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    It Comes At Night
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    It Comes At Night
    Von Christoph Petersen

    Es ist jedes Mal dasselbe: Ein aus dem Rahmen fallender Indie-Horrorfilm wird auf Festivals wie Sundance so sehr mit Kritikerlob überhäuft, dass der US-Verleih daraufhin entscheidet, den Film verdientermaßen groß in die Kinos zu bringen. Aber weil die Marketingabteilung (natürlich) keine Ahnung hat, wie sie solch einen außergewöhnlichen Film an ein Mainstream-Publikum verkaufen soll, wird er in Trailern und in der sonstigen Werbung einfach als die übliche Standard-Horrorkost angepriesen (nur eben garniert mit den Lobeshymnen der Presse). Das Ergebnis: Solche aus dem Rahmen fallenden Indie-Perlen wie Robert Eggers‘ „The Witch“ oder nun auch Trey Edward Shults‘ „It Comes At Night“ fahren zwar an den Kinokassen vergleichsweise erfreuliche Ergebnisse ein, kommen aber beim regulären Publikum – wie in den USA der durch Umfragen am Kinoausgang ermittelte Cinemascore ausweist - hundsmiserabel an. Es werden schlicht die falschen Zuschauer mit den falschen Erwartungen in einen Film geschickt, der es stattdessen unbedingt verdient hätte, von experimentierfreudigen Kinoliebhabern entdeckt, gesehen und genossen zu werden.

    Nach einer plötzlichen weltweiten Epidemie verschanzt sich Paul (Joel Edgerton, „The Gift“) mit seiner Frau Sarah (Carmen Ejogo, „Alien: Covenant“) und seinem 17-jährigen Sohn Travis (Kelvin Harrison Jr., „Roots“) in einem abgelegenen Haus im Wald. Obwohl die Familie alles tut, um keine Aufmerksamkeit auf ihr Versteck zu ziehen, bricht eines Nachts ein Mann in ihr Haus ein. Paul kann den Eindringling (Christopher Abbott, „Martha Marcy May Marlene“) zwar überwältigen, allerdings erzählt dieser, dass er davon ausging, dass das Haus leer stehen würde. Außerdem würde seine Frau mit ihrem Kleinkind auf ihn warten und wohl ums Leben kommen, wenn er nicht bald mit frischen Nahrungsmitteln zurückkehrt. Damit stehen für Paul und seine Familie einige harsche moralische Entscheidungen ins Haus…

    Der Titel „It Comes At Night“ bezieht sich weniger auf irgendwelche Monster oder sonstige Gefahren, die da draußen nachts womöglich lauern, sondern ist vielmehr eine Anspielung auf ein Bibelzitat (Thessalonicher 5,2): „Ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht.“ Und wenn Kameramann Drew Daniels („Krisha“) dann noch gleich zu Beginn ganz langsam über das wahrhaft verstörende Gemälde „Der Triumph des Todes“ von Pieter Bruegel dem Älteren streift, sollte auch dem letzten Zuschauer klar sein, dass Trey Edward Shults hier weniger auf einen offensichtlich-realen, sondern auf einen sehr viel tiefergehenden, metaphorischen Schrecken abzielt: In karg-atmosphärischen Ellipsen zeichnet Shults das Porträt vermeintlich guter Menschen, hinter denen in dieser Ausnahmesituation ständig das Gespenst der Paranoia lauert. Aufgebrochen wird die streng-reduzierte Inszenierung nur durch Travis‘ ständige Alpträume, in denen dann auch klassischere Mittel des Horrorkinos zum Einsatz kommen. Dabei wechselt der Regisseur während der Traumsequenzen übrigens derart stimmig ins Cinemascope-Format, dass man diesen Übergang zum breiteren Bild tatsächlich leicht verpassen kann.

    Wir empfehlen, möglichst unwissend in „It Comes At Night“ zu gehen, aber um überhaupt über die Thematik des Films sprechen zu können, müssen wir zumindest die erste Wendung vorwegnehmen. Also: Im nächsten Absatz gibt es Spoiler zum ersten Drittel des Films!

    Nachdem sich herausgestellt hat, dass der Eindringling (der übrigens Will heißt) zumindest in Bezug auf Frau und Kind die Wahrheit gesagt hat, beschließen die beiden Familien, fortan gemeinsam unter einem Dach zu leben. Wenn Paul den neuen Mitbewohnern am Esstisch die Hausregeln mitteilt, stehen dabei Verhaltensmaßnahmen zum Schutz vor möglichen Gefahren ganz selbstverständlich neben der Regelung, wer wann mit dem Abwasch dran ist – ein angenehm subtiler Hinweis darauf, wie sehr sich die Überlebenden mit aller Kraft an ein letztes bisschen Normalität klammern. Allerdings steht diesem Wunsch nach Alltag und Solidarität die ständige Angst gegenüber: Irgendwann ist es nicht länger nur Paul, der jede Geste und jede Bemerkung von Will auf die Goldwaage legt, sondern auch der Zuschauer im Kinosaal fragt sich, ob der Neuankömmling und seine Frau Kim (Riley Keough, „Mad Max: Fury Road“) nicht womöglich doch etwas Sinisteres im Schilde führen - zumal Christopher Abbott grandios darin ist, nur mit dem Blitzen in seinen Augen in alle Richtungen auslegbare Botschaften zu senden. So sehen wir die wuchernde Paranoia nicht nur wie bei Jack Torrance in „Shining“ von außen, sondern werden selbst von ihr befallen. (Wobei es womöglich noch effektiver wäre, wenn die Macher auf eine einzelne betont deutliche und deshalb herausstechende Szene – Stichwort: Bruder – verzichtet hätten.) Das konsequent gegen die Erwartungen gebürstete Finale setzt dann allerdings wieder genau den passenden Schlusspunkt für eine Erzählung, bei der der Horror genau wie die um sich greifende Seuche aus dem Inneren kommt und sich dann unaufhaltsam nach außen Bahn bricht.

    Fazit: Ein atemberaubend atmosphärisches, radikal reduziertes Survival-Drama, in dem mehr auf moralische Dilemmata und die Abgründe der Paranoia als auf klassische Horror-Gefahren gesetzt wird.

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