Zu Beginn der drei Teile von „1001 Nacht“ macht Regisseur Miguel Gomes jedes Mal klar, dass es sich eben nicht um eine Verfilmung der klassischen Erzählungen handelt, die hierzulande unter dem Titel „Tausendundeine Nacht“ bekannt sind, sondern dass er lediglich die Struktur der Märchensammlung übernommen hat: So erzählt Scheherazade hier keine Geschichten über Sindbad oder Aladin, sondern über Vorkommnisse in Portugal zwischen August 2013 und Juli 2014, also aus jener Zeit, in der das Land von der EU mit einem Programm der wirtschaftlichen Austerität gleichsam als Geisel gehalten wurde. Dabei vermischt Gomes („Tabu – Eine Geschichte von Liebe und Schuld“) in seinem sechseinhalb Stunden langen Mammutprojekt vielfältige Stile zu einem reichhaltigen visuellen (gefilmt von Apichatpong-Weerasethakul–Stammkameramann Sayombhu Mukdeeprom) und intellektuellen Festschmaus: Theatralische und dokumentarische, naturalistische und surreale, wütende und zauberhafte, offensichtlich anklagende und subtil beobachtete Passagen fügen sich zu einer aus politischer Verzweiflung ebenso wie aus humanistischer Überzeugung motivierten, in ihrer puren Kühnheit bahnbrechenden Kinotrilogie. Man könnte fast behaupten, die EU-Sparauflagen hätten doch etwas Gutes gehabt, immerhin haben sie uns ja „1001 Nacht“ beschert. Allerdings ist es genau dieser Zynismus, den Gomes uns mit seinem erhabenen, zutiefst menschlichen Epos austreibt.
Im ersten Teil „1001 Nacht: Volume 1 - Der Ruhelose“, steht das Thema „Arbeit“ im weitesten Sinn im Mittelpunkt. Er beginnt mit einem dokumentarischen Abstecher in die wirtschaftlich schwer gebeutelte Hafenstadt Viana do Castelo. Hier stellt Gomes die Auswirkungen einer Werftschließung den Versuchen der örtlichen Feuerwehr gegenüber, einer Hornissenplage Herr zu werden. Daneben gibt es immer wieder Meta-Einschübe mit dem Filmteam selbst, dem der Regisseur (also Gomes) weggelaufen ist. Das ist gleichermaßen zutiefst profund und völlig absurd, zumal der Filmemacher aus dem Off auch noch feststellt, dass ihm leider die nötige Fähigkeit zur Abstraktion fehle, um zu erkennen, was die Schließung der Werft und der Einfall der Hornissen miteinander zu tun haben. Nach etwa 45 Minuten wird Gomes von Agenten des Staates wieder eingefangen und bis zum Hals im Sand eingebuddelt. Aber der Regisseur kann sich retten, indem er seinen Häschern verspricht, ihnen fantastische Geschichten zu erzählen – diese machen dann den Rest der 321 Minuten aus, wobei sie bei aller Fantasterei natürlich trotzdem immer auf die sozial unverantwortliche Situation in Portugal zurückverweisen.
Los geht’s mit einem Treffen portugiesischer Politiker und Gewerkschafter mit den abgesandten Aufsehern der EU. Es geht ausschließlich um Einsparungen und Privatisierungen, bis ihnen ein schwarzer Medizinmann ein Pülverchen verkauft, das den Portugal kaputtmachenden Schlappschwänzen allesamt Dauerständer beschert. Und plötzlich denken die Herren in den schwarzen Anzügen neben der nächsten Erleichterung auch mal ans Volk, zumindest bis ihre selbst mit mehrfachem Onanieren nicht wegzubekommenden Erektionen irgendwann zum Problem werden – das ist grandios-krachendes Politkabarett! Nach einem absurden Hahnenstreit und verliebten Feuerteufeln handelt der überwiegend dokumentarische letzte Part des ersten Teils dann von der Organisation eines traditionellen Neujahrsschwimmens, das wegen der desolaten wirtschaftlichen Lage auszufallen droht. Hier treffen vor allem die Aussagen dreier von der Krise Betroffener ins Mark, die ihre Geschichten in aller Ruhe in die Kamera erzählen.
Fazit: Ein wütendes Meisterstück.
Wir haben „1001 Nacht“ auf dem „14 Films Around The World“-Festival im Berliner Kino in der Kulturbrauerei gesehen.