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    Die Verachtung
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Die Verachtung
    Von Andreas R. Becker

    „Das Problem, meiner Ansicht nach, liegt darin, wie wir die Welt sehen,“ wird Fritz Lang in „Die Verachtung“ zitiert. Frauen sehen sie anders als Männer, Produzenten anders als Regisseure. Um die Konflikte, die daraus resultieren, dreht sich das Drama von Nouvelle Vague Regisseur Jean-Luc Godard: „Die Verachtung“ ist ein Film über Liebe und ein Film über Film.

    Der erfolglose Krimiautor Paul Javal (Michel Piccoli) ist mit der bildschönen Camille (Brigitte Bardot) verheiratet und wird vom selbstgefälligen Produzenten Jeremy Prokosch (Jack Palance) für einen Drehbuchjob angeheuert. Neu verfilmt werden soll Homers „Odyssee“ unter Regie von Fritz Lang (gespielt von sich selbst).

    Prokosch repräsentiert dabei das Klischee des ungebildeten, dekadenten und selbstgefälligen amerikanischen Produzenten („I like gods. I like them very much. I know exactly how they feel - exactly.”), der mit klingelnden Kassen im Hinterkopf die historische literarische Vorlage bereitwillig verkaufsfördernden Prinzipien opfern will. Nackte Nymphen sind einfach prickelnder als lange Monologe und abstrakt gefilmte Götterbüsten. Lang steht dem gegenüber als intellektueller und zum Teil weise anmutender Altmeister, der ein Filmkunstwerk schaffen will („Jerry, don't forget. The gods have not created man. Man has created gods.“).

    Prokosch ist aber neben Geld offensichtlich auch interessiert an Camille und umwirbt sie auf stumpfe und offensive Weise vor den Augen ihres Ehemanns. Dieser zeigt jedoch keine großen Gefühlsregungen diesbezüglich und lässt seinen potentiellen Brötchengeber gewähren. Camille fühlt sich dementsprechend vernachlässigt und verschachert; es dauert nicht lange, und von der Liebe zu ihrem scheinbar abgekühlten Angetrauten bleibt nichts weiter als Verachtung.

    Diese Konstellation diente Godard als Grundlage für eine wunderbare Darstellung des Apparates Kino und der Irrungen der Liebe, die nicht zuletzt einen persönlichen Bezug hat: Engagiert von Produzent Carlo Ponti, um mit Brigitte Bardot als schillerndem Star einen Kassenschlager zu erschaffen, sah er sich denselben Konflikten ausgesetzt, wie sein Alter Ego Paul im Film. In der Tat musste sich Godard vorwerfen lassen, nicht genügend Haut der Sexikone Bardot gezeigt zu haben, sodass er trotzig die (in den französischen Nationalfarben gefilterte) Einstiegssequenz von „Die Verachtung“ und einige in den Kontext des Films sinnfrei eingefügte Nacktszenen nachdrehte. Obwohl dennoch zweifelsohne schön anzusehen, hält er der (zwangsweise?) profitorientierten Filmindustrie damit den Spiegel vor. (Paul: „Wunderbar, das Kino. Sobald Frauen im Film mitspielen, lassen sie die Hüllen fallen.“)

    Von Anfang an macht uns der Regisseur klar, dass Film eine Illusion ist. Ein Konstrukt, das nicht zuletzt auch an ökonomische Rahmenbedingungen notwendig gebunden ist: Film ist die einzige Kunst, die aufgrund des enormen Aufwands durch das System von Vorschuss (durch die Produzenten) und Rückzahlung (durch die Eintrittskarten unzähliger Zuschauer) finanziert wird. Film ist ein Konstrukt, in dem auf der einen Seite bewusst entschieden wird, was wo wie gefilmt wird (Godard zeigt uns immer wieder Sets und Kameras, macht die Technik präsent) und auf der anderen Seite vieles dem Zufall entspringt, (unfreiwillig) autobiographisch ist oder im Prozess entsteht – wie „Die Verachtung“ selbst.

    All dies tut Godard jedoch mit einer für das französische Kino typischen Leichtigkeit. Paul und Camille debattieren eine halbe Stunde lang (!) in ihrer Wohnung in einer brillant gefilmten, nahezu kammerspielartigen Szene über den Stand ihrer Beziehung. Lang zitiert Brecht und Dante. Die gesamte Filmindustrie bekommt ständig Seitenhiebe. Trotzdem wird „Die Verachtung“ nie langweilig oder aufdringlich moralisch, sondern bleibt beobachtend und spielerisch philosophisch – ohne dabei oberflächlich zu sein. Mit großer Intelligenz und (Selbst-)Ironie führt uns Godard ökonomische Zwänge und innere Kämpfe vor. Er zeigt uns unsere Unfähigkeit miteinander zu kommunizieren und das Irrationale der Liebe, das für Außenstehende oft ganz klar erscheint, und für uns selbst doch oft zum Scheitern führt. Dabei lässt er uns viel Raum zum Denken – und auch Raum für die Augen: Der Einsatz von halbtotalen bis weiten Einstellungen überwiegt massiv, sodass gleichzeitig die wenigen Großaufnahmen eine umso stärkere Wirkung entwickeln können.

    Letzten Endes ist „Die Verachtung“ ein schlichter Genuss für die Augen. Auch wenn Godard, der gezwungen wurde in Cinemascope zu drehen, das Format mit den Worten Fritz Langs sarkastisch als besser geeignet für Schlangen und Begräbnisse diskreditiert, ist ihm hiermit ein wahrer Sehgenuss gelungen. Insbesondere der letzte, auf Capri gedrehte Teil des Films, vermag seine volle Faszination und Breite erst auf der großen Leinwand zu entfalten. Aber auch ganz ohne verkopfte Analyse ist „Die Verachtung“ einfach buchstäblich bildschön anzusehen und auch anzuhören: Filmkomponist Georges Delerue, der Zeit seines Lebens über 300 Filme vertonte (darunter z.B. auch Casino und Platoon), schenkte den schwermütig schönen Bildern ein immer wiederkehrendes Thema, das die Melancholie unterstreicht, ohne tragisch zu sein.

    Wegen der unsauberen Synchronisation geht allerdings ein Großteil der französischen Eleganz und Leichtigkeit und der Originalität des feinen Ausdrucks der Schauspieler, allen voran Michel Piccoli und Brigitte Bardot, verloren. Niemand flucht so erotisch wie Camille in ihrer Muttersprache, kein Streitgespräch zwischen Verliebten wird sich authentisch eindeutschen lassen, kurz: Ein großer Teil dessen, was die einmalige Atmosphäre von „Die Verachtung“ prägt, ging bei der deutschen Fassung leider verloren.

    Ganz zu Beginn des Films lässt Godard den französischen Filmkritiker und -theoretiker André Bazin sprechen: „Das Kino schafft für unseren Blick eine Welt, die auf unser Begehren zugeschnitten ist. ‚Die Verachtung’ ist die Geschichte dieser Welt.“ Tatsächlich gelingt es Godard, das Begehren des Zuschauers zu erfüllen, obwohl er es – zumindest im Sinne der Figur des Produzenten – offensichtlich kritisiert und ironisch unterwandert. „Die Verachtung“ oszilliert zwischen Realität und Illusion, zwischen Affirmation und Kritik. „Die Verachtung“ ist ein Spiegel für Liebe und Kino. „Die Verachtung“ ist 103 Minuten Genuss.

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