Wenn man sich etwas für Malerei interessiert, erkennt man einen van Gogh sofort: Diese leuchtenden Farben, die knappen Pinselstriche, nicht zuletzt die typischen Motive des stilistisch dem Post-Impressionismus zuzurechnenden Künstlers, die ihn weltberühmt gemacht haben - allerdings erst nach seinem Tod 1890. Um die Umstände seines vermutlichen Selbstmords geht es auch in Dorota Kobielas und Hugh Welchmans experimentellem Drama „Loving Vincent“, wobei die an Detektivgeschichten erinnernde Handlung fast wie ein Vorwand wirkt. Denn vor allem scheint es hier um den Versuch zu gehen, mit ausgeklügelter Animationstechnik einen Film zu drehen, der wie ein Vincent-van-Gogh-Gemälde aussieht. Dieser ungewöhnliche und ambitionierte Ansatz führt allerdingt nur bedingt zu einem überzeugenden Ergebnis.
Ein Jahr nach dem Tod Vincent van Goghs soll Armand Roulin (Douglas Booth), Sohn des Postmeisters von Arles (Chris O’Dowd), wo der Verstorbene lange Jahre gelebt hat, einen Brief an Theo van Gogh abliefern, den Bruder des Künstlers. Doch auch Theo ist inzwischen tot, was für Armand den Beginn einer langen Suche nach einem neuen Adressaten bedeutet, die ihn über Paris nach Auvers-sur-Oise in der Region Île-de-France führt. Dort war der Maler bei Docteur Gachet (Jerome Flynn) in psychiatrischer Behandlung und hatte möglicherweise eine Affäre mit dessen Tochter Marguerite (Saoirse Ronan). Immer rätselhafter erscheinen die Umstände von van Goghs Tod, der offiziell als Selbstmord deklariert ist.
„Jedes einzelne Bild dieses Films wurde von Hand gemalt“, heißt es zu Beginn von „Loving Vincent“. Sieben Jahre hat das polnisch/englische Regieduo Dorota Kobiela und Hugh Welchman an seinem aufwendigen Werk gearbeitet, das ganz ohne Frage aus einer tiefen Verehrung für den Künstler und sein Schaffen entstand. Am Ende von „Loving Vincent“ werden van Goghs Originalgemälde neben die animierten Bilder aus dem Film gestellt und wenn wir dann die vom Meister persönlich porträtierten Figuren aus der vorhergehenden Handlung wiedererkennen, wird das Animationsverfahren der Filmemacher gleichsam beglaubigt.
Aber schon die Behauptung, dass jedes einzelne der gut 65.000 Bilder dieses Films von Hand gezeichnet wurde, bedarf der Klarstellung. Denn die Grundlage der Bilder ist die Technik der Rotoskopie, wie sie etwa schon bei Richard Linklaters „Waking Life“ oder Ari Folmans „Waltz with Bashir“ zur Anwendung kam. Szenen mit echten Schauspielern bilden dabei die Grundlage und werden anschließend übermalt, im Fall von „Loving Vincent“ im Stil der berühmten Gemälde van Goghs, zumindest zum Teil. Denn ein erheblicher Teil des Films – dazu zählen alle Szenen, in denen einzelne Figuren sich erinnern - ist schwarz-weiß animiert, in oft fotorealistisch wirkenden Bildern, die rein gar nichts mit van Goghs typischem, von satten Farben geprägtem Stil zu tun haben. Nur die erzählerische Gegenwart wird in Farbe gezeigt, in Szenen, die tatsächlich oft eins-zu-eins berühmten Gemälden van Goghs nachempfunden sind.
Tatsächlich bietet „Loving Vincent“ eindrucksvolle Szenen, in denen man zusammen mit der Hauptfigur Armand Roulin geradezu in die Welten des Malers eintaucht und die satten Farben eine flirrende, fiebrige Atmosphäre erzeugen - gerade so wie sie entsteht, wenn man lange genug vor einem echten van Gogh verweilt. Doch nach einer Weile wirkt der offensichtliche Versuch, möglichst viele der bekannten Bilder von Landschaften, Kneipen und Menschen zu zitieren, um möglichst viele Aha-Momente zu erzeugen, redundant. Das hätte vielleicht für einen Kurzfilm ausgereicht, doch für einen 95 Minuten langen Spielfilm kommt es auf mehr an. Angesichts der sich aus vielen, sich oft widersprechenden Erinnerungen an van Goghs Leben und Sterben zusammengesetzten Geschichte mag man zwar an „Citizen Kane“ oder „Rashomon“ denken. Doch gerade durch den Versuch, sich nah an den Fakten zu bewegen, berauben sich Kobiela und Welchman der Möglichkeit, auch erzählerisch phantasievoll mit der Figur van Gogh umzugehen. Dem Geheimnis des Künstlers kommen die Filmemacher letztlich genauso wenig nahe wie der Lösung des kriminalistischen Rätsels um seinen Tod. So bleibt der visuell immer wieder beeindruckende „Loving Vincent“ vor allem eine liebevolle Hommage, aber nicht mehr.
Fazit: Der markante Stil von Vincent van Goghs Gemälden wird in „Loving Vincent“ zur Grundlage eines visuell eindrucksvollen, aber erzählerisch wenig markanten Animationsfilms.