Jahrmarktsmuffel wissen es vielleicht nicht: Eine Wilde Maus ist ein bestimmter Typ von Achterbahn, und eines der bekanntesten Exemplare dieses Fahrgeschäfts findet sich im Wiener Prater. Der Protagonist des gleichnamigen Dramas, das seine Weltpremiere im Wettbewerb der Berlinale 2017 erlebt hat, wird von dieser berühmten Wilden Maus passenderweise gehörig durchgeschüttelt, so wie auch das Leben ihn aus der Bahn zu schmeißen scheint. Die metaphorisch aufgeladene Achterbahnfahrt ist dabei einer der weniger subtilen Momente im Film „Wilde Maus“, mit dem der österreichische Kabarettist, Autor und Schauspieler Josef Hader sein Regiedebüt gibt: Was anfangs noch sehr an andere Werke mit Hader in der Hauptrolle erinnert (insbesondere an die Brenner-Krimis), in denen ein Mann in der Midlifecrisis sich durchs Leben grantelt, erweist sich nach und nach als vielschichtige Erzählung über den Mangel an Kommunikation – sowohl auf der privaten als auch auf der beruflichen Ebene.
Sein Job bedeutet ihm alles: Seit ewigen Zeiten ist Georg (Josef Hader) Musikkritiker bei einer Wiener Tageszeitung und bekannt für seine - vorsichtig formuliert - scharfen Verrisse. Seine Bösartigkeit hat ihn bei den Lesern beliebt gemacht, doch damit ist es nun vorbei: Sein Chef Waller (Jörg Hartmann) kündigt ihm, zu teuer sei Georg geworden. Seiner Frau, der Psychologin Johanna (Pia Hierzegger), erzählt der Kritiker nichts von der Entlassung und treibt sich stattdessen Tag für Tag im Prater rum, wo er bald Erich (Georg Friedrich) kennenlernt, der sich mehr schlecht als recht über Wasser hält, nun aber einen Plan hat: Das Fahrvergnügen Wilde Maus will er betreiben und Georg wird kurzerhand sein Teilhaber. Doch der Ausweg aus der Krise ist beschwerlich und voller Hindernisse.
Laut eigener Aussage hat Josef Hader nichts wirklich gelernt. Also ist er erst Kabarettist geworden und dann Kinostar. Schon bei den vier Krimis um den Privatdetektiv Simon Brenner, die zwischen 2000 („Komm, süßer Tod“) und 2015 („Das ewige Leben“) entstanden, redete der Hauptdarsteller und Co-Drehbuchautor immer mehr auch bei der Inszenierung mit, daher ist sein offizielles Debüt im Regiestuhl nur folgerichtig: Bei „Wilde Maus“ ist er nun also Drehbuchschreiber, Schauspieler und Regisseur zugleich – so hat das Werk mit seinen bissigen Dialogen und seinen bösen Pointen von Anfang an einen ganz typischen Hader-Touch. Hier geht es mal zynisch, mal lakonisch zu, während etliche Figuren eingeführt werden - von der Jungredakteurin Fitz (Nora von Waldstätten), die Georgs Platz übernimmt, auch wenn sie keine Ahnung von klassischer Musik hat, bis zu Sebastian (Denis Moschitto), der bei Johanna in Therapie ist und ebenfalls von Beziehungsproblemen geplagt wird. Erst nach und nach beginnt Hader Linien zwischen all den scheinbar disparaten Charakteren zu ziehen und mit den Verbindungen und Dopplungen zwischen ihnen kristallisiert sich auch das eigentliche Thema seines Films immer klarer heraus: die Kommunikation und ihre Schwierigkeiten.
Georg und Johanna wirken zwar auf den ersten Blick wie ein perfektes Paar, doch eigentlich haben sie sich längst auseinandergelebt, ihre Wünsche und ihre Vorstellungen vom Leben sind nicht mehr dieselben – ohne kräftige zungenlösende Unterstützung durch ein, zwei Gläser Rotwein reden sie kaum noch miteinander. Noch schlimmer ergeht es Erich (mit brillantem Gespür für Komik: Georg Friedrich), der mit einer hübschen Rumänin liiert ist, die gar kein Deutsch kann. Ohne es auf den allzu deutlichen Punkt zu bringen, zeichnet Hader hier das Bild einer Gesellschaft, in der man dank Smartphones und Internet zwar rund um die Uhr verbunden ist, aber dennoch an zunehmendem Mangel an Kommunikation leidet und sich hinter Fassaden versteckt. Haders Georg hat sich jahrelang in den Job geflüchtet und Texte voller geschliffener Schmähungen verfasst, mit denen er schon mal Musiker dazu gebracht hat, ihre Karriere an den Nagel zu hängen. Ohne die Arbeit und die damit verbundene Routine steht Georg nun vor all den (Sinn-)Fragen, die er zuvor verdrängt hat: „Wilde Maus“ ist durch und durch ein Lebenskrisenfilm, aber Hader vermeidet die bei dem Thema immer drohende Larmoyanz dank einer guten Portion Wiener Schmäh. Und seine vielschichtigen Figuren machen den Film auch für alle Nicht-Hader-Fans sehenswert.
Fazit: Mit seinem Midlifecrisis-Drama „Wilde Maus“ zeigt Josef Hader neben seinen bekannten Fähigkeiten als souveräner Schauspieler und pointensicherer Autor erstmals auch die sichere Hand eines feinfühligen Regisseurs.
Wir haben den Film im Rahmen der Berlinale 2017 gesehen, wo „Wilde Maus“ als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wird.