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    Erlösung
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Erlösung
    Von Lars-Christian Daniels

    Allein im deutschsprachigen Raum hat sich die„Sonderdezernat Q“-Reihe des dänischen Bestseller-Autors Jussi Adler-Olsen bis heute weit über fünf Millionen Mal verkauft. Doch Hauptkommissar Carl Mørck und seine Kollegen schreiben längst nicht mehr nur eine literarische Erfolgsgeschichte: Mit „Erbarmen“ und „Schändung“ eroberten 2014 und 2015 bereits die Verfilmungen der ersten zwei Bände der aktuell sechsteiligen Krimireihe die europäischen Kinos. Regie führte jeweils der Däne Mikkel Nørgaard („Borgen – Gefährliche Seilschaften“), der bei der dritten Leindwandadaption von einem norwegischen Kollegen abgelöst wird: Filmemacher Hans Petter Moland („Einer nach dem anderen“) inszeniert mit „Erlösung“ den dritten Band aus Adler-Olsens Bestsellerreihe. Der Kinobesuch lohnt sich aber auch für Nicht-Leser der Romane: Wie schon die beiden Vorgänger ist „Erlösung“, der zu großen Teilen in Hamburg gedreht wurde, ein eigenständiger und spannend arrangierter Skandinavien-Thriller. Vor allem die Kenner der tollen Buchvorlage müssen in Sachen Tiefgang allerdings erhebliche Abstriche machen.

    Der Kopenhagener Hauptkommissar Carl Mørck (Nikolaj Lie Kaas) und sein syrischer Kollege Assad (Fares Fares) stehen vor einem Rätsel: Ihr Vorgesetzter Marcus Jacobsen (Soren Pilmark) vertraut dem „Sonderdezernat Q“ eine kryptische Flaschenpost an, die am Strand gefunden wurde und sich wie ein Hilfeschrei liest. Offenbar handelt es sich bei der schwer zu entziffernden Botschaft um ein Lebenszeichen zweier Jungen, die vor Jahren spurlos verschwunden sind, von ihren streng religiösen Eltern aber nie als vermisst gemeldet wurden. Gemeinsam mit ihrer aufgeweckten Assistentin Rose (Johanne Louise Schmidt) und ihrem Kollegen Pasgård (Jakob Oftebro) begeben sich Mørck und Assad auf Spurensuche. Sie ahnen nicht, dass der Entführer der beiden Jungen mittlerweile in Norwegen ein zweites Mal zugeschlagen hat: Der nach außen hin unscheinbare Johannes (Pål Sverre Valheim Hagen) lockt ein junges Geschwisterpaar in sein Auto und verschleppt die Kinder in ein abgelegenes Bootshaus, um von deren Eltern Elias (Jakob Ulrik Lohmann) und Rakel (Amanda Collin) Lösegeld zu erpressen. Für Mørck und Assad, die vor Ort von der norwegischen Polizistin Lisa (Signe Anastassia Mannov) unterstützt werden, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit...

    „Erlösung“ ist deutlich stärker von der Buchvorlage gelöst als noch die beiden Vorgänger und dies hat einen guten Grund: Mit 592 Seiten ist der dritte Band der „Sonderdezernat Q“-Reihe weit über 100 Seiten länger als die ersten beiden Romane. An der Laufzeit des Films hingegen ändert sich wenig: Angesichts der klassischen Gesamtlänge von 112 Minuten müssen Kenner des Buchs drastische Kürzungen im Hinblick auf Handlungstiefe und Figurenensemble hinnehmen. Drehbuchautor Nikolaj Arcel („The Dark Tower“), der auch die Bücher zu den ersten beiden Verfilmungen schrieb, streicht rund ein halbes Dutzend Nebenfiguren und lässt den Charakteren im Film leicht variierte Rollen zukommen. Mørcks Sohn Jesper und der gelähmte Ex-Kollege Hardy fehlen ebenso wie die pfiffige IT-Beauftragte Isabel Jønsson, Larsens Sohn Benjamin oder Nachbar Kenneth, der im Roman der Ehefrau des Killers zu Hilfe eilt. Die Schizophrenie von Assistentin Rose, die im Buch als ihre eigene Zwillingsschwester Yrsa im Präsidium aufkreuzt, wird ebenso wenig thematisiert wie die Brandanschläge in Kopenhagen. All diese Kürzungen sind dramaturgisch sinnvoll, doch an anderer Stelle treffen die Filmemacher eine unglückliche Entscheidung: Statt sich auf die mit Abstand reizvollste Figur des Romans – den Täter – zu konzentrieren, widmen sie sich ausführlich den Eltern der entführten Kinder.

