo sich auch selbst, doch für die meisten Personen außerhalb des Mikrokosmos seines Clubs, ist Cosmo nur eine lächerliche Witzfigur. So auch für die Mafiosi, die ihn zum Spiel in ihrem illegalen Spielsalon "Chip Ahoi" verführen. Wie es bei diesem gedankenlosen Draufgänger abzusehen war, verliert Cosmo sein gesamtes Geld. Da er seine Schulden bei den Gangstern nicht zahlen kann, erpressen diese ihn dazu, für sie einen Auftragsmord durchzuführen – die "Ermordung eines chinesischen Buchmachers".

    Obwohl "Mord an einem chinesischen Buchmacher" oberflächlich betrachtet alle Anforderungen eines Neo-Noirs erfüllt, interessiert sich John Cassavetes ebenso wenig für die vordergründige Gangstergeschichte, wie sein Alter Ego Cosmo Vitelli für die Ausführung des Mordes. Als Cosmo auf dem Weg zu seinem Opfer mit seinem Wagen liegenbleibt, marschiert er zu Fuß weiter. Doch an der ersten Telefonzelle bleibt er stehen und ruft im Club an. Am Telefon gibt er detaillierte Instruktionen für die Aufführung ab und singt sogar einen Song am Telefonhörer vor. In jedem anderen Genrefilm wäre so eine Szene nur ein netter Gag. Doch hier sind es genau diese, für die reine Thrillerhandlung an und für sich unwichtigen, kleinen Nebenszenen, auf denen das Augenmerk liegt. Wie man es von Cassavetes kennt, ist der Stil von einem fast schon dokumentarischen Minimalismus geprägt. Sein Blick gilt immer den kleinen Details, niemals dem großen Ganzen. Meist ist die Kamera ganz nah an Cosmo dran, so dass der Zuschauer oft ebenso die Orientierung verliert, wie Cosmo.

    Es ist offensichtlich, dass Cassavetes Sympathie bei dem Träumer Cosmo liegt. Ebenso wie Cassavetes ist auch Cosmo ein Idealist, der seine persönliche Vision alleine aus Liebe zur Sache und nicht des Geldes wegen umsetzt. Damit steht er in direkten Gegensatz zu den ihn umgebenden Geschäftemachern, welche die Menschen alle nur als Mittel zum Zweck betrachten. Deutlich ist die Analogie zu Cassavetes eigenem Leben, zu seinen enttäuschenden Erfahrungen in Hollywood ("Too Late Blues", "Ein Kind wartet"), nach denen er sich zumindest als Regisseur von der Traumfabrik abgewendet hat. Als Schauspieler war er immer noch in Mainstreamfilmen wie z.B. "Rosemaries Baby" zu sehen, aber nur, um das nötige Geld für seine eigenen Independentfilme zu verdienen. So wie Cassavetes mit wenig Geld und der Unterstützung einer kleinen Gruppe treuer Schauspielerfreunde seine ebenso ungewöhnlichen, wie persönlichen Filme drehte, so betreibt auch Cosmo Vitelli seinen Club aus echter Überzeugung.

    Ganz anders Mort Weil (Seymour Cassel), Betreiber des "Chip Ahoi", und die anderen Gangster. Sie sind ebenso skrupellose, wie langweilige Geschäftsleute – eben Buchmacher. Während die Mafiosi in klassischen Gangsterfilmen, wie z.B. "Der Pate" als faszinierende, gar beneidenswerte Typen dargestellt werden, sind sie in "Die Ermordung eines chinesischen Buchmachers" nicht mehr als widerwärtige, schmierige Aasgeier. Eine scheinbar freundschaftliche Einladung durch Mort Weil ist es, die Cosmo ins Verderben führen wird. Cassavetes Botschaft ist deutlich: Wer sich auf solche Leute einlässt, der riskiert seinen eigenen Untergang. Die einzige Ausnahme in der Gangsterriege ist der kleine Ganove Phil (Robert Phillips), der seine Auftraggeber in einer der schönsten Szenen des Films konsequenterweise auch verlassen wird.

    Doch das wirklich Besondere an "Die Ermordung eines chinesischen Buchmachers" ist, dass trotz der eindeutigen Rollenverteilung Cosmo Vitelli alles andere, als ein klassischer Held ist. Cosmo wird gleichermaßen als Idealist, wie als ein lebensfremder Träumer präsentiert. Nicht nur die Gangster halten seine kleinbürgerlichen Vorstellungen von Stil für lächerlich. Auch der Zuschauer merkt sehr schnell, dass Cosmo tatsächlich nicht viel mehr als eine anmaßende Witzfigur ist, die zu beschränkt ist, die eigene Lächerlichkeit zu erfassen. So hatte nicht nur Ben Gazzara anfangs große Schwierigkeiten sich in diese ungewöhnliche Figur hineinzufinden. Auch der Zuschauer ist hin- und hergerissen zwischen Gefühlen von Sympathie und Abneigung.

    Diese Ambivalenz ist charakteristisch für die Filme von John Cassavetes. Ihm ging es niemals darum Geschichten zu entwerfen, die "larger than life" sind. Seine Figuren sind genauso unvollkommen und widersprüchlich, wie im tatsächlichen Leben. Oft wirken Cassavetes Filme daher nicht wie Spielfilme, sondern wie ein quasi dokumentarischer Ausschnitt aus dem Leben realer Personen. Dass Cassavetes diese grundsätzliche Ambivalenz seiner Figuren sogar auf sein Alter Ego Cosmo Vitelli überträgt, zeugt nicht nur von außerordentlicher Konsequenz, sondern auch von einem feinen Gespür für Selbstironie. So spiegelt "Mord an einem chinesischen Buchmacher" nicht nur Cassavetes eigenen Kampf gegen den Gott des Geldes, sondern deutet auch an, dass auch sein eigenes Schaffen am Ende nicht viel mehr als eine recht lächerliche Show sein könnte.

    Fazit: Vordergründig ein Genrefilm, ist John Cassavetes "Mord an einem chinesischen Buchmacher" eine subtile, sehr persönliche Abrechnung mit dem System Hollywood.

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