Nach ihrem gemeinsamen künstlerischen Triumph mit „Die Wolken von Sils Maria“ (2014) wollten „Twilight“-Star Kristen Stewart (sie erhielt als erste Amerikanerin überhaupt den französischen Filmpreis César für ihre Nebenrolle in dem Schauspielerinnendrama) und Regisseur Olivier Assayas („Carlos – Der Schakal“) unbedingt erneut zusammenarbeiten. Die Darstellerin scheint auch den letzten Ungläubigen überzeugen zu wollen, dass sie mehr drauf hat, als glitzernde Vampire anzuschmachten und der Arthouse-Filmemacher aus Frankreich hat in dem Hollywood-Superstar offenkundig eine neue Muse gefunden. Im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes 2016 treten sie nun mit der paranormal angehauchten Charakterstudie „Personal Shopper“ an: Assayas unterläuft mit diesem extravaganten Fashionwelt-Geisterfilm einmal mehr alle Erwartungen und taucht zugleich tief in seine Lieblingsthemen als Autorenfilmer ein, während Stewart in einer anspruchsvollen Rolle eine erneut mehr als überzeugende Leistung zeigt.
Die Amerikanerin Maureen Cartwright (Kristen Stewart) lebt in Paris und arbeitet als persönliche Shopping-Assistentin der Top-Designerin Krya (Nora von Waldstätten) - obwohl sie weder ihren Job noch ihre arrogante, sehr fordernde Chefin ausstehen kann. Aber seit ihr Zwillingsbruder Lewis vor einigen Wochen mit Mitte 20 an einer Herzkrankheit gestorben ist, befindet sich das Leben des Mediums sowieso im Schwebezustand. Sie wartet auf ein Zeichen von Lewis aus dem Jenseits - so war es verabredet. Maureen glaubt etwas zu spüren, ist sich aber keinesfalls sicher. Als ein Geist per SMS Kontakt zu ihr aufnimmt, verkompliziert sich die Situation, weil Maureen sich manisch in die Konversationen hineinsteigert ...
„Personal Shopper“ wird alle die enttäuschen, die handfesten Geisterhorror erwarten oder sich auch nur etwas erzählerisch konkret Greifbares erhoffen, denn Assayas verwehrt ihnen sowohl äußerliche Spannungsmomente als auch eine eindeutige und zielstrebig vorangetriebene Handlung konsequent. Er konzentriert sich auf die Auslotung prekärer Seelenzustände, legt die Fallstricke der Kommunikation bloß und erkundet den ewigen Gegensatz zwischen Schein und Sein - in kühlen Bildern und ohne offensichtliches Ziel schreibt er damit die zentralen Linien seines Gesamtwerks fort. Da ist es dann auch keine wirkliche Überraschung, dass Kristen Stewarts Rolle nicht ganz unähnlich zu ihrem Part in „Die Wolken von Sils Maria“ ausfällt, was ihre persönliche Leistung hier sogar noch brillanter macht, denn ihre Maureen ist weitaus mehr als nur eine Variation. Sie ist eine selbstbewusste Frau, die ihren Job zwar nicht mag, aber trotzdem sehr gut darin ist und die trotz aller Intelligenz anfällig für Unvernünftiges und Riskantes bleibt. All das spielt Stewart sehr zurückhaltend und ruhig. Wer nicht genau hinschaut, könnte sie fast für unbeteiligt halten – und doch ist immer zu spüren, mit welch intensiven und widersprüchlichen Emotionen Maureen zu kämpfen hat.
An deftigen Thrills und Spannungsmomenten ist Olivier Assayas bei „Personal Shopper“ also nicht interessiert, er sorgt für subtilere Vergnügungen: So ist es süffisant-ironisch, wenn er Kristen Stewart (erneut) als indirekt vom Starruhm Gequälte besetzt, wo sie doch selbst einen Superstarstatus inne hat, der den von Supermodel-Designerin Kyra im Film noch übertrifft. Amüsant ist auch die Chuzpe, mit der Assayas Maureen als Medium etabliert: Alle Personen in ihrem Umfeld wissen von ihren Fähigkeiten und akzeptieren mit größter Selbstverständlichkeit, dass sie (wahrscheinlich) Kontakt mit Wesen aus der Schattenwelt aufnehmen kann. Aber „Personal Shopper“ ist kein Mummenschanz, denn auf der anderen Seite ist sich Maureen manchmal selbst nicht sicher, ob sie wirklich die Präsenz von Geistern spüren kann. Der Film bezieht einen Großteil seines Reizes aus dieser Unsicherheit: Was bildet sich die junge Frau ein, was ist tatsächlich Realität? Das ist auch bei einigen Geisterscheinungen nicht ganz klar, die der Regisseur uns gönnt. Die haben davon unabhängig durchaus Grusel- und Gänsehautpotenzial, aber bei Assayas sorgt nicht einmal ein fulminanter Plottwist für eine Änderung seines zurückhaltenden Erzählstils und so hinterlässt auch die im Grunde so dramatische Wendung vor allem im Seelenleben Maureens nachhaltige Spuren.
Als der mutmaßliche Geist über das Handy Kontakt mit Maureen aufnimmt, schält Assayas über eine ausgedehnte SMS-Konversation die Abgründe in der Persönlichkeit seiner Protagonistin heraus. Zwar überschätzt er die Attraktivität von eingeblendeten SMS-Botschaften auf der großen Leinwand ein wenig, wenn er den Austausch von Textbotschaften auf über 20 Minuten ausdehnt, aber die Verwirrung und Verunsicherung, die er dadurch stiftet, dass sich Maureen ohne Not dem Wahnsinn und einem offensichtlich gefährlichen Stalker (paranormal oder nicht) öffnet, ist extrem wirkungsvoll. Ganz in diesem Sinne ist auch nicht die oben erwähnte markige Handlungskehre der Höhepunkt dieser Mediums-Mär, sondern eine eindrucksvolle Sequenz, in der Maureen sich auf verbotenes Terrain begibt und in der Wohnung ihrer Chefin deren extravagantestes Kleid anprobiert. Die von Marlene Dietrich dargebotenen bizarren deutschen Liedzeilen „Das Schicksal setzt den Hobel an … und hobelt alle gleich“ (aus der Wiener Volksweise „Das Hobellied“ von Ferdinand Raimund, 1834) liefern dazu auf der Tonspur die Quintessenz: Nach dem Tod sind alle Menschen gleich, egal ob arm oder reich, berühmt oder nicht!
Fazit: Olivier Assayas liefert mit seinem bizarr-verrückten „Personal Shopper“ den etwas anderen Geisterfilm - seine subtile, ambitioniert-eigenwillige Charakterstudie ist ein Film über Verlust und Selbsterkenntnis, über die Suche nach Orientierung und das Paranormale.
Wir haben „Personal Shopper“ im Rahmen der 69. Filmfestspiele von Cannes gesehen, wo der Film im Wettbewerb gezeigt wurde.