Nach einem 2002 beim Sundance Filmfestival aufgeführten „Mutafukaz“-Kurzfilm hat der französische Künstler Guillaume „RUN“ Renard seit 2006 auch noch mehrere im selben Universum angesiedelten Comic-Bände veröffentlicht. Für den „Mutafukaz“-Kinofilm, für den er mit dem bekannten Anime-Studio 4°C („Tekkonkinkreet“) zusammenarbeitete, hat sich RUN zudem den erfahrenen japanischen Filmemacher Shojiro Nishimi, der in unterschiedlichen Funktionen unter anderem an „Akira“ und „Batman: Gotham Knight“ beteiligt war, mit ins Boot geholt. Gemeinsam erschafft das französisch-japanische Duo ein Leinwand-Universum voller popkultureller Mosaiksteine, in der die verschiedensten künstlerischen und thematischen Einflüsse in einem ebenso bunten wie anarchischen Sci-Fi-Action-Abenteuer ineinanderfließen.
Dark Meat City (oder kurz DMC) ist eine heruntergekommene, entfernt an Los Angeles mit einem Schuss Kuba erinnernde Metropole: Der Pizzabote Angelino (Originalstimme: Tay Lee, deutsche Stimme: Kim Hasper) schockverliebt sich auf seinem Roller in ein junges Mädchen mit Minirock - und kollidiert im selben Moment frontal mit einem LKW. Nach dem Unfall erkennt Angelino in Passanten plötzlich die Schatten mysteriöser Tentakelwesen. In seiner abgeranzten Bleibe schaut er am liebsten mexikanische Wrestling-Shows, während er etliche Hundertschaften von Kakerlaken wie Haustiere füttert: „Sie sollen nicht den Scheiß vom Boden fressen, das macht sie krank.“ Beim Zugriff eines Elite-Polizeiteams stellt Angelino plötzlich fest, dass er über exzellente Kampffähigkeiten verfügt (ein bisschen wie Jason Bourne). Es entbrennt ein rasantes Action-Abenteuer, in dem schwarzgekleidete Männer (Autokennzeichen: „MIB“), Straßengangs, außerirdische „Machos“ und die Welt rettende Wrestling-Superhelden eine wichtige Rolle spielen…
Mit seinem Hang zu in den Bildern versteckten Details ist „Mutafukaz“ visuell ähnlich vollgepackt wie zuletzt Steven Spielbergs VR-Blockbuster „Ready Player One“. RUN vereint hier wirklich zahllose Inspirationen von „GTA“ über Quentin Tarantino und Frank Miller bis hin zur Kultur aztekischer Krieger, um sich daraus seine ganz eigene Welt zu basteln. In den Kiosken von DMC liegen so Exemplare von „Life“, „Starlog“ und „GQ“ nebeneinander, selbst man diese Zeitschriften in unserer Welt kaum mal am selben Ort oder zur selben Zeit finden würde. Und in einem Stadtbus liegt ein Exemplar des in der Realität unglaublich teuren Silver-Age-Comic-Klassikers „Showcase #4“ („The Flash Of Two Worlds“, in dem Barry Allen und Jay Garrick aufeinandertreffen) vollkommen unbeachtet auf einem Sitz herum.
Auch filmsprachlich wird geklotzt und nicht gekleckert. Von Schwarzweißbildern über Zeitlupen und Split-Screens bis hin zu klassischen Western-Showdowns werden wirklich alle (Zitat-)Register gezogen. An einer Stelle gibt es sogar eine Verfolgungsjagd, die kurzfristig zu der Ästhetik eines „PacMan“-Videospiels wechselt. Seit „Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt“ hat sich kein Film mehr so empathisch zu seiner Comic-Herkunft bekannt. Auffällig ist auch der Kontrast der hochgradig stilisierten Protagonisten zu der oftmals nahezu realistischen Welt um sie herum.
Angelino, seine Kumpels Vinz und Willy, sowie die geheimnisvolle Schöne Luna entsprechen zwar dem Muster der sogenannten Chibis (Figuren in Mangas und Animes, die betont kindliche Züge tragen). Trotzdem sind sie nicht wie die meisten klassischen Chibis einfach nur supersüß, sondern strahlen die Underground-Mentalität des schwedischen Comiczeichners Max Andersson („Pixy“) aus. Angelino hat einen schwarzen Kopf mit großen Augen, wie Marvin der Marsmensch von den Looney Tunes oder Puck, die Stubenfliege. Vinz erinnert mit seinem flammenden Totenschädel, auf den seine Umwelt kaum mal reagiert, wie eine Cartoon-Version des Marvel-Antihelden Ghost Rider. Und Willy ist im Grunde so was wie eine Fledermaus. Das alles erinnert an „SpongeBob Schwammkopf“ – auf Ecstasy.
Die Gegenspieler indes tragen mondäne Gangster-Anzüge wie in den Comics von Ted Benoit („Ray Banana“) oder sind unseren Helden schon in Sachen Körpergröße direkt mal um das 10- bis 20-Fache überlegen (und zudem auch noch weitaus besser bewaffnet). Aber nicht nur visuell entpuppt sich „Mutafukaz“ als facettenreiches Wimmelbild – auch die Handlung ist ähnlich wild zusammengeschmissen. Zwischen etlichen angeschnittenen Verschwörungstheorien finden sich immer wieder auch vage „Star Wars“-Motive, währen die mit knalliger Musik unterlegten Kampfszenen das Tempo hochhalten. Ein dauerhafter Zucker- und Adrenalinschock für den Zuschauer, der im Rückblick nach dem Abspann allerdings nur bedingt Sinn ergibt.
Das „-z“ am Ende des Titels sowie die Entstehungszeit zu Beginn des neuen Jahrtausends lässt vermuten, dass auch die virtuelle Popband „Gorillaz“ von Damon Albarn und Jamie Hewlett eine wichtige Inspirationsquelle für das „Mutafukaz“-Universum gewesen sein könnte. Hier wie dort stehen vor allem die abgefahren-designten Protagonisten im Vordergrund, während sich die Story-Elemente ganz den Figuren unterordnen – ohne dass man sich um die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Sequenzen allzu viel Sorgen machen würde.
Fazit: Bunt, grell, abwechslungsreich und mit hipper Musik untermalt bietet „Mutafukaz“ wunderbar durchgeknallte Unterhaltung für Freunde popkultureller Diversität. Ein wenig mehr kohärente Handlung hätte aber nicht geschadet.