Im September 2015 sorgte der Berliner Hauptkommissar Robert Karow (Mark Waschke) in Dror Zahavis „Tatort: Ätzend“ für ein Novum in der über vierzigjährigen Geschichte der Krimireihe: Der streitbare Kollege von Nina Rubin (Meret Becker) nahm eine männliche Bar-Bekanntschaft über Nacht mit zu sich nach Hause und gilt seitdem als erster schwuler „Tatort“-Kommissar. Eine offizielle Bestätigung von Seiten des rbb blieb bislang allerdings aus – vielleicht, weil der Sender für die nächsten seiner horizontal erzählten Folgen aus der Hauptstadt eine Trumpfkarte in der Hinterhand behalten möchte. Ganz anders agiert der WDR: Schon am Rande der Dreharbeiten zu Dagmar Seumes „Tatort: Benutzt“, der sich in der Gunst der Zuschauer am 2. Weihnachtstag unter anderem gegen den Quotengaranten „Das Traumschiff“ oder den Blockbuster „Pacific Rim“ behaupten muss, ließ Nebendarsteller Patrick Abozen („Eine Frau verschwindet“) durchklingen, dass seine Figur Tobias Reisser der erste homosexuelle „Tatort“-Assistent sein soll. Erfreulicherweise bleibt sein offizielles Outing im Film aber nur eine Randnotiz. „Tatort: Benutzt“ ist ein solider TV-Krimi der alten Schule, bei dem nicht die Figuren im Vordergrund stehen, sondern die Suche nach dem Täter.
Die Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) spielen gerade Billard mit ihrem Assistenten Tobias Reisser (Patrick Abozen), als das klingelnde Diensthandy ihren Feierabend ruiniert: Am Rheinufer wurde eine Leiche gefunden. Es handelt sich um Export- und Finanzberater Martin Lessnik (Jens Babiak), der erschossen und anschließend ins Wasser geworfen wurde. Die erste Spur führt in die Vergangenheit: Lessnik unternahm vor sechs Jahren mit seinem Geschäftspartner Karsten Holler (Christian Seichter) eine Motorradtour durch die Sahara, auf der Holler spurlos verschwand. Später wurde er offiziell für tot erklärt. Hängen die Fälle zusammen? Ballauf und Schenk befragen Hollers Ex-Frau Sarah (Dorka Gryllus), die damals ebenso unter Mordverdacht stand wie Lessnik, und erfahren von einem Schweizer Nummernkonto, auf dem nach Hollers Verschwinden mehrere Millionen Euro eingezahlt wurden. Dieser hatte offenbar gemeinsam mit den Unternehmern Christian Winter (Thomas Dannemann) und Uwe Gläsgen (Matthias Komm) ein schmutziges Geschäft abgewickelt. Schon bald verdichten sich die Hinweise, dass Holler noch am Leben sein könnte…
„Ich find dich wirklich super, echt. Aber kann ich meinen Freund mitbringen?“ – Nur zwei knappe Sätze sind für das Outing von Assistent Tobias Reisser im Kölner „Tatort“ nötig. Drehbuchautor Jens Maria Merz („Die Bergretter“), der ebenso wenig als Krimi-Experte gilt wie Regisseurin Dagmar Seume („Hanni & Nanni 3“), konzentriert sich nämlich auf das Wesentliche und rückt die Abläufe in den Vordergrund, denen die öffentlich-rechtliche Erfolgsreihe ihre große Fangemeinde verdankt: ein Leichenfund zum Auftakt, ein halbes Dutzend Verdächtiger und der typische Mix aus Ermittlungen der Kommissare, Fleißarbeit der Assistenten und neuen Erkenntnissen der Spurensicherung. Auf den langjährigen Gerichtsmediziner Dr. Roth (Joe Bausch) müssen die „Tatort“-Fans diesmal allerdings verzichten: Roth wird würdig von „SpuSi“-Leiterin Anke Schleiche (Alexandra von Schwerin) vertreten, deren Nachname sich wohl nicht zufällig auf „Leiche“ reimt und die ihre Sache beim Debüt recht ordentlich macht. Auch der gewohnte Zwischenstopp an der Wurstbraterei fällt aus: Ballauf und Schenk verzehren ihren Snack im Dienstwagen – doch natürlich kann das Ersatzprodukt der Currywurst-Konkurrenz qualitativ nicht mit ihrem Stamm-Imbiss am Rheinufer mithalten.
Eine gute Stunde lang lebt der recht formelhaft angelegte „Tatort: Benutzt“, der ursprünglich schon Anfang November 2015 ausgestrahlt werden sollte, von mal mehr, mal weniger originell variierten Standardmomenten wie diesen. Da dürfen natürlich auch ein arroganter Winkeladvokat – hier: Rechtsanwalt von Karstdorff (Gerrit Jansen) – und die obligatorische Verfolgungsjagd nicht fehlen, die diesmal durch ein Kölner Hotel führt und ziemlich unspektakulär ausfällt. Assistent Reisser wälzt derweil Akten mit Kollegin Sabine Trapp (Anna von Haebler) vom Zollkriminalamt und leistet damit wertvolle Zuarbeit für Ballauf und Schenk, die sich im Außendienst mühsam von Befragung zu Befragung hangeln. Ausgerechnet im Hinblick auf die Schlüsselfigur recherchieren Reisser & Co. aber lückenhaft – echten Krimiexperten dürfte ein wichtiges Indiz bei der Suche nach dem Täter nicht entgehen. Dennoch lässt sich schon nach Reissers drittem Auftritt resümieren, dass der Nachfolger der im vielgelobten „Tatort: Franziska“ verstorbenen Assistentin Franziska Lüttgenjohann (Theresa Mittelstaedt) ein Gewinn für den Krimi aus der Domstadt ist: Der sympathische Billardfreak und Radfahrer bringt genau die Dynamik ins Polizeipräsidium, die den Kölner „Tatort“-Folgen bis zu Reissers Debüt im „Tatort: Der Fall Reinhardt“ 2014 zunehmend abhanden gekommen war.
Im letzten Krimidrittel nimmt dann auch die Jagd auf den Täter an Fahrt auf: Als es kaum noch Zweifel daran gibt, dass der verschwundene Geschäftsmann noch unter den Lebenden weilt, jagt plötzlich eine Wendung die nächste. Nicht jeder Drehbuchkniff fällt dabei allerdings glaubwürdig aus – insbesondere der Fund der obligatorischen zweiten „Tatort“-Leiche und dessen Auswirkungen auf das Spannungsfeld zwischen den Verdächtigen wirken ziemlich konstruiert. Da es mit Hollers windigen Geschäftspartnern, seiner durchtriebenen Ex-Frau Sarah und der undurchsichtigen ZKA-Kollegin Kathrin Brandt (Winnie Böwe) gleich reihenweise Verdächtige gibt, funktioniert der „Tatort“ aber trotz der kleineren Logiklöcher hervorragend als Whodunit: Bis in die Schlussminuten bleibt offen, wer der Mörder ist und wer sich die Millionen aus dem schmutzigen Deal von einst unter den Nagel reißen möchte. Dass mit Ausnahme von Hollers Ex-Frau, die die Kölner Kommissare gleich mehrfach hinters Licht führt, alle Verdächtigen recht schablonenhaft angelegt sind, ist angesichts der doppelten Böden und der gelungenen Auflösung zu verschmerzen.
Fazit: Dagmar Seumes „Tatort: Benutzt“ ist solide Kölner Krimi-Kost, die ihre stärksten Momente im wendungsreichen Schlussdrittel hat.