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    Über den Dächern von Nizza
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Über den Dächern von Nizza
    Von Ulrich Behrens

    Lange Zeit war „Über den Dächern von Nizza“ nur in einer unvollständigen Kopie zu sehen. Paramount erlaubte dann dem ZDF, das farbenfrohe Original zu rekonstruieren. Das Problem bestand darin, dass die bisherige Kopie wegen der verblassten Farbränder von der Paramount beschnitten worden war, so dass etwa 30 Prozent des Films nicht zu sehen waren. In einer wahren Sisyphusarbeit wurden etwa 1.200 Einstellungen des in Technicolor gedrehten Films bezüglich Lichthelligkeit und Farbabstimmung erneuert, so dass jetzt eine ansehnliche, wenn auch nicht 1:1 dem Original entsprechende Kopie genossen werden kann.

    John Robie (Cary Grant) hat sich zur Ruhe gesetzt – und will seine Ruhe haben. Früher einmal, vor dem Krieg, war er als „Die Katze“ bekannt, sprich: als genialer Juwelenräuber. Während des Krieges war er als Amerikaner Mitglied der französischen Résistance. Jetzt wohnt er in einem schicken Haus oberhalb von Cannes.

    Eines Tages überzieht eine neue Reihe von Juwelendiebstählen die französische Riviera. Und da der Täter offensichtlich die Methode Robies bei seinen Raubzügen haargenau kopiert, gerät er in Verdacht. In einer wilden Verfolgungsjagd kann er mit Hilfe von Germaine (Georgette Anys) zunächst im Auto, dann im Bus der Polizei entkommen. Auch sein Ex-Kollege, der Besitzer des Küstenrestaurants Bertani (Charles Vanel), glaubt Robie nicht so richtig, dass er mit den neuerlichen Raubzügen nichts zu tun habe. Robie fasst einen Entschluss: „I’ve got to hit this copy-cat before he hears I’m after him. To catch him in the act, I need better information than he has, the kind that takes months to dig out.“ So bittet er Bertani, ihm Informationen über die potentiellen Opfer zu verschaffen. Denn einen Dieb könne man nur als Dieb fangen.

    Weil die Polizei ihm bereits wieder auf den Fersen ist, verhilft ihm die Tochter des Weinstewards Foussard (Jean Martinelli), Danielle (Brigitte Auber), zur Flucht in den Beach Club. Dort soll ihn Bertani anrufen, sobald er die gewünschten Informationen hat.

    Und Bertani hat bereits eine Information: Der Mann, der ihm in seiner Gaststätte schon Fragen über die Juwelendiebstähle gestellt habe, wolle sich mit ihm treffen. Es handelt sich um den Agenten der Londoner Lloyds-Versicherung Hughson (John Williams), der ihm eine Liste reicher Klienten überreicht, die möglicherweise auch bestohlen werden könnten. Robie bietet ihm an, nach dem Juwelendieb zu fahnden. Die Polizei würde stillhalten, weil sie darauf hoffe, dass Robie einen Fehler mache und man ihn dann auf frischer Tat ertappen könne.

    Während eines Diners mit der neureichen Amerikanerin Mrs. Stevens (Jessie Royce Landis), die mit ihrer Tochter Frances (Grace Kelly) unterwegs ist, schlägt Hughson vor, sie solle ihren Schmuck – Wert: 280.000 Dollar – lieber im Hotelsafe deponieren. Doch Mrs. Stevens hat andere Sorgen. Sie will für ihre Tochter einen Mann. Im Casino lernt sie Robie, der sich als Geschäftsmann Mr. Burns ausgibt, kennen. Robie begleitet beide zu ihren Hotelzimmern. Und Frances scheint Robie zu mögen. Sie küsst ihn zum Abschied.

    Am nächsten Morgen bittet Hughson Mrs. Stevens erneut, ihre Kostbarkeiten im Safe des Hotels zu deponieren. Denn in der Nacht war „Die Katze“ wieder unterwegs – Versicherungsschaden: 35.000 Dollar. Robie bleibt unter Verdacht...

    Ein farbenprächtiges Spektakel hat Hitchcock mit „Über den Dächern von Nizza“ (einmal mehr ein verfälschender deutscher Filmtitel) angerichtet. Die urlaubsähnlichen Bilder von der Cote d’Azur dürften einen jedoch nur bei oberflächlicher Betrachtung dazu verleiten, in dem Film lediglich eine elegant inszenierte Kriminalkomödie zu sehen. Mal wieder interessiert den ausgebufften Hitchcock vor allem: Sexualität. „To Catch a Thief“ ist ein durchaus zweideutiger Titel. Zum einen geht es darum, dass Robie sein ruhiges Leben wiederherstellen will, das durch den Imitator-Dieb heftig gestört wird. Andererseits wird der eher ruhige, fast ernüchternd wirkende Robie als Jagdtrophäe zwischen zwei Frauen positioniert, die beide nicht nur positiv dargestellt werden. Danielle, linkisch, eine Frau, die das haben will, was sie sich in den Kopf gesetzt hat, und wenn sie es nicht bekommt, wie ein Kind reagiert, und die verwöhnte und arrogante, reiche Göre Frances. Besonders deutlich in dieser Hinsicht ist eine Szene, in der Robie zwischen beiden Frauen im Wasser schwimmt. Beide giften sich an, Robie ist nur Zuschauer, schweigt, schaut von einer zu anderen, kann den Streit nicht schlichten, in dem es um ihn als Objekt der Begierde geht.

