Ein durchschnittlicher Film über eine herausragende Frau
Von Christoph PetersenEs ist schon erstaunlich, dass es so lange gedauert hat, bis das erste Biopic über die Anti-Sklaverei-Aktivistin und Bürgerkriegs-Heldin Harriet Tubman in die Kinos kommt. Wobei: So überraschend ist das vielleicht gar nicht. Schließlich wurde selbst vor 20 Jahren noch mit der Idee gespielt, Julia Roberts in der Rolle zu besetzten – ein Studioverantwortlicher meinte damals, dass das Publikum doch bestimmt nicht wisse, dass Tubman schwarz gewesen sei, das sei schließlich alles schon so lange her. 2016 gab es hingegen fortgeschrittene Überlegungen des US-Finanzministeriums, Tubmans Konterfei zukünftig auf den 20-Dollar-Schein – auf dem aktuell noch der Ex-Präsident und Sklavenhalter Andrew Jackson prangt – zu drucken. Aber dieser Plan wurde nach der Wahl von Donald Trump wenig überraschend wieder zu den Akten gelegt.
Dass es mit dem Tubman-Biopic bis ins Jahr 2019 gedauert hat, ist auch deshalb schade, weil Regisseurin Kasi Lemmons mit „Harriet – Der Weg in die Freiheit“ nun einen Film vorlegt, der in den Neunzigern noch das Zeug zum Oscarfavoriten gehabt hätte – aber inzwischen ist das Genre einfach ein ganzes Stück weiter und Lebensstationen abklappernde Biopics sind (zum Glück) eher aus der Mode gekommen. So wirkt der allzu klassische Aufbau des Drehbuchs von Lemmons und Gregory Allen Howard („Gegen jede Regel“) arg altbacken. Dass der Film trotz des generischen Skripts über weite Strecken mitreißt, liegt an der absolut grandiosen Cynthia Erivo in der Titelrolle und zeigt, wie unbedingt erzählenswert die Geschichte von Harriet Tubman wirklich ist.
Harriet Tubman lebt nach dem Motto: Freiheit oder Tod!
Bucktown, Maryland im Jahr 1849: Obwohl eine testamentarische Verfügung bestimmte, dass ihre Mutter im Alter von 45 Jahren aus dem Sklavendienst entlassen werden soll, hält sich der Besitzer von Araminta Ross (Cynthia Erivo), die von allen nur Minty genannt wird, einfach nicht daran. So entschließt sich Minty zur gefährlichen Flucht in die Nordstaaten, wobei sie auch ihren geliebten Ehemann John Tubman (Zackary Momoh) zurücklassen muss. In Philadelphia gibt sie sich den Namen Harriet Tubman und tritt der Anti-Sklaverei-Organisation Underground Railroad von William Still (Leslie Odom Jr.) bei. Unter dem Codenamen Moses kehrt sie wieder und wieder in die Südstaaten zurück, um weitere Sklaven zu befreien und sicher über die Mason-Dixon-Linie in den Norden zu bringen. Schon bald wird ein hohes Kopfgeld auf Moses ausgesetzt, den die Südstaaten-Sklavenhalter zunächst für einen Mann halten...
Nach der entlarvenden Idiotie, Julia Roberts in der Titelrolle besetzen zu wollen, war vor einigen Jahren auch noch Oscargewinnerin Viola Davis („Fences“) für den Part im Gespräch. Das hätte sicher auch gepasst, aber die aus London stammende Musical-Sängerin Cynthia Erivo („Bad Times At The El Royale“) ist als Harriet schlichtweg eine Offenbarung: Erivos Wandlung von der eingeschüchterten Sklavin Minty, in der trotzdem immer sichtbar der unbedingte Wille nach Freiheit lodert, hin zu der Abolitionismus-Aktivistin und Bürgerkriegs-Heldin Harriet, einer aufrecht gehenden, glühenden Anführerin, ist ebenso inspirierend wie mitreißend. Im Umfeld des US-Kinostarts kam der Hashtag #NotMyHarriet auf, weil sich einige Twitter-Nutzer lieber eine afroamerikanische und keine britische Schauspielerin in der Rolle gewünscht hätten – und während man über diese Frage der Repräsentation sicherlich trefflich streiten kann, ist Erivos Performance über jeden Zweifel erhaben.
Bei der Inszenierung und vor allem dem Drehbuch fällt das Lob hingegen nicht so uneingeschränkt positiv aus. Zwar merkt man „Harriet – Der Weg in die Freiheit“ zu keinem Zeitpunkt an, dass er mit nur 17 Millionen Dollar für ein Historien-Biopic dieser Größenordnung erstaunlich schmal budgetiert war. Da hat Kasi Lemmons („Luke Cage“) wirklich aus jedem einzelnen Dollar das Maximum herausgeholt. Aber durch die sprunghafte Dramaturgie des Skripts bekommt kaum eine der Stationen im Leben der Titelfigur den Raum, den sie verdient: Vor allem die entbehrungsreichen und brandgefährlichen Befreiungs-Missionen in den Süden wirken im Film täuschend simpel – weil kaum mehr gezeigt wird, als wie Harriet Tubman losgeht und wie sie ankommt, wird das wahre Ausmaß ihrer historischen Leistungen im Film kaum spürbar.
Möglichkeiten, inszenatorisch auch mal von den ausgetretenen Biopic-Pfaden abzuweichen, wären dabei durchaus vorhanden gewesen – zum Beispiel bei den „Visionen von Gott“, die die historische Harriet tatsächlich regelmäßig hatte und die womöglich auf eine schwere Kopfverletzung durch die Hand ihres Sklavenhalters zurückzuführen sind. Dem französischen Regisseur Bruno Dumont ist das etwa zuletzt bei seinem Jeanne-d'Arc-Doppel „Jeannette“ und „Jeanne d'Arc“ ganz hervorragend gelungen. Aber Lemmons, die mit „Black Nativity“ auch schon ein christliches Gospel-Erbauungs-Musical verfilmt hat, nimmt die Visionen einfach so als gegeben hin. Am Ende hält Harriet eine Rede vor mächtigen Politikern in New York, bevor ihre weiteren Taten vor allem während des folgenden Bürgerkriegs kurz zusammengefasst werden – und diese biographische Aufreihung der Errungenschaften von Harriet Tubman ist fast noch inspirierender als die ganzen zwei Stunden zuvor. Dem Biopic „Harriet – Der Weg zur Freiheit“ fehlt letztendlich genau jener Mut, den seine Hauptfigur im Überfluss besessen hat.
Fazit: Ein rundherum solides Old-School-Biopic – aber die inspirierende Geschichte von Harriet Tubman und die in der Titelrolle brillierende Cynthia Erivo hätten mehr verdient.