Riesige Wolkenkratzer, der Himmel darüber in bedrohlichem Grau-Schwarz verhangen. Flackernde Neonreklamen, aufsteigender Dampf. Phantastische, ungestüme, unerklärliche Maschinen, zwischen ihnen Cyborgs, Androiden und maschinenhaft arbeitende Menschen. Bei diesen Bildern denken die meisten erst einmal an „Flucht aus New York“ (1981), an Blade Runner (1982) und Brazil (1985), an die Matrix (1999) und Minority Report (2002). Bereits 1927 jedoch inszenierte Fritz Lang den Prototyp vom monumentalen Endzeitfilm – der als sein Inbegriff auch unzähligen Kinosälen seinen Namen lieh: „Metropolis“.
Die Urangst des Menschen, Opfer seiner eigenen (gen-)technischen Schöpfungen zu werden, hat bereits in den dystopischen Szenarien vieler Filme und Romane im letzten Jahrhundert Ausdruck gefunden. Wegweisend war in diesem Zug gerade bei Filmen des Science-Fictions-Genres oftmals die Gestaltung des Sets und der visuellen Effekte, die sich auch in zahllosen Auszeichnungen und Nominierungen widerspiegelt.
Die Geschichte dieser Special Effects beginnt jedoch bereits parallel mit der des Films selbst – im Jahre 1895. Seit jeher haben Filmschöpfer wie beispielsweise der Franzose Georges Méliès mit unermüdlichem Erfindergeist versucht, ihre Visionen auf die Leinwand zu bringen. Höhepunkt der visuellen Effekte des deutschen Stummfilms war zweifelsohne „Metropolis“ von Altmeister Fritz Lang. Im Rahmen des 16. Film- und Musikfests in Bielefeld fand am 5. November 2005 eine live vertonte Aufführung des Films mit einer restaurierten Kopie in der Rudolf-Oetker-Halle statt, die Grundlage dieser Kritik ist. Ein wichtiges (und für den Status von Film als Kunst und als erhaltungswürdigem Kulturträger bezeichnendes) Detail: Von der ursprünglichen Fassung des Films, die etwa vier Stunden Spielzeit umfasst haben soll, sind auch in der von der Murnau Gesellschaft exzellent restaurierten Fassung lediglich 147 Minuten erhalten geblieben; fehlende Szenen werden in zusätzlichen Zwischentiteln erklärt.
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Zum Inhalt: Die namengebende Stadt ist gespalten in eine luxuriöse Oberwelt der Elite und eine düstere Unterwelt, in der die Arbeiterklasse zehn Stunden am Tag unter widrigsten Arbeitsbedingungen an monströsen Maschinen schuften muss. An der Spitze der Hierarchie steht Stadtvater Freder Fredersen (Gustav Fröhlich), der mit eiserner Hand über die Unterpriviligierten herrscht. Doch diese sind inzwischen dabei, einen geheimen Widerstand zu formieren, geführt von der charismatischen Maria (Brigitte Helm). Joh (Alfred Abel), seines Zeichens Sohn des Patriarchaten Fredersen, verliebt sich alsbald in die junge Aufwieglerin und beginnt, mit den Aufständischen zu sympathisieren. Dies alles entgeht seinem wachsamen Vater jedoch nicht und er beauftragt den genial-irren Wissenschaftler Rothwang (Rudolf Klein-Rogge), Maria zu fangen und sie in einen willenlosen Maschinenmenschen zu verwandeln, um so den Widerstand mit einem trojanischen Pferd zu sprengen: Eine verstrickte Geschichte über Liebe, Klassenkampf und Intrigen nimmt ihren Lauf.
Und die ist brillant inszeniert und das mit einem Aufwand und Perfektionismus, der für Lang typisch gewesen sein und mehr als nur einmal Produzenten und Schauspieler an die Grenzen von Verständnis und Nerven gebracht haben soll. Henry Fonda beispielsweise, mit dem Lang knapp zehn Jahre später in den USA drehte, hat behauptet, jener behandle Schauspieler wie Marionetten. Auch auf der materiellen Ebene war der Meister nicht zimperlich: Für „Metropolis“ wurden auf dem Weg zur Vollendung 36.000 Komparsen eingestellt und 1,3 Millionen Meter Filmmaterial verschlissen (zum Vergleich: ein fertig geschnittener Spielfilm hat eine Länge von etwa 3.000 bis 4.000 Metern).