    Über den eiskalten Serienkiller Johannes („Ich bin der Sohn Satans!“) erfahren wir nur, dass seine Kindheit wie die seiner späteren jungen Opfer religiös geprägt war und alles andere als glücklich verlief – so bleibt der Antagonist trotz der ansprechenden Darbietung von Pål Sverre Hagen („Kon-Tiki“), dessen Performance an den jungen Edward Norton erinnert, unter dem Strich zu schablonenhaft. Darf der Leser der Buchvorlage brenzlige Situationen aus der Sicht des gewieften Kindermörders einnehmen und im Roman in dessen Gedankenwelt eintauchen, beschränkt sich die charakterliche Skizzierung im Film auf kurze Flashbacks und eine bedrückende Ehebettsequenz mit seiner einsamen Gattin Mia (Lotte Andersen). Ansonsten wird routiniert das abgespult, was wir schon aus vielen anderen Psychothrillern kennen: Der Killer und Kindesentführer ist seinen Häschern immer den entscheidenden Schritt voraus und wird erst im Schlussdrittel in die Enge getrieben. Dabei fällt „Erlösung“ eine ganze Ecke brutaler aus als die Vorgänger: Johannes mordet am liebsten mit einer Küchenschere, die er geduldig im Leib seiner sterbenden Opfer aufschnappen lässt. Außerdem besticht auch die dritte Romanverfilmung mit kraftvollen Bildern und einer düsteren Atmosphäre, die gekonnt durch Landschaftsaufnahmen mit gelbblühenden Rapsfeldern und den einen oder anderen Spaß von Frohnatur Assad aufgebrochen wird.

    In Sachen Realismus muss der Zuschauer aber oft beide Augen zudrücken: Bei der Geldübergabe in einem Intercity der Deutschen Bahn beispielsweise steht bei Höchstgeschwindigkeit und brausendem Fahrtwind minutenlang einfach eine Tür offen, ohne dass es Zugführer, Fahrgäste oder Schaffner zu einer Reaktion veranlassen würde (man stelle sich diese Situation einfach mal bei seiner nächsten Bahnfahrt vor). Deutlich besser gelungen ist die zweite Begegnung von Kommissaren und Mörder im Krankenhaus: Weil sich der Gesuchte mit einem weißen Kittel unter die Ärzteschaft mischt, entwickelt sich ein packendes Versteckspiel, das in einen brutalen Schockmoment im angrenzenden Parkhaus mündet. Trotz des hohen Tempos im letzten Filmdrittel bleibt aber auch Zeit für Gefühle: Nikolaj Lie Kaas („Dänische Delikatessen“) gewinnt seiner Figur neue Facetten ab und emanzipiert sich spürbar von der literarischen Vorlage. Wirkt Carl Mørck in den Büchern oft gleichgültig und desinteressiert, zeigt er sich bei seinem dritten Leinwandeinsatz psychisch so labil wie nie und kann von Glück sagen, den unerschütterlichen Assad an seiner Seite zu haben. Zu den rührendsten Sequenzen des Films zählt daneben ein Trauergottesdienst, bei dem der abgehalfterte Kommissar seine Tränen nicht zurückhalten kann.

    Fazit: Hans Petter Molands „Erlösung“ ist ein durchgehend spannender Skandinavien-Thriller, der die erzählerische Raffinesse der starken Romanvorlage aber vermissen lässt.

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