Erlösung für Vampirfans
Orlok (Bill Skarsgård), ein furchterregender Adeliger aus Rumänien, kauft ein Schloss am Wohnort von Thomas Hutter (Nicholas Hoult), um dessen Ehefrau Ellen (Lily-Rose Depp) für seine Zwecke zu gewinnen. Bei der Ankunft packt Orlok das Reisegepäck aus: die Pest.
Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu, eine Symphonie des Grauens“ von 1922 soll nicht unerwähnt bleiben: Das Stück Kultur habe ich vor einigen Jahren im Filmmuseum München gesehen, musikalisch live begleitet. Eine sehr gut besuchte Vorstellung, Horror-Nostalgie mit starker Anziehungskraft, Texttafeln sowie Max Schreck als Unhold in schaurigen Posen auf einer spärlichen Projektionsfläche.
100 Jahre später stehen Robert Eggers bei der Umsetzung der Vorlagen von Bram Stoker und Henrik Galeen technische Errungenschaften zur Verfügung, die für den 1931 verstorbenen Murnau nicht greifbar waren. Gutes Equipment ist nicht alles, doch der kreative US-Amerikaner kann es bedienen, Atmosphäre schaffen (2015: „The Witch“, 2019: „Der Leuchtturm“, 2022: „The Northman“). In seinen Inszenierungen ist das Publikum wie ein Teil des Werks, es steht mitten im Geschehen. Möglich machen das neben der Erzählweise die Bilder von Kameramann Jarin Blaschke, der ebenso die drei weiteren abendfüllenden Arbeiten des US-amerikanischen Regisseurs aufgenommen hat. Die Zusammenarbeit fruchtet wiederum: Düster mit kräftigen Kontrasten senkt sich „Nosferatu – Der Untote“ auf die Leinwand herab. Eine zeitweise, besonders zu Beginn überwuchtige Visualisierung, in der Murnaus Verfilmung erkennbar ist, begleitet von einer passenden, animalisch ekligen Soundkulisse. Dazwischen schallen Dialoge im theaterhaften Stil, dessen hohes Niveau die ganzen 133 Minuten Spielzeit durchhält. Alle Figuren zeigen entsprechend Mimik und Gestik, ausgezeichnet gespielt von einem namhaften Ensemble. Geschickt ungünstig ins Licht gesetzt ist Prof. von Franz (Willem Dafoe), dessen Vampirhalbwissen erst spät Anklang bei den skeptischen Mitbürgern findet.
Die hohe Kunst Eggers ist jedoch der dominante Fokus auf die sozialen Beziehungen in einem Genre, das vorwiegend zur Dauerschockmassage der Leute auf den gemütlichen Kinosesseln geschaffen worden ist. Ellen quält eine raumlose Verbindung zu Graf Orlok, der unter einem Fluch leidet. Gleichzeitig steht die junge Ehe mit Thomas auf dem Spiel, denn die frisch Vermählte fühlt sich zu beiden hingezogen, ähnlich wie Sascha (Victoria Carmen Sonne) im Drama „Holidays“ von Isabella Eklöf, das 2019 in den deutschen Kinos eine Frau zeigte, die zwischen brutalem Drogenboss und sympathischem Touristen entscheiden muss, ganz ohne fantastische Ebene. Allein die fesselnde Intensität der herausgearbeiteten Verhältnisse bringt „Nosferatu – Der Untote“ auf ein wesentlich höheres Level in punkto Charaktergestaltung als es zum Beispiel Terence Fisher 1958 in „Dracula“ vermochte, denn dort wird ein simples, wenn auch spannendes Spiel aufgezogen, in dem Gut gegen Böse im finalen Kampf gewinnt. Bei Eggers ist die dämonische Kreatur den menschlichen Dilettanten stets voraus, getrieben von nicht ausreichend erwiderten, exzellent veranschaulichten Sehnsüchten. Mit der Ausbreitung der Macht des Nosferatu steigt das Kribbeln im Saal. Wird er sein Ziel erreichen?
Fazit: Aus dem vielfältigen Potenzial des vorliegenden Stoffs ist durch konsequente Gewichtung zweifelsohne ein bedeutender Film entwickelt worden.