Insbesondere im Bereich der visuellen Effekte setzte „Metropolis“ seinerzeit aber auch absolute Maßstäbe. So kam zum Beispiel das gleichnamige Aufnahmeverfahren des Breslauer Malers Eugen Schüfftan erstmals zur großen Anwendung. Dabei wurden Spiegel im 45-Grad-Winkel so vor der Kamera positioniert, dass Miniaturmodelle im Film als riesige Hintergründe für gleichzeitig gefilmte Schauspieler dienen konnten. Auch das erste Bildtelefon, das in kaum einem Sci-Fi-Film fehlt, lässt sich bereits hier wieder finden. Da der Fernseher jedoch noch nicht zur Verfügung stand, musste das Telefonat vorher gefilmt und von hinten auf den „Monitor“ projiziert werden („Rückprojektion“). Die noch handgekurbelten Kameras stellten sich als ein großes technisches Hindernis heraus, sodass erst ein aufwendiges Verfahren entwickelt werden musste – dies stellte sicher, dass aufnehmende Kamera und abspielender Projektor exakt gleichgeschaltet waren. Beeindruckend auch die Schaffung des für den Film konstruierten Stadtmodells: Fußgänger, Autos, Modellflugzeuge, die an hauchdünnen Haaren befestigt waren – alles wurde in wochenlanger Arbeit konstruiert, ausgeleuchtet und dann in Einzelbildaufnahme Schritt für Schritt animiert. Sechs Wochen verschlangen allein diese Aufnahmen, die dann in nur wenigen Sekunden im fertigen Film am Zuschauer vorbeihuschen sollten. Gipfel der visuellen Überraschungen ist die Verwandlung der Maschinen-Maria durch Rothwang, für die das Filmmaterial unzählige Male belichtet wurde. Auch heute noch wirken diese Szenen beeindruckend und realer als manch ein Computertrick. Kein Wunder: Am Ende überstieg „Metropolis“ die mit einer Million Reichsmark angesetzten Produktionskosten angeblich um das Fünffache und gestaltete sich damit trotz massiver Werbemaßnahmen für die Ufa als gigantische Pleite.
Auch die kreative Kameraarbeit bietet mehr als nur einen interessanten Anblick und entwickelt in der Szene der von gierigen Männeraugen verschlungenen, strippenden Maria (sex sells – auch schon 1927) mit einem ungewöhnlich flotten Schnitt beinah hypnotischen Charakter. Diesen unterstreichen mit ihrer zum Teil noch übertriebenen Mimik auch die Schauspieler, insbesondere Brigitte Helm als Maria und Rudolf Klein-Rogge als Erfinder zwischen Genie und Wahn. Im Sinne des Mediums Films ausgereifter und differenzierter wirkt da schon Gustav Fröhlich in der Rolle des großen Machthabers. Die Art der theatralisch-überzogenen Darstellung, die gern als typisches Merkmal von Stummfilmen herausgekehrt wird, sticht für den Kinozuschauer des einundzwanzigsten Jahrhunderts deutlich als anachronistisches Moment hervor. Auch durch die im Laufe der Filmgeschichte stetig gesteigerte Schnittgeschwindigkeit erscheint die Erzählung stellenweise als ein wenig zu ausführlich.
Inhaltlich ungewöhnlich für Langs schwarzes Bild vom menschlichen Dasein ist das optimistische, fast aufgesetzt wirkende Happy End. Der idealistische Schlusssatz „Das Herz muss Mittler sein zwischen Hirn und Hand“, wurde vom Regisseur persönlich später selbstkritisch relativiert: „Ich war damals nicht so politisch bewusst, wie ich es heute bin. Man kann keinen gesellschaftlich bewussten Film machen, indem man sagt, der Mittler zwischen Hand und Hirn sei das Herz – ich meine, das ist ein Märchen.“ (Heinzlmeier, Adolf: Fritz Lang. Rastatt 1990, S. 33f.)
In der Tat – „Metropolis“ ist ein Märchen, ein düsteres. Mit seinem wohl bekanntesten Film inszenierte der von seinem New York Aufenthalt inspirierte Fritz Lang ein auch im Jahre 2005 noch visuell beeindruckendes, sozialkritisches, unterhaltsames, spannendes und komplexes Epos. Als inhaltlich und technisch wegweisendes Urbild des Science-Fiction-Films lassen sich hier unzählige Elemente aus bekannten Werken des Genres wiederentdecken. Wer dann noch das Glück hat, einer live vertonten Aufführung der restaurierten Fassung beizuwohnen und für zweieinhalb Stunden einen Teil seiner modernen Sehgewohnheiten ablegen zu können – dem bietet sich großes Kino im besten Sinne des Wortes.