    Als Frances letztendlich Robie unter die Haube locken kann, heiratet er ihre leicht zynische Mutter gleich mit. Pessimismus pur, allerdings grandios umrahmt von komödiantischen Szenen und satirischen Dialogen. Robie, so sympathisch er auch durch Cary Grant dargestellt wird – und nicht die neue „Katze“ – ist das eigentliche Opfer der Handlung. Er wollte in Ruhe sein Leben genießen, hatte keine Lust zum Heiraten und war weder auf Danielle, noch auf Frances aus. Doch unweigerlich ist von Anfang an klar: Er landet entweder im Netz der einen oder der anderen. Ich würde noch weitergehen: Letztlich hat Robie keine Kraft, keinen Mut, beiden Frauen zu widerstehen. Die kämpfen es unter sich aus, wer ihn bekommt. Der folgende Dialog zwischen Robie und Danielle mag dies veranschaulichen.

    Danielle: Don’t you think it’s foolish to remain here without knowing what will happen to you? But if you were in South America with me, you will know exactly what will happen.

    John: You make it sound dangerous either way.

    Danielle: „It would be so much nicer to be killed by love, no?

    John: Ah, pardon me while I get the water out of my ear.“ Usw.

    Und als bittere Pille erhält er zum Schluss noch eine Schwiegermutter, der er auch nicht gewachsen ist. Ach du schöne Côte d’Azur! Eindrücklich in dieser Hinsicht ist z.B. die Szene, als Mama Stevens ihre Zigarette in fried eggs ausdrückt. Das charakterisiert diese Frau fast mehr als jedes Wort.

    Suspense? Merkwürdigerweise enthält der Film so gut wie keinen Suspense, wie man ihn ansonsten von Hitchcock gewöhnt ist, auch wenn der Meister im Gespräch mit Truffaut etwas anderes behauptete. Der Suspense ist sozusagen minimalisiert und rankt sich um die Frage, wer Robie bekommt. Die Verhaftung der wirklichen Diebe ist nur noch kriminalistische Genre-Logik. Von Anfang an ist bekannt, dass die Polizei Robie zwar in Verdacht hat, aber selbst nicht so richtig daran glaubt, dass er „The Cat“ ist. Auch die Polizei und Hughson instrumentalisieren Robie, um die neue Katze zu fangen, zu enttarnen. Das Angebot Robies an Hughson, für diesen den Juwelenräuber zu fangen, kommentiert Hughson mit den Worten: „It strikes me that only an honest man would be so foolish.“ Hughson kann zufrieden sein: Ohne weitere Kosten wird Robie ihm den wirklichen Dieb zuführen – selbst wenn es doch Robie sein sollte, den die Polizei weiterhin genauestens beobachten wird.

    Somit ist Robie eine der sympathischsten und zugleich schwächsten Gestalten in Hitchcocks Filmen.

    So deutlich wie in fast keinem anderen Film stehen Frauen als Handlungstreibende in „To Catch a Thief“ im Mittelpunkt. Der unterkühlte Sex von Grace Kelly macht Halt vor ihrem Schlafzimmer; dort wird er heiß: „Ich brauche Damen, wirkliche Damen, die dann im Schlafzimmer zu Nutten werden. Der armen Marilyn Monroe konnte man den Sex vom Gesicht ablesen, auch Brigitte Bardot, und das ist nicht besonders fein“. Hitchcock untertreibt. Als Frances und John beim Picknick sitzen, fragt sie: „Do you want a leg or a breast?“ Und Robie antwortet: „You make the choice.“ Ein verschlüsseltes, aber eindeutiges, fast aufdringliches Angebot, gegenüber dem Robie seine Entscheidungsfreiheit schon so gut wie aufgegeben hat.

    Kein glattes Happyend: Frances hält Robie am Ärmel fest; er gibt auf. „Aber die Schwiegermutter wird bei ihnen leben. So ist das fast ein tragischer Schluss.“ Robie bekommt seine Ruhe – doch zu welchem Preis? Jedenfalls auf andere Weise, als ursprünglich erwartet. Und das Publikum kann trotzdem zufrieden sein. Denn „To Catch a Thief“ ist einer der humorvollsten Filme Hitchcocks, in dem die Gefahr, das Risiko für die tragenden Figuren auf ein Minimum reduziert ist und trotzdem ein Spannungsbogen gute 100 Minuten lang für Abwechslung sorgt.

    Zitate aus: François Truffaut (in Zusammenarbeit mit Helen G. Scott): Truffaut / Hitchcock, München / Zürich 1999 (Diana-Verlag) (Originalausgabe: 1983), S. 188, 189. Vgl. auch Beier/Seeßlen (Hrsg.): Alfred Hitchcock, Berlin 1999, S. 370-373.

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