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    Tatort: Borowski und das Fest des Nordens
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tatort: Borowski und das Fest des Nordens
    Von Lars-Christian Daniels

    Kaum ein Film in der über 40-jährigen Geschichte der beliebtesten deutschen Krimireihe musste so lange auf seine TV-Ausstrahlung warten wie der Kieler „Tatort: Borowski und das Fest des Nordens“: Die letzte Klappe fiel bereits im Juli 2015 – und eigentlich war der Krimi schon als Nachfolger für den großartigen „Tatort: Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes“ eingeplant. Dann aber entschloss sich der NDR „aufgrund der jeweiligen thematischen Aktualität in der Programmplanung“ dazu, den „Tatort: Borowski und das verlorene Mädchen“ und den „Tatort: Borowski und das dunkle Netz“ vorzuziehen – und so findet der Film von Regisseur Jan Bonny („Gegenüber“) erst knappe zwei Jahre nach Drehschluss und pünktlich zum Start der Kieler Woche 2017 den Weg in die deutschen Wohnzimmer. Doch das lange Warten hat sich gelohnt: Der letzte „Tatort“ mit Sibel Kekilli, die Anfang des Jahres ihren Ausstieg aus der Reihe bekanntgegeben hat, ist zugleich einer ihrer stärksten Fälle. Bei vielen Zuschauern dürfte es der Film aber trotzdem schwer haben, denn in Bonnys aufwühlenden Krimidrama wird mit einigen erzählerischen Grundprinzipien der Erfolgsreihe gebrochen.

    In der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt sind (fast) alle in Feierstimmung: Die Kieler Woche ist eröffnet! Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) und seine Kollegin Sarah Brandt (Sibel Kekilli), die wegen der nächtlichen Lärmbelästigung kaum ein Auge zutut, müssen sich aber zunächst mit einem Todesfall auseinandersetzen. In einer leerstehenden Wohnung liegt eine erschlagene Frau. Der Täter, der sich in den kahlen Räumen offenbar ein Versteck eingerichtet hatte, ist untergetaucht. Kurz darauf finden die Ermittler einen toten Drogendealer, der mit der Frau in Verbindung stand, und diesmal auch konkrete Hinweise auf den Täter: Der aufbrausende Roman Eggers (Mišel Maticevic), der seiner Ex-Frau Tamara Becker (Franziska Hartmann) nach der Trennung auch die gemeinsamen Kinder überlassen musste, versteckt sich in einem Hotel. Hat er die beiden Morde womöglich begangen, um seine Pläne für ein weitaus größeres Verbrechen zu vertuschen? Der Gesuchte hatte bei seinem ehemaligen Arbeitgeber Sprengstoff mitgehen lassen – und das größte Volksfest des Nordens ist mittlerweile in vollem Gange...

    So perfekt der NDR die TV-Premiere der 1025. „Tatort“-Ausgabe nun auch auf den Beginn der Kieler Woche abgestimmt hat, so fatal hätte das Hinauszögern der Ausstrahlung gerade angesichts des Ausstiegs von Hauptdarstellerin Sibel Kekilli („Gegen die Wand“) enden können. Doch die vertauschte Reihenfolge der Kiel-Krimis macht sich kaum bemerkbar: „Ich habe mich bewusst gegen einen Abschluss-‚Tatort‘ entschieden, denn man muss eine Geschichte nicht immer auserzählen“, gab der frühere „Game Of Thrones“-Star im Vorfeld bekannt und brachte damit zugleich auf den Punkt, was für diesen „Tatort“ auch im Allgemeinen gilt: Regisseur Jan Bonny („Über Barbarossaplatz“) und Drehbuchautor Markus Busch („Goster“), der hier eine Vorlage des kurz nach den Dreharbeiten verstorbenen Bestseller-Autors Henning Mankell umgesetzt hat, stellen mehr Fragen, als Antworten zu geben. Über die Vorgeschichte des verzweifelt durch die Stadt streifenden Eggers erfahren wir zum Beispiel nur das Nötigste. Auf das Whodunit-Prinzip verzichten die Filmemacher ebenfalls, die Schnitte sind hart gesetzt und die Dramaturgie wirkt oft sprunghaft: Immer wieder wird bewusst mit den Sehgewohnheiten der Zuschauer gebrochen.

    Beim Stammpublikum dürfte es der Film schwer haben, denn am typischsten für einen „Tatort“ sind noch die beiden zankenden Kommissare: Das zwischenmenschliche Tief zwischen Borowski und Brandt wird in „Borowski und das Fest des Nordens“, der mit vielen verwackelten Handkamerabildern im Cinemascope-Format eingefangen wurde, auf die Spitze getrieben. „Ich will sie dreimal am Tag in die Förde schmeißen“, wirft der Ermittler seiner jüngeren Kollegin in einer der Schlüsselszenen des Films an den Kopf – nur eines von vielen Beispielen dafür, dass das Tuch zwischen den beiden zerschnitten ist. Nicht von ungefähr erinnert die Figurenkonstellation an den eigentlich als direkten Vorgänger geplanten Kieler „Tatort: Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes“: Waren es damals Borowski und Kult-Killer Kai Korthals (Lars Eidinger), die sich ein Stück weit als Brüder im Geiste entpuppten, nimmt Borowski diesmal Eggers in Schutz, statt die Fahndungspläne der aufgebrachten Brandt zu unterstützen. Das wirkt allerdings oft gekünstelt und nicht in letzter Konsequenz glaubwürdig. Für zusätzliche Brisanz ist dennoch gesorgt: Am Ende könnte Borowski womöglich für viele Tote auf der Kieler Woche verantwortlich sein.

    Doch „Borowski und das Fest des Nordens“ ist keine dieser „Tatort“-Folgen, bei denen es in letzter Sekunde einen Anschlag zu verhindern gilt, sondern vielmehr ein aufwühlendes Thriller-Drama im Stile eines Dominik Graf: Die Arbeit der Kripo rückt oft in den Hintergrund, was angesichts der früh beantworteten Täterfrage und der beklemmenden Vater-Tochter-Geschichte hinter dem Rücken der Ermittler kaum stört. Schon in den Anfangsminuten wird der Zuschauer Zeuge zweier heftiger Streitfälle mit anschließendem Totschlag – zwei unheimlich intensive Sequenzen, die einen Vorgeschmack auf das weitere Geschehen geben. Auch die brutale Auseinandersetzung zwischen Eggers und Geldverleiher Rolf Felthuus (Ronald Kukulies) bekommt man in einem „Tatort“ in dieser Form selten zu sehen: Geschlagene sechs Minuten steigert sich die Gewalt von subtilen Anfeindungen über verbale Aggressionen und Handgreiflichkeiten bis zum existenziellen Kampf um Leben und Tod, der auch dank des herausragenden Spiels und der physischen Präsenz von Mišel Maticevic („Wir waren Könige“) lange nachwirkt. Die mutige Schlusspointe ist dann das i-Tüpfelchen auf diesen erzählerisch ungewöhnlichen, aber überzeugenden Film – ein würdiger Abschluss für Sibel Kekilli und die erste Jahreshälfte des „Tatorts“, der sich damit in die Sommerpause verabschiedet.

    Fazit: Jan Bonnys Kieler „Tatort: Borowski und das Fest des Nordens“ ist keine leichte Kost, aber ein stark gespieltes und erzählerisch ausgefallenes Thriller-Drama mit kleineren Schwächen.

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